Interview mit Prof. Dr. med. Steffen Gramminger, Geschäftsführender Direktor der Hessischen Krankenhausgesellschaft e. V. (HKG), zur geplanten Krankenhausreform und ihren Folgen.

Wie sieht derzeit die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser aus?

Prof. Dr. Steffen Gramminger: Die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser ist so dramatisch wie noch nie. Wir brauchen dringend die seit Monaten geforderten Inflations- und Tarifausgleiche, ansonsten geht den Krankenhäusern die Luft aus. Die bisherigen Maßnahmen waren Soforthilfemaßnahmen, welche 2022 und 2023 kurzfristig die Liquidität stabilisierten, aber keine dauerhafte Refinanzierung der erheblich gestiegenen Kosten gewährleisten.

Außerdem verzeichnen wir seit der Coronapandemie Fallzahlenrückgänge, im Durchschnitt sind das 10 bis 11 % weniger Fälle pro Jahr. Dafür gibt es mehrere Gründe, aber insbesondere ist der Fachpersonalmangel hierfür verantwortlich. Viele Krankenhäuser müssen immer wieder Betten sperren und können somit nicht ihre Stationen voll belegen. Statistisch resultieren leere Betten und gleichzeitig gehen die Erlöse zurück.

Neben steigenden Kosten und fehlenden Erlösen kommen die seit vielen Jahren unzureichenden Fördermittel hinzu. Krankenhäuser mussten Kredite aufnehmen, um notwendige Investitionen zu tätigen. Abschreibungen und Zinsen wurden mit steigenden Fallzahlen und Erlössteigerungen bezahlt. Dieses Geschäftsmodell, in welches die Krankenhäuser hineingetrieben wurden, fliegt uns jetzt um die Ohren. Steigende Sach- und Personalkosten, verminderte Erlöse und steigende Zinskosten. Ein Gemisch, mit dem 80 % der Krankenhäuser rote Zahlen schreiben.

Was muss kurzfristig geschehen, um die stationäre Krankenversorgung zu sichern?

Gramminger:Zunächst muss eine Soforthilfe erfolgen. Wie in der Bundesratserschließung vom November 2023 von den Ländern gefordert, muss eine 4%ige Steigerung der Landesbasisfallwerte erfolgen, um die Inflationskostensteigerungen der Jahre 2022 und 2023 auszugleichen. Mindestens muss aber der Landesbasisfallwert rückwirkend zum 01.01.2024 basiswirksam um 2 % auf den Kostenorientierungswert angeglichen werden. Außerdem kommt die Krankenhausreform einerseits zu spät und andererseits ist die Vorhaltefinanzierung in der bisherigen Form völlig ungeeignet und muss dringend überarbeitet werden. Zwischenzeitlich könnten vorhandene Zuschläge wie der Sicherstellungszuschlag, die Zuschläge der Notfallversorgung oder die Zuschläge für besondere Fachbereiche schnell und unbürokratisch erhöht werden. Damit würde man nicht mit der Gießkanne Gelder verteilen, sondern ganz gezielt besonders notwendige Krankenhausstandorte sichern. Wir brauchen eine solche Stabilisierung jetzt. Sonst baut man die neuen Krankenhausstrukturen auf Treibsand bzw. verliert Strukturen, welche man später mit viel Geld wieder aufbauen muss.

Aber klar ist auch: Wir müssen an die Strukturen ran! Es geht nicht nur um die Wirtschaftlichkeit der stationären Versorgung. Wir müssen vor allem auch lernen, mit dem Fachpersonalmangel umzugehen und unsere Patientenbehandlung wesentlich effizienter gestalten. Hierzu müssen wir die Spezialisierung, die Ambulantisierung und die Digitalisierung fördern sowie die starren Sektorengrenzen auflösen. Den Patientinnen und Patienten ist es völlig egal, welcher Sektor für sie zuständig ist – sie wollen einfach nur gut behandelt werden – am besten sektorenfrei. Dennoch müssen wir auch ehrlicher zu unserer Bevölkerung werden. Gute und schnelle Behandlung zu jeder Zeit an jedem Ort ist kein Automatismus und wird auch nicht immer zu gewährleisten sein.

Wie schätzen Sie den aktuellen Stand der Verhandlungen zur Krankenhausreform ein und welche Auswirkungen sehen Sie für Hessen?

Gramminger: Grundsätzlich betrachtet, greift die Krankenhausreform zu kurz. Eigentlich brauchen wir eine Gesundheitsreform. Ob ambulant, stationär, im Rettungsdienst oder in der Pflege: Wir alle haben mit den aktuellen Herausforderungen zu kämpfen. Nur wenn wir die Zusammenarbeit stärken und vom Sektorendenken wegkommen, können wir unsere Effizienz steigern. Leider tun wir uns hier schon seit Jahren sehr schwer.

Hinzukommt, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass sich die Bundespolitik völlig verrannt hat. Es geht nicht mehr um die besten Lösungen, sondern nur noch um das Durchsetzen seiner eigenen Vorstellungen. Vieles ist geprägt von Fraktionszwang anstatt von einem konstruktiven Miteinander. So sind Bund und Länder momentan völlig zerstritten und man muss große Bedenken haben, inwiefern die Reform, die wir alle dringend benötigen, überhaupt zustande kommt.

Der Zeitplan ist jetzt schon nicht mehr zu halten. Selbst wenn das neue Gesetz zum 01.01.2025 in Kraft tritt, dauert es noch mindestens zwei Jahre, bis die Krankenhausreform mit ihren Leistungsgruppen und der Vorhaltefinanzierung an den Start gehen kann, und nochmals mindestens ein Jahr, bis die ersten Auswirkungen zu verzeichnen sein werden. Hessen wäre gut beraten, nicht auf Berlin zu warten, sondern ähnlich wie Nordrhein-Westfalen (NRW) das Handeln selbst in die Hand zu nehmen. Orientierend an den Leistungsgruppen aus NRW können wir auch in Hessen eine neue und zukunftsorientierte Krankenhausplanung angehen und uns vor allem für eine sektorenfreie Gesundheitsplanung einsetzen.

Mit Inkrafttreten des Krankenhaustransparenzgesetzes wird das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) seinen Auftrag vom BMG umsetzen und jeden stationären Fall einer Leistungsgruppe zuordnen müssen. Dieser Algorithmus entspricht dann in keiner Weise dem Vorgehen in NRW, da dort ein Großteil der Fälle nach der Weiterbildungsverordnung und nach entlassener Fachabteilung zugeordnet wird. Da anhand der Leistungsgruppen aber das Vorhaltebudget verteilt werden soll, wird das InEK streng nach ICD und OPs zuordnen. Es ist zu befürchten, dass im Resultat dann verschiedene Systeme nebeneinanderher existieren.

Neben diesen „technischen Herausforderungen “ müssen wir vor allem auch die regionalen Besonderheiten und die demografischen Entwicklungen im Blick haben. Hier brauchen wir den nötigen Freiraum in den Ländern – auch in Hessen. Es existieren im Vogelsbergkreis völlig andere Voraussetzungen als in Frankfurt.

Insgesamt bin ich für Hessen guter Dinge. Viele Krankenhäuser sprechen schon jetzt untereinander, wie man die Krankenhausleistungen besser aufeinander abstimmen kann, wie man Standorte evtl. zusammenlegen oder wie man kooperieren kann. Auch in einem speziellen Gremium unter Führung des Ministeriums tauschen sich Krankenhausgesellschaft, die Kassenärztliche Vereinigung, die Landesärztekammer, der Städte- und Landkreistag und die Krankenkassen regelmäßig aus, um die Krankenhausplanung in Hessen neu aufzustellen. Und allen Beteiligten ist klar: Ein „weiter so“ kann es nicht geben. Dennoch wird es noch ein langer und steiniger Weg.

Wie können wir zu einer noch besseren Kooperation von ambulanter und stationärer Versorgung gelangen?

Gramminger: Das Verhältnis zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Hessischer Krankenhausgesellschaft war schon einmal entspannter. Aber wir müssen realisieren, dass der eine ohne den anderen nicht kann. Und wir müssen moderner denken. Es gibt nicht Tausende Ärzte, die sich niederlassen wollen, und nicht Tausende Ärzte, die nur warten, in Krankenhäusern eingesetzt zu werden. Daher ruhen unsere Hoffnungen auf den sektorübergreifenden Versorgungseinrichtungen, in denen wie selbstverständlich ambulant und stationär behandelt werden kann. Dabei müssen die Krankenhäuser für den ambulanten Bereich geöffnet werden und der vertragsärztliche Bereich muss Möglichkeiten bekommen, ebenfalls an der stationären Behandlung zu partizipieren.

Die ärztliche Weiterbildung steht derzeit unter großem Druck. Nur wenn eine gute Weiterbildung gewährleistet wird, kann mittelfristig die ärztliche Versorgung gesichert werden. Dies muss bei der Finanzierung berücksichtigt werden. Wie schätzen Sie hier den aktuellen Verhandlungsstand ein?

Gramminger: Ärztliche Weiterbildung ist momentan eigentlich gar nicht finanziert. Im vertragsärztlichen Bereich ist die Weiterbildungsquote deutlich zu gering und die Förderung nicht ausreichend. Im stationären Bereich muss alles über die DRG finanziert werden. Dort gibt es aber keine Kostenstelle „Ärztliche Weiterbildung“, das heißt die Kosten für die ärztliche Weiterbildung müssen mit den DRG-Erlösen erwirtschaftet werden. Eine solche Art der „Pseudorefinanzierung“ stärkt natürlich nicht den Bereich der Weiterbildung. Hier müssen wir versuchen, dass ärztliche Weiterbildung gesondert finanziert wird. Aber mit der Einführung der Leistungsgruppen und Spezialisierung der Krankenhäuser haben wir noch ein ganz anderes Problem. Es werden nur noch wenige Krankenhäuser die volle Weiterbildungsermächtigung bekommen. Somit werden viele Krankenhäuser vor allem in den ländlichen Regionen für Ärzte in Weiterbildung unattraktiv, was wiederum ein Problem für die flächendeckende Versorgung darstellt. Weder werden Krankenhäuser noch Praxen auf dem Land Fachärzte finden, wenn diese nur in urbanen Großkliniken weitergebildet werden. Hier müssen wir dringend die Weiterbildung im Verbund weiterentwickeln. Auch dies ist wieder ein Beispiel von notwendiger Zusammenarbeit zwischen Krankenhausgesellschaft, Landesärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung.

Wie sehen Sie die Rolle von Konzernen mit ausschließlichem Kapitalinteresse in der ärztlichen Versorgung? Viele Ärztinnen und Ärzte sehen hier Probleme für die Versorgungsqualität.

Gramminger: Klar hat man immer Bedenken, wenn die Ökonomie bei der Gesundheitsversorgung zu sehr im Vordergrund steht. Aber woher soll das Geld bitteschön kommen? Die Kassen der Kommunen, der Länder und des Bundes sind leer. Also ist unser Gesundheitssystem doch auch auf private Geldgeber angewiesen. Gerade in Deutschland war man immer auf die Trägerpluralität stolz und ich bin der Meinung: auch zu Recht. Die Trägervielfalt ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, Qualität zu einem bezahlbaren Preis zu erbringen. Nur durch einen gewissen Marktdruck wird ein Ansporn erzielt, besser zu werden. Daher halte ich auch von der „Lauterbach’schen Entökonomisierung“ nichts. Eine solche Entökonomisierung würde zu einer unbezahlbaren Gesundheitsversorgung bei geringem Anreiz zur Qualitätssteigerung führen. Richtig ist aber auch, dass Gesundheit nicht völlig dem freien Markt ausgesetzt sein darf.

Interview: Dr. med. Peter Zürner, Katja Möhrle

Die Lang-Version des Interviews finden Sie im Literaturverzeichnis.