Neubau der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Marburg

Die gesamte Umwelt und damit auch die Architektur beeinflussen unser (Wohl-) Befinden und Handeln. In Krankenhausbauten sind deswegen neben Funktionalität, Sicherheit und Hygiene auch Stressminimierung (z. B. Lärm- und Angstreduktion) und eine ansprechende Gestaltung wichtig. Eine positive Umgebung sowie eine altersentsprechende und therapeutische (bauliche) Gestaltung in Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie unterstützen den Genesungsprozess. Farben, Lichtquellen, Raumelemente, Blick in die Natur, direkte Zugänge in einen Garten erhöhen dabei das Wohlbefinden von Patient*innen und auch der Mitarbeitenden und unterstützen Kreativität und soziale Interaktion. Dies wird im noch relativ jungen Konzept der „Healing Architecture“ beschrieben [1].

Architektur im Gesundheitswesen

Aufgrund von knapper werdenden finanziellen und personellen Ressourcen und Nachhaltigkeitsaspekten ist eine optimale Funktionalität und Wirkungsweise (Atmosphäre, therapeutische Umwelt) der Raumplanung bei Gebäuden zur Gesundheitsversorgung entscheidend. Die Architektur beeinflusst nicht nur die Akzeptanz der Einrichtung, das allgemeine Wohlbefinden der Patient*innen und den Genesungsprozess, sondern wirkt sich auch auf Medikamentenverbrauch, Aggressionsverhalten und Suizidalität aus. Ferner kann die Gestaltung dazu beitragen, den Zeitbedarf in der Pflege und auch den Krankenstand der Mitarbeitenden zu reduzieren. Eine Studie aus einer Klinik für (Erwachsenen)Psychiatrie [2] konnte zeigen, dass nach Umzug in ein größeres Klinikgebäude mit Ein- und Zweibettzimmern (statt Mehrbettzimmern), verbesserten Sanitärbereichen und mehr Tageslicht die Anzahl der Zwangsmaßnahmen zurückging.

„Wir formen unsere Gebäude. Danach formen sie uns.“Winston Churchill

In einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie verkürzte sich die Verweildauer der gegen ihren Willen gesetzlich untergebrachten Patient*innen nach innenarchitektonischer Umgestaltung [3].

In Kliniken für Kinder und Jugendliche sind deren altersspezifische Bedürfnisse besonders zu berücksichtigen. Wichtig ist eine entwicklungsfördernde, ansprechende und nachhaltige Wohn- und Lebensweltgestaltung mit sowohl Individualräumen (Patientenzimmer, eigenes Bad) als auch Gemeinschaftsbereichen (Treffpunkte, Spiel- und Tobebereiche, gemeinsam essen und chillen, Außengelände mit Bewegungsmöglichkeiten), die jeweils kindgerecht, funktional und architektonisch befriedigend ist [4].

Die Qualität des Mobiliars muss intensiver Nutzung und häufigem Reinigen standhalten. Wichtig ist, eine ausgewogene Balance zu finden zwischen Stimulation und Anregung und Schutz vor Reizüberflutung, auch müssen Orientierung und Sicherheit gegeben werden. Fricke et al. [5] benennen Tageslicht, Zugang zur Natur, lärmreduzierende Maßnahmen und eine Atmosphäre der Privatheit als wichtige Faktoren, die den therapeutischen Prozess in der Klinik unterstützen. In Zimmern muss es beispielsweise Möglichkeiten geben zur Aneignung des Raums durch eigene Dekoration.

Neubau der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marburg

Seit einer Erweiterung 2014 behandelt die Marburger Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Standort Marburg 60 Patient*innen des Regel- und Pflichtversorgungsbereichs (Landkreise Marburg-Biedenkopf, Gießen und Wetteraukreis) vollstationär und weitere zwölf in der Tagesklinik. Jede der fünf Stationen versorgt im Regelfall zwölf Patient*innen bei je 15 aufgestellten Betten in überwiegend Zweibett- und einigen Einzelzimmern. Auch eine Institutsambulanz mit mehreren Spezialambulanzen gibt es. An der Außenstelle in Butzbach gibt es ebenfalls eine Tagesklinik und eine Ambulanz. Nach einer intensiven Planungsphase entstand 2019 bis Dezember 2022 in Marburg ein Neubau für die Klinik. Insgesamt stehen ca. 8.400 m2 Bruttogeschossfläche für zwei mit einem Brückenschlag verbundene Klinikgebäude zur Verfügung und umfassen u. a. die Institutsambulanz, fünf Stationen, Co-Therapie-Bereiche, Konferenzraum und Bibliothek, Multifunktionsräume, Direktion sowie Arzt- und Therapeutenzimmer. Eine Tagesklinik, die Schule für Kranke und der Bereich der Forschung und Lehre sind in anderen Gebäuden auf dem Campus untergebracht.

Räume, Farbkonzept und Mobiliar

In der Innenarchitektur des Neubaus wurde ein Farbkonzept umgesetzt, das für eine positive Umgebung sorgt [6]. Die gezielte Farbwahl erleichtert die Orientierung im Gebäude und grenzt Bereiche voneinander ab. Im Fußboden lockern kreisförmige Intarsien Gemeinschafts- und Aufenthaltsbereiche auf. In den Patientenzimmern setzt sich das Farbkonzept fort.

Neben einem Bett und einem Schrank hat jede*r Patient*in einen Sitzplatz mit Schreibtisch, ein Regal und ein Whiteboard zur Beschriftung und für eigene Bilder – all das dient zur privaten Gestaltung des Raumes. Die Vorhänge mit buntem Streifenmuster sind überall gleich, was die Reinigung vereinfacht.

Gemeinschaftsräume

Für den Aufenthalts- und Essbereich wurde vom Innenarchitekten eine stabile Wohnwand entworfen mit offenen Regalbereichen und verschließbaren Schränken. Nischen dienen dem Verstauen von Sitzmodulen oder zum selbst in der Wohnwand sitzen. Auch in den Fluren ermöglichen Sitznischen Rückzugsmöglichkeiten zum Telefonieren oder Lesen. Jede Station verfügt außerdem über eine große Küche mit Kochinsel in der Mitte.

Foyer

Das Foyer am Haupteingang soll freundlich und hell ein Willkommen signalisieren, eine erste Orientierung geben und auch Aufenthalt und Warten ermöglichen. Große Glaswände spenden Licht, erlauben den Blick nach draußen und aufs Marburger Schloss.

Akutstation

In der Akutstation werden Jugendliche mit akuten schweren psychischen Erkrankungen behandelt, wie z. B. akute Psychosen, Drogenintoxikationen, Persönlichkeitsstörungen oder auch schwere depressive Episoden mit akuter Suizidalität. Hier wurden die Erfordernisse der baulichen Suizidprävention im besonderen Maße umgesetzt mit Berücksichtigung sowohl restriktiver als auch atmosphärisch-therapeutischer Maßnahmen (Übersicht siehe [7]). Die Patient*innen der Akutstation haben einen direkten Zugang in einen geschützten Außenbereich mit kleinem Sportplatz und Sitzmöglichkeiten.

Kinderstation und Außengelände

Auch die Kinderstation hat einen direkten Zugang in einen eigenen Innen-Spielhof. Für alle Stationen, die Tagesklinik und an Besuchstagen ist der angelegte Außenbereich der Klinik nutzbar mit u. a. naturnahen Gehölzflächen, einem Grillplatz, dem Aktivspielschiff der Stiftung Kinderförderung von Playmobil und mehreren Panoramaholzliegen, teilweise mit Schlossblick.

Bereiche für Co-Therapien

Die Co-Therapie-Bereiche Ergotherapie, Bewegungs- und Ernährungstherapie haben im Neubau eine deutliche Aufwertung erfahren durch großzügige, helle Räume mit mehr Platz und Möglichkeiten. Des Weiteren gibt es stationsübergreifend nutzbare Räume für Lerntherapie, Musiktherapie, Kreativaktivitäten und eine Fahrradwerkstatt. Der Raum für die tiergestützte Therapie mit Hund hat einen eigenen direkten Zugang in den Außenbereich.

Fazit

Zusammenfassend ist durch die Investition des Rhön-Klinikums in Höhe von 23,5 Mio. € in den Neubau der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Campus Ortenberg ein beispielgebender Krankenhausbau entstanden. Maßgeschneidert auf die der Planung zugrunde liegenden, evidenzbasierten Stations- und Therapiekonzepten wird dieser Ort des Gesundwerdens sowohl von Patient*innen, deren Familien und Besucher*innen als auch den Mitarbeitenden der multiprofessionellen Berufsgruppen wertgeschätzt.

Prof. Dr. med. Katja Becker1, Dr. med. Michael Haberhausen1, Rainer Ulbrich1, Arne Schönleiter2

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Marburg (UKGM)

Bereichsleitung Projekte Rhön-Klinikum, Konzernbereich Architektur und Bau

Die Literaturhinweise finden Sie hier.