Und was erwarte ich als junge Ärztin oder junger Arzt von der Kammer?

Die Landesärztekammer Hessen sollte sich, wie auch alle ihre Vertreterinnen und Mitglieder, mindestens auf dem gemeinsamen Nenner des Grundgesetzes sowie der demokratischen Grundordnung wiederfinden und dementsprechend jeglichen antidemokratischen, diskriminierenden und populistischen Strömungen Einhalt gebieten. Es geht hier explizit nicht um Parteipolitik, sondern um humanistische Grundwerte, von denen wir erwarten, dass die Kammer eines humanistischen Berufes eines ganzen (Bundes-)Landes diese auch entsprechend vertritt. Das bedeutet auch, dass sexistische, extremistische und antidemokratische Aussagen innerhalb der Kammer konsequent als solche benannt und geahndet werden.

Zudem ist eine der Diversität der Mitglieder angepasste Repräsentation in den berufsständischen Gremien notwendig, um alle Interessen auch repräsentativ vertreten zu können. Unser Appell ist hier, eine Verpflichtung zu schaffen, verschiedene Gruppen entsprechend stärker in den berufspolitischen Fokus zu rücken. Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, dass wir bei der nächsten Kammerwahl nur noch Listen wählen können, die paritätisch besetzt sind.

Unbewusster Rassismus zeigt sich nicht nur in Hautfarbe, sondern auch in der Bewertung sprachlicher Kompetenzen. Ein falsch gesetzter Artikel („der“, „die“, „das“) sollte nicht über ärztliche Qualität entscheiden – entscheidend ist die medizinisch korrekte Botschaft. Rassistische Äußerungen von Patientinnen gegenüber Personal erfordern klare Reaktionen durch Kolleginnen oder Vorgesetzte. Sprachförderung ist wichtig, doch auch Arztbriefe sollten im digitalen Zeitalter neu gedacht werden. Diskriminierung beginnt oft im Kleinen – Reflexion gehört in jede Weiterbildung. Vielfalt in Herkunft und Sprache kann das Team bereichern, wenn wir bereit sind, voneinander zu lernen. Weiterbildung braucht Zeit, Offenheit und strukturelle Sensibilität. So schaffen wir einen respektvollen, professionellen Umgang im Klinikalltag.

Bereits vor der Gründung der ersten Ärztekammer engagierten sich viele Mediziner politisch, etwa in der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. Über zwei Dutzend von ihnen waren aktive Ärzte, einige wie Siegismund Asch und Louis Borchard wurden wegen ihres Einsatzes für Reformen verurteilt. Trotz politischer Rückschläge entstanden später im Deutschen Reich Ärztekammern (z. B. 1877 in Hessen), um die medizinische Ausbildung, Berufsethik und Interessenvertretung zu stärken.

Erst das Aufkommen des Faschismus und der nationalsozialistischen Machtergreifung führte schließlich 1935 zu der gänzlichen Auflösung von Ärztekammern. Davor argumentierte beispielsweise die mecklenburgische Ärztekammer 1933 noch damit, dass sie sich „ausschließlich aus nationaldenkenden Mitgliedern“ zusammensetze und „weder jüdische noch demokratisch marxistische Ärzte vertreten“ seien.

Landesärztekammern sollten im eigenen Interesse die Mitwirkung der Ärzteschaft an politischen und sozialen Fragen fördern, da ihre Arbeit in einer Diktatur nicht mehr gewährleistet wäre. Ausgeprägte Hierarchien, Kadavergehorsam und abgrenzender Korpsgeist sind diktatorische Tugenden und dürfen keinen Platz innerhalb ärztlicher Vereinigungen innehaben.

Nur gemeinsam innerhalb demokratischer Strukturen können wir mittels kollegialer Anerkennung, bedingungsloser Lehre und Wertschätzung auf Augenhöhe unserer Profession in einer fortschrittlichen und zukunftsfähigen Gesellschaft nachgehen.

Warum ÄrztInnen in der aktuellen Zeit nicht apolitisch sein können

Eines steht fest: Ärztinnen und Ärzte sind in der Krankenversorgung der Neutralität verpflichtet und sind für jede Patientin gleichermaßen da, um das Bestmögliche in der Bekämpfung von Erkrankungen und für den Erhalt von Gesundheit für Hilfesuchende zu erreichen.

Anders sieht es aus unserer Sicht bei gesellschaftlichen und politischen Themen aus, insbesondere jenen, die für Gesundheit und ärztliche Behandlung sowie für den Schutz von vulnerablen Gruppen wichtig sind.

Einem von uns Autoren sagte eine nicht-ärztliche Kollegin vor einigen Jahren einmal, dass es zu wenige politisch engagierte ÄrztInnen gebe, die sich für benachteiligte Gruppen einsetzen. Zunächst wurde dem widersprochen, aber mittlerweile stimmen wir der Bemerkung vollkommen zu. Gerade eigenverantwortliche Gremien der Selbstverwaltung und Sprachrohre der Ärzteschaft wie die Landesärztekammer Hessen können und dürfen sich nicht hinter einem falsch verstandenen Neutralitätsgebot verstecken. Gerade in Zeiten, in denen auch innerhalb von Europa Grundrechte gefährdet sind, Grenzen wieder geschlossen werden, Menschengruppen unter Generalverdacht gestellt werden oder Karteien zu psychisch Erkrankten Menschen erstellt werden sollen und rechtsextreme PolitikerInnen viel zu häufig den Diskurs dominieren und so Minderheiten und die Demokratie gefährden. Hier können wir Ärztinnen aus unserer Sicht nicht schweigend zusehen!

Dr. med. Steffen Heltsche, Dr. med. Tschingis Arad, Dr. med. Joscha Schork

Dieser Artikel ist aus dem Forum der jungen Kammer der hessischen Landesärztekammer entstanden und geht auf ein Treffen der Gruppe im ersten Quartal 2025 zurück. Die Beiträge in der Rubrik „Ansichten und Einsichten“ geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.