Gespräch mit Dr. med. Martin Herrmann von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e. V.)

Auf Beschluss der Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) wurde in der zurückliegenden Wahlperiode eine Arbeitsgruppe „Klimaschutz“ gegründet, die sich mit den Möglichkeiten beschäftigt, den Klimaschutz in der Kammer umzusetzen. Ziel der LÄKH ist es, bis 2030 klimaneutral zu sein und die Mitglieder über geeignete Maßnahmen in Klinik und Praxis zu informieren. Die hohe Akzeptanz dieses Engagements bei Ehrenamt und Hauptamt führte zu dem Beschluss des Präsidiums, dem Netzwerk KLUG e. V. (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit) beizutreten. In einem Interview mit dem ersten Vorsitzenden Dr. med. Martin Herrmann werden KLUG und die Möglichkeiten vorgestellt, die die Mitgliedschaft in dem Netzwerk eröffnet. Herrmann ist seit 2019 Mitglied der AG Klima der Bundesärztekammer und Mitgründer des Aktionsbündnisses Hitzeschutz Berlin.

Dr. med. Martin Herrmann, München, Erster Vorsitzender KLUG e. V., E-Mail: m.herrmann@klimawandel-gesundheit.de — Der Mitgründer und Vorsitzende von KLUG begleitet seit vielen Jahren professionell Transformationsprozesse. Als promovierter Arzt verlegte sich Herrmann bald auf die Beratung von Unternehmen und NGOs. Er entwickelte neue Methoden zur Organisationsentwicklung und lehrt an internationalen Universitäten und Hochschulen. Seine derzeitigen Arbeitsschwerpunkte sind: Bildung für transformatives Handeln, Methodische Innovationen auf Grundlage des „Social Tipping Dynamics“ Konzeptes, Initiierung „unwahrscheinlicher“ Netzwerke und Allianzen sowie gesundheitlicher Hitzeschutz. Er ist seit 2019 Mitglied der AG Klima der Bundesärztekammer und Mitgründer des Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin. Seine besondere Liebe gilt der Komplexitätsforschung, der Philosophie und hier insbesondere Hannah Arendt. (red)

Welche Überlegungen führten zu der Gründung von KLUG?

Dr. med. Martin Herrmann: Am Anfang stand eine Gruppe von Leuten, die die Ergebnisse der ersten Kommissionen zu Klima und Gesundheit des Lancet aufgenommen hatten. Die Kernaussage: „Klimawandel ist die größte Gesundheitsbedrohung unserer Zeit.“ Das hatte damals im deutschen Gesundheitssektor noch keine Rolle gespielt. Das wollten wir ändern. Im Oktober 2017 gründete sich dann die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) als ein Netzwerk von Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden aus dem gesamten Gesundheitsbereich mit drei Zielen:

  1. breit über die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise aufzuklären,
  2. die notwendigen Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitssektor umzusetzen,
  3. eine starke Rolle bei der anstehenden gesamtgesellschaftlichen Transformation zu spielen.

Inzwischen arbeiten wir mit der Bundesärztekammer, vielen medizinischen Fachgesellschaften, dem Deutschen Pflegerat, den Wohlfahrtsverbänden, weltweit führenden Forschungsinstituten und NGOs eng zusammen. Wir freuen uns besonders über die Mitgliedschaft der Landesärztekammer Hessen. Sie ist die erste Landesärztekammer bei KLUG. Immer mehr Organisationen schließen sich an. So sind z. B. die Charité und das Uniklinikum Essen, aber auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in jüngster Zeit Mitglied geworden.

Wie sieht das Aufgabenspektrum des Netzwerks aus?

Herrmann: Entscheidend ist, das Thema überall als Priorität auf die Handlungsagenda zu setzen. Es geht um die Überschreitung planetarer Grenzen, um die Bewahrung der Bewohnbarkeit unseres Planeten, die planetare Gesundheit. Dazu arbeiten wir mit Bund, Ländern und Kommunen ebenso wie mit Gesundheitsinstitutionen und -berufen zusammen. Außerdem bringen wir neue Inhalte in die Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen ein und vernetzen Akteurinnen und Akteure.

Welche Klimafolgen stehen bei Ihrer Arbeit im Vordergrund?

Herrmann: In Deutschland ist Hitze das größte Risiko für unsere Gesundheit. In den Jahren 2018 bis 2020 kam es erstmals in drei aufeinanderfolgenden Jahren zu einer signifikanten Übersterblichkeit durch Hitze mit insgesamt fast 20.000 Todesfällen. Im Sommer 2022 sind laut Robert Koch-Institut (RKI) in Deutschland 4.500 Menschen durch die Hitze gestorben. Außerdem wird das Gesundheitssystem in Hitzeperioden verstärkt in Anspruch genommen: Es kommt zu vermehrten Krankenhauseinweisungen und Menschen sind in ihrer Produktivität und ihrem Wohlbefinden stark eingeschränkt. Hitze ist auch deshalb ein wichtiges und zentrales Thema, weil es Verständnis dafür erzeugt, wie gefährlich der Klimawandel für unsere Gesundheit ist und somit ein Türöffner für die notwendigen Veränderungen. Hitzeschutz ist einer unserer Schwerpunkte.

Hitzeschutz ist auch ein gutes Beispiel für das Engagement der Landesärztekammer Hessen: So wurde der Hitzeaktionsplan in Hessen von der LÄKH initiiert und gemeinsam von Landesregierung und den Playern im Gesundheitswesen erarbeitet. Eine unserer Aufgaben wird es sein, unsere Kolleginnen und Kollegen in Klinik und Praxis über Verhaltensmaßnahmen zu informieren. Welche Unterstützung kann KLUG uns und unseren Mitgliedern bieten?

Herrmann: Jede Ärztin, jeder Arzt in Praxis und Krankenhaus kann etwas für Hitzeschutz tun. Auch die Kammern: Gemeinsam mit den Landesärztekammern Berlin und Bayern haben wir Hitzeaktionsbündnisse gegründet, um die Länder im Bereich Gesundheit hitzeresilient zu machen. Ärztinnen und Ärzte sollen die Möglichkeit bekommen, sich zu den Themen Klima- und Gesundheit fortzubilden und klimasensible Gesundheitsberatungen durchzuführen.

Außerdem ist es wichtig, darüber zu informieren, wie Energie und Ressourcen im Praxisalltag eingespart werden können, welche Rolle wir beim Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen spielen können. Dafür liefern wir Informationen, Argumente und Kontakte.

Die Landesärztekammer arbeitet bisher sehr gut mit den Ministerien in Hessen beim Klimaschutz zusammen. Im Herbst sind Neuwahlen und wir müssen schauen, wie die Partnerschaft von ärztlicher Selbstverwaltung und Politik danach aussehen wird. Daher stellt sich auch die Frage, wie wir künftig für unsere Kolleginnen und Kollegen aus Praxis und Klinik Informationen darüber erhalten, wie es in Hessen in puncto Hitzeschutz weitergeht. Haben Sie gute Ideen und Empfehlungen?

Herrmann: KLUG sammelt das internationale Wissen zu Hitze und ihren Folgen. Wir können die Erfahrung der Hitzeaktionsbündnisses in Berlin und Bayern nutzen. Außerdem gibt es Positionspapiere der Bundesärztekammer für klimaneutrale Praxen und Krankenhäuser und zu Hitze. Wir vernetzen mit deutschen und internationalen Experten und unterstützen bei der Planung von Veranstaltungen zu Hitze und anderen Schlüsselthemen. Gleichzeitig wollen wir helfen, Erfahrungen in Deutschland wie auch global weitergeben zu können. Den großen Herausforderungen durch die Klimakrise sind wir nur durch intensiven Austausch gewachsen. KLUG beteiligt sich intensiv an dem von der Bundesärztekammer initiierten ersten bundesweiten Hitzeaktionstag am 14.  Juni 2023. Zeitlich verbunden mit diesem Hitzeaktionstag planen wir Online-Hitzesymposien für Klinikärzte und für Niedergelassene. Darüber hinaus bieten wir unseren Mitgliedern Informationen für ihre Websites an, auf denen sie Muster-Hitzeschutzpläne, Broschüren und Infoblätter, zum Beispiel über Schulungsmodule für Arztpraxen einstellen können. Wir müssen in der Öffentlichkeit und gegenüber der Politik deutlich machen: „Hitze ist lebensgefährlich!“ Deshalb müssen wir uns vorbereiten und damit den Risiken begegnen. Wir unterstützen auch die Hessische Landesärztekammer gerne bei ihrem Engagement.

Mit welchen Themen setzt sich KLUG noch auseinander?

Herrmann: Ein weiteres großes Thema ist die Ernährung. Sie spielt eine große Rolle für unsere Gesundheit, aber auch für die Überlebensfähigkeit des Planeten. Es kommt darauf an, ein Grundverständnis für beides zu wecken. Wie die von der Universität Erfurt durchgeführte PACE-Studie (Planetary Health Action Survey) deutlich gemacht hat, ist dabei die Veränderungsbereitschaft der Menschen viel höher als erwartet. So hat rund die Hälfte aller Befragten angegeben, dass sie bereit wären, ihre Essgewohnheiten umzustellen und mehr pflanzliche und weniger tierische Produkte zu essen. Das hat eindeutig positive Wirkungen für ihre Gesundheit. Diese Bereitschaft in der Bevölkerung wird leider noch unterschätzt, daher traut sich die Politik noch nicht daran. Das Netzwerk KLUG engagiert sich ausdrücklich für eine Ernährungswende. Wir vermitteln Experten.

Zu den weiteren Themen, mit denen wir uns beschäftigen, zählt das betriebliche Gesundheitsmanagement. So untersucht KLUG gemeinsam mit dem Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) die Auswirkungen der Klimakrise und der Überschreitung weiterer planetarer Grenzen auf die Gesundheit von Beschäftigten. Im Projekt soll das vorhandene Wissen zu den positiven Wirkungen von Klimaschutz und Klimafolgenanpassungen in eine umfassende Strategie für die Arbeitswelt und in konkrete Handlungsansätze überführt werden. Auf unserer Website www.klimawandel-gesundheit.de haben wir Materialien zur Aufklärung über verschiedene Themenbereiche innerhalb des Komplexes Klimawandel und Gesundheit eingestellt.  

Interview: Dr. med. Peter Zürner, Katja Möhrle

KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit

Im Oktober 2017 wurde KLUG – die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit – als Netzwerk von Einzelpersonen, Organisationen und Verbänden aus dem gesamten Gesundheitsbereich gegründet. Aufgabe von KLUG ist es, über die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise aufzuklären und die Gesundheitsberufe zu befähigen, Akteurinnen und Akteure der Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft zu werden, in der Menschen gesund leben können. Das Netzwerk, das inzwischen ein eingetragener Verein ist, wird von vielen medizinischen Fachgesellschaften, dem Deutschen Ärztetag, dem Deutschen Pflegetag sowie Forschungsinstituten und NGOs unterstützt.

Kontakt:

KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V., Lillweg 28, 80939 München, E-Mail: kontakt@klimawandel-gesundheit.de, Informationen im Internet unter: www.klimawandel-gesundheit.de