Schlagzeilen um die Anwendung von Morphin durch Ärzte verunsichern die Öffentlichkeit. Mal ist es der Verdacht auf mehrfache Ermordung von Patienten durch die nicht indizierte Gabe von Morphin – die Unschuldsvermutung gilt natürlich bis zur Verurteilung. Schlagzeilen macht aber auch der wohl nur knappe Freispruch eines wegen Mordes angeklagten Intensivmediziners aus Kelheim nach der Gabe von Morphin mit langwieriger und widersprüchlicher Anklage und Verhandlung, garniert mit einer Untersuchungshaft von etwa 420 Tagen.

Täglich begleiten Kolleginnen und Kollegen sterbende Menschen. Derzeit stirbt ca. die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland im Krankenhaus und davon die Hälfte auf der Intensivstation. Todesfälle ambulant und in den Kliniken ereignen sich plötzlich und unerwartet, zum Beispiel bei einem plötzlichen Herztod oder rupturierendem Aneurysma, im Notarztwagen oder der Notaufnahme. Menschen sterben auf den Intensivstationen meist mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf an schweren Erkrankungen und Folgen wie beispielsweise einer Sepsis oder einem Multiorganversagen.

Eindeutig ist der Wunsch von Patienten, Angehörigen und begleitenden Ärztinnen und Ärzten dagegen auf der Palliativstation. Dabei ist die Situation der Patientinnen und Patienten und ihr Sterben individuell, wenig vorhersehbar und lässt sich schwer in Leitlinien fassen. Immer steht das Bemühen um die Patientinnen und Patienten im Vordergrund und umfasst sowohl die initiale Lebenserhaltung als auch ein würdiges Sterben.

Lassen Sie es mich verdeutlichen: Leitschnur unseres Handelns sind Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und das Genfer Gelöbnis: „Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren. Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren.“ Es ist notwendig und richtig, Verfehlungen gegen diese Prinzipien zu ahnden. Dazu braucht es klare Gesetze und eine unabhängige und qualifizierte Justiz mit all ihren Prinzipien, von der Unschuldsvermutung, Akribie bei der Aufklärung bis zur Urteilsfindung „sine ira et studio“.

Wie gehen wir jetzt damit um, dass Morphin als eines der wichtigsten Medikamente in der Palliation plötzlich so kritisch beurteilt wird? Wie steuern wir die Behandlung, ohne dass der Patient leidet und die Ärztin/der Arzt einem Tötungsvorwurf ausgesetzt wird? Und dabei gibt es noch viele andere Medikamente und Prozeduren wie Katecholamine, Antiobiotika, Beatmung, ECMO und Dialyse, deren Indikation und Fortführung fortlaufend überprüft werden müssen.

Das Team von Intensivmedizinern und Palliativmedizinern, Pflege und Ärzte, und jeder ambulante Hausarzt und Palliativmediziner stellen sich immer und immer wieder die Frage nach dem Behandlungsziel. Diese Frage muss jeden Tag erneut klar beantwortet werden. Erst dann können auch Mitentscheider wie Angehörige oder Bevollmächtigte sinnvoll einbezogen werden.

Leitlinien der Fachgesellschaften können helfen, sind aber reichlich abstrakt. Es gibt keinen standardisierten Krankheitsverlauf oder Lebensende. Für die ärztliche Entscheidung macht es letztlich keinen Unterschied, ob eine Reanimation beendet wird, der FiO2 der Beatmung reduziert wird oder ob nach einer Morphingabe das Leben endet. Die pathophysiologischen Zusammenhänge sind so komplex, dass wir uns nicht anmaßen sollten, sie wirklich zu verstehen.

Die Justiz geht davon aus, dass jede ärztliche Maßnahme vor dem Tod eines Patienten ein Tötungsdelikt sein könnte. Das heißt aber nicht, dass wir als Ärztinnen und Ärzte den sterbenden Patienten allein lassen dürfen. Wir müssen unsere Ziele genau definieren, konsentieren und dokumentieren. Wir müssen der Justiz das Gefühl geben, dass alles im besten Interesse des Patienten geregelt wurde. Die Justiz wird aber auch anerkennen müssen, dass der Sterbeverlauf nicht normierbar ist und Spielräume für den Einsatz von Medikamenten wie auch Morphinen oder das Beenden von lebenserhaltenden Techniken aus ärztlicher Sicht erhalten bleiben müssen.

Dr. med. Wolf Andreas Fach, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen und Vorsitzender des BDI-Landesverbandes Hessen, E-Mail via: haebl@laekh.de

Link zum Bericht

Über den aktuellen Fall haben die Medien berichtet. Frei abrufbar ist zum Beispiel ein Bericht auf BR24 vom 30.07.2025 „Tod eines Patienten in Kelheim: Angeklagter Arzt freigesprochen“.

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