Antibiotikaresistente Erreger gelten als eine der größten Bedrohungen für unser Gesundheitssystem und werden auch als stille Pandemie bezeichnet. Während sich die Antibiotikaresistenzen immer weiter ausbreiten, sind neue Medikamente als Reservemedikamente kaum in Sicht. Gibt es – neben Hygiene und Infektionsprävention sowie dem zurückhaltenden Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier – Alternativen in der Prävention und Behandlung von Infektionen mit diesen Erregern? Dieser Frage sind zwei Expertinnen bei dem 166. Bad Nauheimer Gespräch in den Räumlichkeiten der Landesärztekammer Hessen in Frankfurt nachgegangen. Prof. Dr. med. Ursel Heudorf moderierte die Veranstaltung, führte zu Beginn in das Thema ein und stellte die beiden Referentinnen vor. 2019 seien weltweit mehr als 4,95 Millionen Menschen im Zusammenhang mit und 1,27 Millionen Menschen an antibiotikaresistenten Erregern verstorben, so Heudorf. Bereits am 31. Oktober 2023 war das Thema stille Pandemie unter dem Aspekt „One Health“ schon einmal Inhalt beim 160. Bad Nauheimer Gespräch (siehe Hessisches Ärzteblatt 1/2024, S. 26f). Prognosen zeichnen ein noch düsteres Bild für die Zukunft. Nun ergänze man die vorangegangenen Veranstaltungen um das Thema Impfung und Phagen, sagte Heudorf. Obwohl Phagen zu einer ähnlichen Zeit entdeckt wurden wie Antibiotika, hätten sich nur Letztere im klinischen Alltag aufgrund ihrer leichten Handhabbarkeit und breiten Wirksamkeit durchgesetzt.
Problem der komplexeren Impfstoffentwicklung
Die Referentin Prof. Dr. med. Isabelle Bekeredjian-Ding ist Direktorin des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Bekeredjian-Ding berichtete über den Stand der Impfstoffentwicklungen gegen Bakterien. Die Forschung auf diesem Gebiet sei im Gegensatz zur Medikamentenentwicklung in der Diabetologie und Onkologie weniger lukrativ für Pharmafirmen. Bei entsprechenden Patienten komme außerdem auf diesem Gebiet noch die Schwierigkeit hinzu, dass diese oftmals immunkompromittiert oder immunsupprimiert seien. Auch weil präsentierte Proteine von entsprechenden Impfstofftypen von den Bakterien verändert würden und es konkurrierende Abwehrmechanismen gebe, sei die Impfstoffentwicklung komplexer als gegen Viren. Die Immunkorrelate seien bei nosokomialen Erregern häufig noch unbekannt und deshalb sei auch noch Grundlagenforschung nötig, so Bekeredjian-Ding. Impfstoffe, die eine Antikörperreaktion auslösen, seien zwar gut, aber auch T-Zellen seien für den Erfolg gegen Bakterien entscheidend. Deren Rolle erfordere ebenso noch Forschung. Bei den bakteriellen Impfstoffen sei gerade bei obligaten intrazellulären Pathogenen das Problem noch vollkommen ungelöst. Bei parasitären Impfstoffen wie gegen Malaria seien zwar Fortschritte erzielt worden, aber in diesem Bereich fehle noch die finanzielle Unterstützung, da Malaria häufig arme Länder betreffe. Bei antiviralen Impfstoffen seien die Fortschritte durchaus gut gewesen, wie etwa mit mRNA-Impfstoffen während der Coronapandemie. Aber diese Erkenntnisse seien nicht ohne weiteres übertragbar. Gegen bestimmte Toxine von Bakterien wie Tetanus oder Diphtherie gebe es auch schon lange gute Impfstoffe, aber bei anderen wie etwa Staphylococcus aureus sei die Impfstoffentwicklung klinisch gescheitert. Der Faktor Zeit erschwere außerdem die Forschung, da von der Kolonisation bis zur Infektion des Patienten sehr unterschiedliche Zeiträume vergehen.
Viele Versuche bereits gescheitert
Anschließend zeigte Bekeredjian-Ding anhand von konkreten Beispielen, woran die Impfstoffentwicklung scheitere. Bei Staphylococcus aureus habe man viele verschiedene Impfstoffe mit unterschiedlichen Ansätzen getestet, beispielsweise mit Antikörpern, gegen Adhärenzfaktoren oder T-Zell-Antworten. Meist seien die Stoffe in der Phase III aufgrund nicht genügender Wirksamkeit gescheitert. Auch bei Escherichia coli, insbesondere enterotoxische E. coli (ETEC), enteropathogene E. coli (EPEC) oder enterohämorrhagische E. coli (EHEC), seien viele Versuche nicht erfolgreich gewesen, aber auch viele Impfstoffe noch in der Entwicklung. Hier sei vor allem die Schwierigkeit durch die Heterogenität der Stämme gegeben. Deshalb konzentriere man sich aktuell nur auf einzelne und besonders gefährliche Stämme.
Hygiene und Antibiotic Stewardship mit Erfolgen
In der anschließenden Diskussion brachte Moderatorin Heudorf noch das Beispiel von Clostridium difficile, dem Bakterium, dessen Toxine in der Kindheit oder nach einer längeren Antibiotikagabe Probleme bereitete. Bekeredjian-Ding sagte, das Bakterium sei ein gutes Beispiel, bei der die Impfstoffentwicklung einerseits auf die Neutralisation der Toxine durch Antikörper, andererseits auf die Prävention der initialen Erregerbesiedlung durch Impfstoffe gegen die bakteriellen Oberflächenstrukturen, abzielte. Erfolge seien aber ausgeblieben.
Bisher sei die Forschungsfrage noch offen, wie sich das Mikrobiom in diesem Komplex verhalte. Die Impfstoffe seien eventuell gescheitert, da das Mikrobiom Clostridium difficile schneller in den Griff bekommen habe als das Immunsystem nach Impfung und deshalb kein Effekt nachweisbar gewesen sei. Insgesamt sei noch viel Forschung nötig. Auf die Frage, wie lange es noch dauere, bis es eine mRNA-Impfung gegen S. aureus gebe, sagte Bekeredjian-Ding, dass das so schnell nicht passiere, da viele Pharmafirmen sich nach den vielen teuren und gescheiterten Versuchen zuvor zurückgezogen hätten. Sie hob abschließend jedoch hervor, dass es insgesamt so gute Fortschritte in der Hygiene und Antibiotic Stewardship gebe, dass man weniger Infektionen sehe.
Phagen mit ungewissen Potenzial
Die zweite Referentin, PD Dr. med. Silvia Würstle, Laborleiterin im Schwerpunkt Infektiologie an der Goethe-Universität Frankfurt und Leiterin einer Arbeitsgruppe zur Bakteriophagentherapie, stellte den aktuellen Forschungsstand zum Nutzen von Bakteriophagen in der Medizin vor. Bakteriophagen sind Viren, die ganz spezifisch Bakterien abtöten. Sie kämen von allen Organismen am häufigsten vor und seien so heterogen, dass es kein Gen gebe, das in allen Bakteriophagen vorkomme. Deshalb habe sich die EU auch gegen eine übergreifende Zulassung als Gruppe ausgesprochen, so Würstle. Schon zur Zeit der Entdeckung der Antibiotika sei auch an Bakteriophagen zum Einsatz in der Medizin geforscht worden. Gerade in Georgien und der ehemaligen Sowjetunion gab und gebe es viel Forschung.
Die hohe Spezifität der Bakteriophagen sei dabei Fluch und Segen zugleich: Zum einen wirkten Bakteriophagen nur an einem Bakterienstamm und schonten so im Gegensatz zu geläufigen Antibiotika das restliche Mikrobiom. Diese Spezifität mache allerdings auf der anderen Seite die Herstellung weitaus aufwendiger, da zuallererst der passende Phage gefunden und vermehrt werden müsse. Dennoch könnten sich auch Phagenresistenzen bilden. Aktuelle Forschung gehe diesem Punkt gerade nach, wie diese evolutionären Änderungen der Rezeptoren am Bakterium genutzt werden könnten, damit die Erreger weniger pathogen für die Patienten würden, berichtete Würstle.
Komplizierte Studienzulassung
Auch seien die klinischen Studien mit Phagen aufwendig. Wolle man einen Phagen testen, würden durch die Zulassungsbehörden der EU die gleichen GMP-Standards (Good Manufacturing Practice) gefordert wie bei herkömmlichen Medikamenten. Dies sei allerdings bei Phagen schwieriger und äußerst kostspielig. So koste die Herstellung für einen spezifischen Phagen 120.000 Euro, und die Haltbarkeit von nur 12 Monaten erschwere die Durchführung klinischer Studien darüber hinaus zusätzlich. In den USA, Belgien und Portugal habe man sich mit Ausnahmeregelungen von den GMP-Standards beholfen, um die Forschung voranzubringen. Erste Daten aus Belgien zeigten eine Bakterieneradikation von 61 Prozent.
Kasuistiken über bemerkenswerte Erfolge
Würstle zeigte anschließend einige Fallbeispiele, bei denen Bakteriophagen unter anderem von ihrem Team schon zur Anwendung gekommen seien. Der beeindruckendste Fall sei eine Patientin in den USA, die einen Aortengraft hatte, der nicht mehr operabel gewesen sei. Die Patientin sei kurz vor Verlegung Intensiv- auf die Palliativstation gewesen, und man habe deshalb noch eine Phagentherapie versucht. Den Phagen sei es gelungen, den dicken Biofilm am Aortengraft zu durchbrechen, so dass Immunsystem und die Antibiotika überhaupt wieder hätten wirken können. So zumindest die Theorie ihres Teams zur Heilung. Ein halbes Jahr nach der Therapie hätte die Patientin wieder als Krankenschwester arbeiten können. Würstle sagte aber auch, dass sie bereits Therapien mit Phagen erlebt habe, die wirkungslos geblieben seien. Größere Nebenwirkungen seien bei korrekter Herstellung und Applikation bisher nicht beobachtet worden.
Diskussion
In der anschließenden Diskussionsrunde kam die Frage nach der klinischen Anwendung aus dem Publikum. Würstle sagte, dass die Applikation sehr unterschiedlich sein könne und sich an der Erkrankung orientiere. Phagen könnten sowohl aufgetragen, intraoperativ, intraartikulär, als Augentropfen als auch inhaliert werden. Prinzipiell sei die Phagentherapie eine selbstlimitierende Therapie, da sich die Phagen nicht mehr fortpflanzen könnten, sobald kein spezifisches Bakterium mehr vorhanden sei. Aktuell bekomme Würstle fünf bis zehn Anfragen von Ärztinnen und Ärzten pro Woche für eine Therapie am Patienten, müsse aber praktisch immer ablehnen oder beispielsweise zu den Kollegen nach Belgien verweisen.
Auf die Frage nach der Herkunft der Phagen sagte Würstle, dass man diese überall finde, am und im Patienten oder in der Umwelt. Dort, wo viele Bakterien seien, seien auch viele Phagen. Das Screening nach dem passenden Phagen sei prinzipiell einfach, nur die Aufbereitung sehr aufwendig. Aktuell versuche man auch, diese Phagen synthetisch herzustellen.
Lukas Reus
Die Aufzeichnung des 166. Bad Nauheimer Gesprächs finden Sie hier.
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