Im Rahmen des bundesweiten Forschungsprojekts „Polio im Abwasser II“ (PIA II) des Robert Koch-Instituts (RKI) in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt und weiteren Partnern wurden aktuell wiederholt Impf-Polioviren (Vaccine-Derived Poliovirus Type 2 = VDPV2) in Abwasserproben mehrerer Städte nachgewiesen – darunter München, Dresden, Hamburg, Köln, Bonn, Düsseldorf und Mainz. Das Abwassermonitoring dient dabei als Frühwarnsystem, um Polioviren frühzeitig zu erkennen und ggf. Maßnahmen gegen eine Ausbreitung einzuleiten. Das Hessische Landesamt für Gesundheit und Pflege (HLfGP) ruft daher erneut zu erhöhter Wachsamkeit im Hinblick auf poliomyelitistypische Symptome auf.
Polioviren sind hochansteckend
Polioviren sind Erreger der sogenannten Polio(myelitis) oder „Kinderlähmung“. Diese Krankheit gilt nach wie vor als hochansteckend und sehr gefährlich. Eine Infektion mit Polioviren verläuft in den meisten Fällen asymptomatisch und unter Ausbildung neutralisierender Antikörper. Polioviren sind jedoch in der Lage, auch das zentrale Nervensystem anzugreifen, was zu schweren Lähmungen und im schlimmsten Fall zum Tod führen kann. Auch das Post-Polio-Syndrom mit bleibenden Lähmungen und Muskelschwäche kann auftreten.
Besonders Kinder unter fünf Jahren können sich anstecken, aber auch Erwachsene ohne ausreichenden Impfschutz. Die letzte in Deutschland erworbene Polio-Erkrankung wurde 1990 nachgewiesen. Der Erreger wird hauptsächlich fäkal-oral übertragen in seltenen Fällen aerogen.
Abwassermonitoring
Weltweit gibt es zwei Impfstoffe gegen Polio: Einen Impfstoff mit inaktivierten Polioviren (IPV), der in Deutschland seit 1998 verwendet wird, sowie einen Impfstoff mit abgeschwächten, aber lebenden Polioviren (OPV), der als Schluckimpfung verabreicht wird. Im Rahmen des Abwassermonitorings konnten diese abgeschwächten VDPV2 nachgewiesen werden. Das Monitoring kann jedoch keine Aussagen zur Anzahl der infizierten Menschen treffen. Es ist unklar, ob multiple, parallele Importe aus dem Ausland oder lokale Übertragungen der Grund für die Nachweise sind. Aufgrund der langen Dauer des Geschehens und der bundesweiten Nachweise hält es das RKI jedoch für zunehmend wahrscheinlicher, dass es sich zumindest um lokal begrenzte Übertragungen von VDPV2 handelt.
Klinische Poliofälle oder Verdachtsfälle wurden dem RKI bislang nicht gemeldet. Trotz Nachweises im Abwasser wird das Risiko, sich anzustecken, auch aufgrund hoher Impfquoten und guter Hygienebedingungen, als gering eingestuft. Dennoch können sich die VDPV2 nach der Aufnahme im Darm stark vermehren und bei längerer Zirkulation in einer ungeimpften Bevölkerung in seltenen Fällen genetisch durch Rückmutationen erneut Erkrankungen verursachen. Personen, die bereits mit dem IPV-Impfstoff geimpft wurden, sind vor einer Erkrankung geschützt. Sie können sich allerdings infizieren und die Viren ausscheiden.
Schutz der Bevölkerung
Um sich bestmöglich gegen Polio zu schützen, wird vor allem eine vollständige Polio-Impfung empfohlen. Das HLfGP ruft daher dazu auf, den Impfschutz gegen Polio frühzeitig gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu vervollständigen und Impflücken zu schließen. Da Polioviren mit dem Stuhl ausgeschieden werden, sehr umweltstabil sind und durch Schmierinfektionen übertragen werden, ist auf eine effektive Händehygiene zu achten. Im medizinischen Bereich wird die Verwendung geprüfter und anerkannter Desinfektionsmittel des Wirkbereichs viruzid empfohlen.
Das HLfGP weist außerdem auf die gesetzlichen Meldepflichten bei Verdacht auf Poliomyelitis an das zuständige Gesundheitsamt hin. Die Behörde macht auch auf die kostenlose Enterovirusdiagnostik aufmerksam, die zur differenzialdiagnostischen Abklärung von Meningitiden bzw. Enzephalitiden sowie insbesondere von akuten schlaffen Lähmungen genutzt werden kann. Einsendescheine können mit Angabe der gewünschten Menge und der Klinik-/Praxisadresse kostenlos per E-Mail an EVSurv@rki.de angefordert werden.
Dr. Julia Andrea Horstmann, Hess. Landesamt für Gesundheit und Pflege, Abteilung III (ÖGD), Dez. III 1, Mail: julia.horstmann@hlfgp.hessen.de
Weiterführender Link: Epidemiologisches Bulletin 27/2025 des RKI
Das Merkblatt ist abrufbar über die Website des RKI.