Gekürzter Nachdruck aus DHZ – Das Mitgliedermagazin für hessische Zahnärztinnen und Zahnärzte, Ausgabe 7–8 2025.

Um nichts Geringeres als eine der führenden Ursachen für Tod und Behinderung in Europa ging es bei dem 167. Bad Nauheimer Gespräch. Unter dem Titel „Herausforderung Adipositas: Neue Optionen für eine wirksame Prävention und Behandlung “ stellte der renommierte Adipositas- und Diabetesforscher Prof. Dr. med. Hans Hauner aktuellste Forschungsergebnisse vor. Dabei machte er klar, dass neben den Betroffenen selbst auch Gesellschaft und Politik gefordert sind.

Adipositas ist aktuell ein großes gesellschaftliches Problem, wie Prof. Dr. med. Ursel Heudorf einleitend feststellte. Als Moderatorin führte sie auch durch diese Veranstaltung und übergab nach einer kurzen Vorstellung seiner Person das Wort an Prof. Dr. med. Hans Hauner, Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin in München, dessen Hauptforschungsgebiete Adipositas und Diabetes sind.

Hauner veranschaulichte zunächst das aktuelle Ausmaß: Ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland seien mit einem Body Mass Index (BMI) von größer als 30 adipös. 60 Prozent haben einen BMI von mehr als 27 und gelten damit als übergewichtig. Tendenz steigend. Männer seien stärker betroffen als Frauen. Allerdings überholen die Frauen die Männer gewichtsmäßig im Alter zwischen 60 und 80 Jahren. Dann gebe es fast keine normalgewichtigen Menschen mehr.

Das sei besonders dramatisch, da zu viel Körperfett eine Vielzahl von Erkrankungen begünstigen kann. Das wiederum wirke sich auch negativ auf das Gesundheitssystem aus. Da die Erkrankung sichtbar ist, haben Betroffene zusätzlich mit Stigmatisierung und Diskriminierung zu kämpfen.

Verschiedene Faktoren

Die Ursache für die Zunahme von Übergewicht und Adipositas liege in einem Zusammenspiel von individuellen, sozialen, politischen und ökonomischen Faktoren. Sich bei der Behandlung nur auf einen zu beschränken, führe daher kaum zum Erfolg. Insgesamt 700 Einflussfaktoren wurden identifiziert, die miteinander zusammenhängen. Dabei ist Adipositas zu 50 Prozent genetisch geprägt. Allerdings bestimme unsere Umgebung, wie stark sich diese Belastung auswirkt. Entscheidend sei vor allem der Lebensstil. Am besten wäre es, mit Prävention der Entstehung von Adipositas vorzubeugen, sodass Menschen ihr Normalgewicht halten können.

Hauner erläuterte anschließend die verschiedenen Elemente aktueller Behandlungskonzepte. Wichtig sei, dass am Anfang immer eine Anamnese steht. Sie erfasse den Hintergrund, warum eine Person adipös geworden ist, die Diagnostik und die Motivation. Auf dieser Basis werde ein persönlicher Therapieplan erstellt.

Therapiemöglichkeiten

Wenn Ernährungsumstellung, Bewegungssteigerung und Verhaltensänderung nicht ausreichen, stehen mit Medikamenten und Adipositas-Chirurgie weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Bei den Medikamenten seien aktuell vier verfügbar: Orlistat, Liraglutid, Semaglutid und Tirzepatid. Die bereits aus der Diabetesbehandlung bekannten Wirkstoffe seien alle verschreibungspflichtig, werden aber von den Krankenkassen für die Adipositasbehandlung nicht übernommen. Sie seien im Allgemeinen gut verträglich und markierten einen Zeitenwandel in der medikamentösen Behandlung von Adipositas. Für den richtigen Einsatz und Dosierung brauche es medizinischen Sachverstand, weshalb die Einnahme unbedingt unter medizinische Betreuung gehöre.

Chirurgische Eingriffe (Schlauchmagen oder Magen-Bypass) bieten vor allem Menschen mit einem BMI über 40, also 120 kg aufwärts, Hilfe, bei denen nichts anderes funktioniert hat.

Von den insgesamt guten Therapiemöglichkeiten seien DIGA-Leistungen (Digitale Gesundheitsanwendungen) die einzigen, auf die Betroffene einen Rechtsanspruch haben. Vor diesem Hintergrund spricht Hauner von einer katastrophalen Unterversorgung in Deutschland. Aus seiner Sicht haben Menschen durchaus eine Eigenverantwortung, sie dürfen aber nicht alleine gelassen werden.

Gesellschaft und Politik gefordert

In Deutschland seien die Menschen bereit für stärkere Maßnahmen. Allerdings stoße die Zuckersteuer in Deutschland politisch auf heftigen Widerstand und wurde immer wieder abgewiegelt. Dabei sei sie durchaus üblich, sowohl in europäischen als auch arabischen Staaten. Initiativen der vergangenen Jahre, wie die Einführung des Nutriscore oder die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie zur Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln könne man als gescheitert, weil wirkungslos betrachten. Abschließend vertieften Hauner und Heudorf in der Diskussion mit dem On- und Offline-Publikum das Thema vor allem durch Fragen rund um eine mögliche Ernährungsveränderung, Auswirkungen von Psychopharmaka auf das Gewicht und die Zuständigkeiten der verschiedenen Ministerien für die entsprechenden Maßnahmen.

Anke Schölzel, freie Autorin