Mit der Ausstellung „Suzanne Duchamp. Retrospektive“ zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt erstmals in Deutschland eine umfangreiche Überblicksschau zum Werk der Künstlerin Suzanne Duchamp (1889–1963). Als jüngere Schwester von Marcel Duchamp war sie früh in den Pariser und später auch transatlantischen Dada-Kreisen vernetzt, entwickelte jedoch eine eigenständige Bildsprache, in der sich Elemente aus Technik, Schrift, Malerei und Symbolsystemen verbinden. Rund 80 Werke aus internationalen Sammlungen geben Einblick in ein künstlerisches Schaffen, das fast fünf Jahrzehnte umfasst – und kunsthistorisch lange weniger beachtet wurde als das ihrer männlichen Zeitgenossen.
Visuelle Ordnungsprinzipien
Ab 1916 bewegt sich Duchamp im Umfeld von Dada in Paris, in Austausch mit Marcel Duchamp, Francis Picabia und Jean Crotti. Während andere Vertreter der Bewegung auf Provokation oder Dekonstruktion setzten, nutzt Duchamp diagrammartige Strukturen, Schriftzeichen und mathematische Fragmente als bildnerische Mittel. Ihr Interesse gilt weniger dem Bruch mit der Kunst als der Untersuchung visueller Ordnungsprinzipien.
Besonders deutlich wird dies in zwei Werken von 1920. „Fabrique de Joie (Fabrik der Freude)“ kombiniert Gouache, Aquarell, Bleistift und Tinte zu einer offenen, flächigen Struktur aus Linien, Formeln und Textfragmenten. Die Arbeit greift die Sprache technischer Zeichnung auf, ohne sich funktional lesen zu lassen, und zeigt Duchamps Interesse an der Gleichrangigkeit von Schrift, Bild und Zeichen.
Auch „Le Readymade Malheureux de Marcel (Das unglückliche Readymade von Marcel)“ verweist auf ihr Umfeld, ohne es zu imitieren. Das 81 × 60 cm große Ölbild überträgt das von Marcel Duchamp initiierte Experiment – ein Geometriebuch, dem Wetter ausgesetzt – in malerische Form. Statt die Geste des Zufalls zu wiederholen, registriert Suzanne Duchamp deren Ergebnis und macht es zum Motiv. So reflektiert sie das Readymade, ohne dessen Konzept zu übernehmen.
In den 1930er- und 1940er-Jahren arbeitet Duchamp zurückgezogen in Paris, unter anderem als Krankenschwester. Ihre Bilder werden kleiner, persönlicher, häufig in Aquarelltechnik. In den 1950er-Jahren wendet sie sich erneut abstrakteren Kompositionen zu, in denen Linienrhythmen, Spiralen und Farbfelder dominieren.
Die Ausstellung in Frankfurt rückt eine Künstlerin in den Blick, die in den internationalen Avantgarden präsent war, aber kunsthistorisch oft übersehen wurde. Duchamp erscheint hier nicht als Ergänzung zu Marcel, sondern als eigenständige Stimme innerhalb der Dada-Bewegung – mit einer konsequent analytischen, zugleich offen assoziativen Bildsprache.
Die Ausstellung ist bis zum 11. Januar 2026 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen, die wegen Sanierung des Gebäudes am Römerberg nach Bockenheim in Räume der ehemaligen Dondorf Druckerei gezogen ist. Weitere Informationen unter www.schirn.de.
Maren Siepmann


