Es überrascht, wie viele Aspekte zur Geschichte der NS-Diktatur, insbesondere der Zusammenhang mit Medizin, immer noch als weiße Flecken begriffen werden müssen. Gine Elsner beleuchtet nun in ihrem neuen Buch den Zusammenhang von Medizin, den Freikorps (paramilitärische Vereinigungen, die später in die SA eingegliedert wurden), den studentischen Korporationen und militärischer Orientierung. Die Sehnsucht nach Karrierechancen im NS-Staat sprach vor allem auch Mediziner sehr stark an. Widerstand gegen den NS-Staat war hier wie auch in anderen Berufsgruppen eher gering ausgeprägt.

Unterschieden sich die Ärzte, welche im nationalsozialistischen System funktionierten, ihm halfen, von denen, die Widerstand leisteten? Manche brachten sich in scheinbar „wissenschaftliche Forschung“ ein, zur vermeintlichen Abwehr von Seuchen (zum Beispiel Fleckfieberversuche in den KZ, oder zur Erforschung der Grundlagen des „rassistischen“ Denkens. Manche glitten vollends in die separatistische Ideologie und führten grausame Menschenversuche durch. Hierzu bedienten sie sich ohne Hemmungen des angebotenen „Menschenmaterials“ in den Konzentrationslagern.

Für das so genannte Euthanasieprogramm wurden eher ältere, berufserfahrene Ärzte in den Dienst gestellt. In den Konzentrationslagern waren die Ärzte weniger berufserfahren und deutlich jünger. Im Buch ist so gut wie kein Frauenname zu finden. Elsner arbeitet diesen, oft übersehenen Zusammenhang mit den studentischen Korporationen und dem Kolonialismus auf und vermittelt wichtige und bisher nicht gekannte Einblicke in diesem Zusammenhang.

Dr. med. Siegmund Drexler