Seit dem 01.03.2019 erfolgt in Hessen vor Kremierung oder Auslandstransport eines Verstorbenen eine Zweite Leichenschau durch die Rechtsmedizin. Dies bedeutet, dass etwa zwei Drittel der Verstorbenen nach der Ersten (ärztlichen) Leichenschau noch einmal von der Rechtsmedizin gesehen werden – zusammen mit dem Leichenschauschein. Dabei treten immer wieder Defizite zu Tage, die den Kolleginnen und Kollegen, die die Erste Leichenschau durchgeführt haben, üblicherweise in telefonischen Gesprächen vermittelt werden.
Gibt es danach Hinweise auf einen nicht-natürlichen Tod oder verbleibt die Todesart unklar, muss eine Meldung der Rechtsmedizin als Zweitleichenschauer an die Ermittlungsbehörden erfolgen – aus Sicht der Ersten Leichenschau „nachgeholt“ werden. Aber es gibt weitere Meldepflichten, die nach der Ersten Leichenschau nicht immer wahrgenommen wurden und dann erst nach der Zweiten Leichenschau realisiert werden; hier ist als Beispiel die Meldung an die Berufsgenossenschaft zu nennen, bei Verdacht auf einen Tod infolge einer Berufskrankheit.
Fall 1
Bei der Zweiten Leichenschau an dem Leichnam eines 86 Jahre alt gewordenen Mannes fällt über dem Brustbein ein großer Pflasterverband auf. Darunter ist ein ungeöffnetes Päckchen Einwegtaschentücher wie eine Art Druckverband und darunter – direkt auf der Haut aufliegend – ein einzelnes, nicht aufgefaltetes Einwegtaschentuch. Nach Entfernen sieht man ca. 2 cm links der Körpermittellinie eine ca. 1,5 cm lange glattrandige Hautdurchtrennung, die leicht schräg verläuft.
Im Leichenschauschein hat der Hausarzt eine natürliche Todesart angekreuzt. Als Todesursache ist ein „Herzversagen“ als Folge von „KHK“, als Folge von „Hypertonie“ eingetragen. Der Hausarzt gibt auf Rückfrage an, dass ihm keine Verletzung aufgefallen sei. Er habe den Leichnam gründlich untersucht.
Der Zweitleichenschauer meldet den Fall an die zuständige Kriminalpolizei. Bei der gerichtlichen Leichenöffnung wird ein todesursächlicher Herzstich festgestellt.
Fall 2
Bei dem zu Hause verstorbenen 69-Jährigen hat der Hausarzt als Todesursache ein „Respiratorisches Versagen“ als Folge von „Pleuramesotheliom“, als Folge von „Asbest“ eingetragen. Die Todesart ist als natürlich klassifiziert. Bei der Zweiten Leichenschau ergeben sich bis auf einen angedeuteten Fassthorax keine Auffälligkeiten. Es erfolgt eine telefonische Rücksprache bei dem Hausarzt zu der Frage, ob er den Tod bei der zuständigen Berufsgenossenschaft gemeldet habe. Der hausärztliche Kollege gibt sich völlig verständnislos: Damit habe er doch nichts zu tun. Über die Angehörigen ermittelt der Zweitleichenschauer die zuständige Berufsgenossenschaft. Dort erfährt er, dass bislang noch gar kein Berufskrankheitsfall angelegt sei. Im Rahmen einer versicherungsmedizinischen Obduktion wird das Pleuramesotheliom gesichert und nach den arbeitstechnischen Ermittlungen als Berufskrankheit (Ziffer 4105) anerkannt. Die Witwe erhält ein Sterbegeld und eine Rente.
Prof. Dr. med. Marcel A. Verhoff, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt, E-Mail via haebl@laekh.de
Theorie und Praxis der Leichenschau Kursleitung: Prof. Dr. med. Marcel A. Verhoff | |
vsl. Termine für 2026: 02.09, 16.09., 23.09. & 30.09.2026 | |
Information und Anmeldung: | Sandra Scherbel, Fon: 06032 782-283 E-Mail: sandra.scherbel@laekh.de, www.akademie-laekh.de |