Die spondylotische zervikale Myelopathie ist ein mannigfaltiges Krankheitsbild des älteren Patienten, welches aufgrund des demografischen Wandels und der damit stetig steigenden Inzidenz im klinischen Alltag immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Die Diagnostik und Indikationsstellung ist hierbei auch aufgrund des schleichenden klinischen Verlaufs der Erkrankung nicht immer ganz einfach. Der vorliegende Fallbericht soll unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinien einen kompakten Überblick über die Ursachen, die Diagnostik und die Behandlung der zervikalen spondylotischen Myelopathie geben [1, 2].
Als pathophysiologische Grundlage der Erkrankung gelten mechanische und ischämische Faktoren sowie eine verminderte Liquorzirkulation, welche konsekutiv primär und auch sekundär über eine Entzündungsreaktion zu einer schleichenden Schädigung des zervikalen Myelons führen. Durch Wechselwirkung von degenerativen Prozessen und den sich aus ihnen entwickelnden Instabilitäten kommt es zu einer sukzessiven Verengung des Spinalkanals durch reaktive Hypertrophie des Lig. flavum, Bandscheibenprotrusionen/-vorfällen und Spondylophyten [1, 2].
Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen 64-jährigen männlichen Patienten, welcher sich aufgrund einer seit mehreren Monaten progredienten Gangunsicherheit sowie Parästhesien und Feinmotorikstörungen beider Hände in unserer Ambulanzsprechstunde vorstellte. In der klinischen Untersuchung fanden sich zudem gesteigerte Reflexe der unteren Extremitäten. Weitere typische Symptome können vegetative Dysfunktionen mit Blasen-, Mastdarm- und Potenzstörungen sein. Auch radikuläre Syndrome der oberen Extremitäten mit Schmerzen in der Halswirbelsäule dorsal und im Schulter-/Armbereich können Hinweise auf die Erkrankung geben. In ausgeprägten Fällen können auch Paraspastik mit zentraler Beinparese und Stand- und Gangataxie auftreten (Abb. 1).
Die Diagnosesicherung erfolgt neben der Anamnese und den klinischen-neurologischen Untersuchungsbefunden vor allem über die Bildgebung mittels MRT und ergänzenden elektrophysiologischen Untersuchungen (SEP und MEP).
Im hier beschriebenen Fall fiel in der MRT der Halswirbelsäule (HWS) eine hochgradige Spinalkanalstenose der Segmente HW4/5, HW5/6 und HW6/7 mit korrespondierender hyperintenser Läsion des Halsmarks in der T2-Sequenz auf, wie sie bereits im Frühstadium der Erkrankung typisch ist. Im weiteren Verlauf können auch simultane Veränderungen der T1-Sequenz im Sinne einer Hypointensität auftreten. Bildmorphologisch wird häufig auch das owl-eyes sign oder snake-eyes sign beschrieben, eine symmetrische Hyperintensität in der axialen T2-Sequenz im Bereich der Rückenmarksvorderhörner, wie sie auch bei dem Patienten zu finden ist (Abb 2.). In 7 % der Fälle kommt es auch zu einer Kontrastmittelanreicherung in der MRT. Im Falle einer operativen Therapie sollte die Bildgebung um eine Rö.- und CT-HWS ergänzt werden [1].
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch sollten chronisch entzündliche ZNS-Erkrankungen wie z. B. Multiple Sklerose als auch ischämisch-/mikroangiopathische Erkrankungen ausgeschlossen werden. In selten Fällen muss auch an eine funikuläre Myelose im Rahmen einer Vitamin-B12-Mangelerkrankung oder an einen astrozytären Tumor gedacht werden. Eine Liquordiagnostik kann daher in einigen Fällen angezeigt sein [1].
Im hier beschriebenen Fall konnte die Diagnose jedoch bereits aufgrund der eindeutigen klinischen Untersuchungsbefunde in Verbindung mit Anamnese und den korrelierenden bildmorphologischen Ergebnissen der MRT, wie in den Abbildungen dargestellt, zweifelsfrei gesichert werden. Aufgrund der progredienten Beschwerden wurde die Indikation zur operativen Therapie gestellt.
Konservative und operative Therapie
Das therapeutische Vorgehen orientiert sich im Wesentlichen an der Schwere und Progredienz der Symptomatik, eine konservative Therapie kann nach derzeitigem Kenntnisstand bei minimalen und nicht bis wenig progredienten neurologischen Defiziten und höherem Lebensalter versucht werden, sollte jedoch eine engmaschige klinische Verlaufskontrolle von anfänglich sechs Wochen und im Verlauf von sechs Monaten umfassen.
Patienten, die einer konservativen Therapie zugeführt werden, müssen über die erhöhte Gefahr eines Querschnittsyndroms im Falle eines HWS-Traumas aufgeklärt werden. Die konservative Therapie umfasst die Anpassung einer Halskrawatte, Physiotherapie und physikalische sowie medikamentöse Therapie mittels Antiphlogistika, Analgetika und Muskelrelaxantien. In den meisten Fällen ist die Erkrankung jedoch progredient und daher eine Domäne der operativen Therapie, wobei eine vollständige Remission der Symptome in den wenigsten Fällen erreicht wird. Wichtig ist es, die Patienten darüber aufzuklären, dass die Verhinderung der weiteren Progredienz der Erkrankung das wesentliche Ziel der Operation darstellt [1].
Klare Indikationen für eine operative Therapie sind eine rasche, progrediente Verschlechterung der Symptomatik insbesondere mit vegetativen neurologischen Defiziten (Blasenfunktions-, Mastdarmfunktions- und Potenzstörungen). Entscheidend für die Prognose einer operativen Therapie ist die Zeit der bestehenden Symptomatik bis zum Eingriff. Im Wesentlichen werden dorsale und ventrale Verfahren je nach Konfiguration der Pathologie unterschieden, welche auch kombiniert eingesetzt werden [3].
Im vorliegenden Fall wurden beide Verfahren kombiniert und eine dorsoventrale Dekompression und Spondylodese der betroffenen HWS-Segmente durchgeführt. Von ventral wird hier die Bandscheibe des betroffenen Segments entfernt und durch einen Platzhalter (Cage) aus Titan oder Polyetheretherketon ersetzt. Von dorsal werden das Ligamentum flavum sowie die Wirbelbögen reseziert. Eine Stabilisation erfolgte mit einem Schrauben-Stab-System im Bereich der Massa lateralis.
Der Patient konnte nach operativer Versorgung und einem stationären Aufenthalt von sieben Tagen in die Häuslichkeit entlassen werden.
Postoperativ wurde das Tragen einer Halskrawatte für sechs bis acht Wochen empfohlen. Zur Konsolidierung des operativen Erfolgs wurde die Durchführung einer neurologischen Anschlussheilbehandlung empfohlen.
In der anschließenden Wiedervorstellung zur klinischen- und bildmorphologischen Verlaufskontrolle präsentierte sich der Patient mit einer regredienten Symptomatik und einer regelrechten Materiallage in der Röntgen-HWS (Abb. 3 und Abb. 4).
Entscheidend für den Behandlungserfolg ist das rechtzeitige Erkennen der Symptome und die interdisziplinäre Koordination von Diagnostik und sich anschließender Behandlung.
Die Literaturhinweise finden Sie hier.