Reihe Kommunismus und Gesellschaft, Band 12, Ch. Links Verlag, Berlin 2022, 280 Seiten, 25 €, ISBN: 9783962891671
Florian Bruns rekonstruiert anhand von Eingaben und Archivquellen die Patientenperspektive auf das DDR-Gesundheitswesen in der Ära Honecker. Er stützt sich auf drei Quellengruppen: erstens Eingaben, die Patienten oder Angehörige zwischen 1971 und 1989 an die SED-Zentrale, an das Gesundheitsministerium oder an Honecker persönlich richteten, zweitens Antworten auf diese Eingaben mitsamt internem Schriftverkehr sowie drittens Aktenmaterial aus dem Ministerium für Gesundheitswesen (MfG), das Eingaben auf übergeordneter Ebene auswertete.
Schwierigkeiten im Bereich der Arzneimittelversorgung waren im DDR-Gesundheitswesen an der Tagesordnung, und sehr oft wurden Notlagen durch individuelle Ausnahmeregelungen behoben. Der Autor bietet in seiner Untersuchung eine Kombination aus Struktur- und Alltagsgeschichte, mit der gesundheitlichen Versorgung im Mittelpunkt. Die Geschichten, die Patienten oder Angehörige hier erzählen, liefern Hinweise darauf, wie die Menschen das sozialistische Gesundheitswesen wahrnahmen.
Die Zuteilung der Personal- und Sachmittel – vom Universitätsklinikum bis zur kleinsten Poliklinik – hing direkt vom Volkswirtschaftsplan ab, war also eng an die ökonomische Entwicklung der DDR gekoppelt. Die zentrale Rolle des Staates beim Gesundheitsschutz war dabei ideologisch gesetzt. Viele Eingabenverfasser beriefen sich auf einen Idealtypus sozialistischer Gesundheitsfürsorge, die auf SED-Parteitagen und in den Medien propagiert wurde, in der Realität aber kaum vorzufinden war. Das Grundproblem der mangelnden Finanzierung belastete das Gesundheitswesen durchgängig von 1971 bis 1989.
Den Schwierigkeiten bei der Rekrutierung und Motivation des medizinischen Personals standen Mängel bei der Infrastruktur und in der Arzneimittelversorgung gegenüber. Bauliche Mängel, rückständige Haus- und Medizintechnik sowie Personalmangel führten immer wieder zur Schließung von Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land. Eingaben zu gesundheitlichen Fragen und Problemen markieren gleichzeitig einen besonderen Kommunikationsraum im Gesundheitswesen, der zwar nicht herrschaftsfrei war, aber doch die Möglichkeit bot, Kritik zu äußern, Missstände zu benennen und auf die Diskrepanz zwischen gesundheitspolitischem Ideal und realsozialistischer Wirklichkeit hinzuweisen.
Ein aufschlussreiches Buch, das die Entwicklung des Gesundheitswesens der DDR der Ära Honecker in der Zeit von 1971 bis 1989, seine Mängel, Defizite, Missstände, Diskrepanzen und Konflikte aus der Patientenperspektive aufzeigt und referiert. Dr. med. Paul Kokott, Salzgitter
Die Rezension wird auch im Niedersächsischen Ärzteblatt abgedruckt.