Die Bereitschaft zur Organspende ist in Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern gering. Nach meinen Erfahrungen und denen meiner ärztlichen Kolleginnen und Kollegen lehnen die meisten Menschen hierzulande eine Organspende nicht grundsätzlich ab. Das Problem ist vielmehr, dass nur wenige zu Lebzeiten eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende treffen und diese dokumentieren, beispielsweise in Form eines Organspendeausweises oder einer Patientenverfügung.
Liegt eine solche Entscheidung bei den Gesprächen auf der Intensivstation über eine mögliche Organspende vor, führt das zu einer deutlichen Entlastung bei allen Beteiligten. Liegt diese nicht vor, müssen die Angehörigen in einer sowieso schon sehr belasteten Situation, in welcher sie den plötzlichen Verlust eines nahen Angehörigen verarbeiten müssen, auch noch eine Entscheidung zur Organspende treffen. In vielen Fällen führt dies dazu, dass Angehörige aus Unsicherheit über den Willen des Verstorbenen eine Organspende ablehnen.
Als Transplantationsbeauftragte am Universitätsklinikum Gießen und Marburg bin ich in Gesprächen mit Angehörigen immer wieder mit der Frage konfrontiert: „Organspende – erlaubt das meine Religion überhaupt?“
Angehörige wissen oft nicht, was ihre Religion dazu sagt. Aber auch beim medizinischen Personal stoße ich immer wieder auf Vorbehalte, Unsicherheiten und Unwissen bezüglich der Haltung zur Organspende in verschiedenen Religionen. Aber in allen Religionen, das zeigte unsere Podiumsdiskussion (siehe vorheriger Artikel), ist Organspende ein Akt der Nächsten- liebe. Allerdings kein Muss und immer eine freiwillige Entscheidung.
Uns am UKGM war außerdem die Vernetzung und Kontaktaufnahme mit den regionalen religiösen Gemeinden in Gießen ein Anliegen, um Ansprechpartner zu finden, die neben der Krankenhausseelsorge kontaktiert werden können, um Angehörigen in dieser schwierigen Situation als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, sie unabhängig vom medizinischen Personal zu informieren, zu unterstützen und ihnen damit zu helfen, eine gute Entscheidung treffen zu können.
Ob diese Entscheidung letztendlich für oder gegen eine Organspende ausfällt, ist sekundär. Wenn aber Vertreter des Judentums und des Islam in ihren Positionen zur Organspende betonen, das „wer ein Leben rettet, die ganze Welt rettet“, so ist dies ein starkes Statement, welches die positiven Aspekte der Organspende – Leben retten – in den Fokus nimmt.
Weder die behandelnden Ärztinnen und Ärzte auf den Intensivstationen noch die Vertreterinnen und Vertreter der Glaubensgemeinschaften haben die Absicht, Hinterbliebene zu einer Zustimmung zur Organspende zu drängen. Unser Anliegen ist es vielmehr, Menschen zu Lebzeiten zu einer klaren Entscheidung, Organspende ja oder nein, zu ermutigen. Daher der Appell: Entscheide selbst! Damit andere nicht für dich entscheiden müssen.
Sabine Moos, Fachärztin für Innere Medizin, Transplantations- beauftragte des Uniklinikums Gießen und Marburg (UKGM), Standort Gießen, E-Mail: sabine.moos@uk-gm.de