In jüngster Zeit kamen Kolleginnen auf mich zu mit der Bitte, das Thema Gewalt gegen die Ärzteschaft und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Klinik und Praxis zu thematisieren.
Was war passiert? Eine Kollegin ist in der Praxis von einem Angehörigen körperlich bedroht worden, meine Mitarbeiterinnen, vor allem in der Pflege, werden in der Notaufnahme verbal angegriffen, mit agressivem und bedrohlichem Auftreten des Gegenübers. Das geht hin bis zur körperlichen Gewalt in unterschiedlicher Ausprägung.
Die Respektlosigkeit hat leider zugenommen, gefühlt vor allem uns Frauen gegenüber. Eine Problemlösung mit diesen Menschen ist auf sachlicher Ebene nicht möglich.
„Wir dürfen uns nicht von der zunehmenden Verrohung der Gesellschaft einschüchtern lassen“
Das Thema der Arbeitsbedingungen in Kliniken in Bezug auf Sexismus und sexualisierter Gewalt gegenüber Ärztinnen (Online-Artikel der ZEIT am 22. Juli 2025) hat Kollegin Dr. med. Susanne Johna in der HÄBL-Ausgabe 10/2025 bereits kommentiert. Es scheint also ein strukturelles Problem zu sein:
Respekt gegenüber Ärztinnen und Ärzten und deren Tätigkeit geht verloren und gleichzeitig stehen Patientinnen und Patienten unter Druck, wenn sie auf der Suche nach ärztlicher Hilfe sind – sei es in Unwissenheit der Wege im Gesundheitssystem, sei es aus Angst und schlicht wegen nicht ausreichender Ressourcen. Letzteres rechtfertigt jedoch niemals ungehöriges Verhalten gegenüber medizinischem Personal.
Die Landesärztekammer Hessen hat einen anonymen Gewaltfragebogen etabliert, damit können wir endlich auch Zahlen generieren und bei der Politik anbringen. Zudem beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe – initiiert von jungen Kolleginnen und Kollegen – mit dem Thema mentale Gesundheit in der Ärzteschaft.
In den Kliniken und für die Praxen werden Deeskalationskurse angeboten, siehe auch die neue teamübergreifende Fortbildung an der Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung gemeinsam mit der Carl-Oelemann-Schule (siehe S. 599). Es gibt darüber hinaus Sicherheitsdienste und bauliche Veränderungen zum Schutz der Mitarbeitenden. Das Problem ist also erkannt, Lösungen werden pragmatisch gesucht.
Was aber macht das mit uns Ärztinnen und Ärzten?
Verändert es unsere Beziehung zu den Patientinnen und Patienten, verlieren wir unsere Empathie und Fürsorge? Unsere Kommunikation? Müssen wir Kurse und Trainings besuchen, um die ärztliche Tätigkeit weiter ausüben zu können?
Mehr denn je sollten wir uns umeinander kümmern, uns gegenseitig unterstützen und stärken, ansprechbar sein für Kolleginnen und Kollegen, denen Gewalt widerfahren ist.
Aufmerksam sein und reagieren, wenn es jemandem nicht (mehr) gut geht, einfach auch mal fragen: „Wie geht es Dir?“ Und diese Frage ernst zu meinen.
Wir dürfen uns nicht von der zunehmenden Verrohung der Gesellschaft einschüchtern lassen. Ohne den Erhalt unsere mentalen Gesundheit können wir das Gesundheitssystem nicht aufrechterhalten.
Ich zumindest versuche bei unverschämtem Verhalten Einzelner, mit ausgesuchter Höflichkeit und maximaler Strenge den Konflikt zu lösen – im Notfall bitte ich aber auch die Polizei hinzu.
Und manchmal sage ich spät abends den Wartenden im Wartebereich der Notaufnahme: „Behandeln Sie uns gut, wir sind die einzigen um diese Uhrzeit, die sich um Sie kümmern!“
Dr. med. Christine Hidas, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen