„Mit der ePA starten wir in ein neues Zeitalter, eine neue Epoche, in das größte Digitalisierungsprojekt, das Deutschland zum TOP 1 in Europa machen wird, mit einem einzigartigen Datensatz in Europa, der eine ganz andere Forschung ermöglichen wird. Die ePA – mit Sicherheit als oberste Priorität – für bessere Behandlung und Forschung. Die ePA, die den Patienten zum Herrn seiner Daten macht, der Patient sieht zum ersten Mal seine Daten und alles, was Ärzte für ihn abgerechnet haben, bisher war das intransparent, der Patient wird mündiger, kann sich seine Ergebnisse auch von anderen Ärzten oder von der KI erklären lassen …“, so der damalige Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach in seiner Pressekonferenz* am 15.01.2025 zur Einführung der ePA und dem Start der Pilotphase.
Auf dieser Pressekonferenz unterstützte der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt den Start der Pilotphase und bezeichnete die ePA definitiv als große Chance für die Verbesserung der Patientenversorgung. Seine unabdingbaren Kriterien dabei: dass die ePA zum einen definitiv so sicher wie möglich sei, was auch deshalb so wichtig sei, weil das Thema Arztgeheimnis, Berufsgeheimnis und Verschwiegenheitsverpflichtung zu den zentralen Merkmalen unseres ethischen Berufsverständnisses gehörten, zum anderen Einfachheit, Praktikabilität und das Handling der ePA so sei, dass tatsächlich der Mehrwert erzielt werden könne, ohne unverhältnismäßig großen Aufwand zu betreiben, damit am Ende tatsächlich das herauskomme, was wir uns wünschten, nämlich Entbürokratisierung und mehr Zeit für den Patienten. „Wenn das am Ende bewiesen werden kann und sich in der Pilotphase herausstellt, dann glaube ich, wächst das Vertrauen, dann werden wir sie auch ärztlicherseits propagieren und dafür motivieren können. [...] Wir müssen auch die Gelegenheit haben, uns einzubringen, damit es einen Sinn hat, dass wir die Pilotphase starten. [...]“*
Wurde dies in der kurzen Probephase erreicht? Was war das Ergebnis der vom Bundesgesundheitsministerium versprochenen Auswertungen? Der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen stellte bei einer Podiumsdiskussion am 15.05.2025 fest: „Problematisch ist, dass die Digitalisierung, wie wir sie im Gesundheitswesen haben, im Moment mehr hemmt als hilft, weil sie nicht funktional ist. Die Akteure sehen die Probleme und wollen dort auch mitarbeiten. Das geht aber nur zusammen.“ Und zur gleichen Zeit Ende April war der Chaos Computer Club schlicht sprachlos auf die Frage, warum vorhandene basale Chiptechnologie nicht auf den Karten eingesetzt wird, was die Sicherheit erheblich steigern würde.
Am 24. Juni 2025 nahmen sich die Bad Nauheimer Gespräche (siehe S. 483) dieses Themas an. Diejenigen, die nicht teilnehmen konnten, können sich die Aufzeichnung ansehen, es lohnt sich. (Die Aufzeichnung finden Sie unter Aktuelles.)
Wenn die ePA so gut ist, wie sie beworben wird, warum vertraut man nicht darauf, dass die Patienten sie wollen und aktiv wählen, warum dann „Opt-out“ (Möglichkeit, die ePA abzulehnen) statt „Opt-in“ (Möglichkeit, sich für eine ePA aktiv zu entscheiden)? Wäre das nicht der mündige Patient?
Das Argument, dass der Patient mit der ePA erstmals die Möglichkeit hat, alle seine Befunde zu erhalten, wurde schon im Januar auf der Pressekonferenz von Reinhardt widerlegt: das ist nach Patientenrechtegesetz bereits jetzt möglich. Warum das Argument, nur mit der ePA könne eine Notfallversorgung sichergestellt werden, wie die notwendigen Daten bereits jetzt auf der Patientenkarte gespeichert sind? Warum werden nicht weitere wichtige Daten für die Patientenbehandlung auf der patienteneigenen Karte gespeichert? Wir konnten hören, dass Datenschutzbeauftragte zwar gehört, aber nicht mehr beachtet werden, Sicherheits- und Strukturvorgaben rückabgewickelt wurden und die Anonymisierung der zentral gespeicherten Daten nicht mehr vorgesehen ist. Warum werden Experten wie Prof. Dr. Jürgen Windeler, ehemals Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), nicht gehört und stattdessen unhaltbare Versprechen für einmalige und neue Forschungsmöglichkeiten mit Big Data gegeben? Ist die Befüllungspflicht dieser ePA tatsächlich mit unserem Genfer Gelöbnis zu vereinbaren?
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ja, wir Ärzte und unsere Patienten wünschen uns eine noch bessere Patientenversorgung und auch Transparenz. Keiner will stundenlang Befunden hinterhertelefonieren. Aber geht das nicht auch mit „milderen Mitteln“, Daten auf der Patientenkarte etc.? Warum so viel Druck (Opt-out) und Zwang (Befüllungsverpflichtung)?
Braucht es das Großprojekt wirklich für Patienten und Ärzte, braucht es so viele zentral gespeicherte sensible (!) Daten – und dies für 100 Jahre wie vorgesehen? Wem nützt das? Diese Fragen müssen auf den Tisch und ehrlich beantwortet werden. Es geht dabei keineswegs um Verweigerungshaltung oder grundsätzliches Bedenkenträgertum, sondern um die Sorge, wie mit Patientenwillen und ärztlicher Schweigepflicht umgegangen wird. Das sind wir unseren Patienten und unserem Ethos als Ärzte schuldig. Wir wollen an dieser Chance mitarbeiten – dazu müssen wir Fragen stellen dürfen, die auch gehört werden.
Monika Buchalik, Erste Beisitzerin des Präsidiums der Landesärztekammer Hessen
Die Beiträge in der Rubrik „Ansichten & Einsichten“ geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
* Start der Elektronischen Patientenakte (ePA) – komplette Bundespressekonferenz 15. Januar 2025, abrufbar via YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=m0gmDVua0vo