Der Artikel ist ein Nachdruck aus „Arzneiverordnung in der Praxis (AVP)“, vorab online 28. März 2022, kostenfrei abrufbar unter: www.akdae.de.

Zusammenfassung

In diesem Artikel werden Grundsätze der Behandlung von Schlafstörungen erwachsener Patienten geschildert, die gutem klinischen Standard oder einer evidenzbasierten Therapie entsprechen. Schlafstörungen sind häufig und werden im Behandlungsalltag zu oft inadäquat behandelt. Die häufigsten Fehler sind eine unzureichende Ursachenabklärung und ein vorschnelles und einseitiges Setzen auf Pharmakotherapie. Folgende Grundsätze entsprechen einem guten klinischen Standard, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis und einem evidenzbasierten und leitlinienorientiertem Vorgehen [1].

Klärung der Tagesbefindlichkeit

Beeinträchtigungen des Nachtschlafes allein sind zumeist kein Behandlungsgrund. Es gibt keine Normwerte für eine Mindestschlafdauer; das physiologische Schlafbedürfnis und -muster ist inter- und intraindividuell sehr variabel. Eine Behandlungsindikation erwächst vorrangig, wenn eine Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit, insbesondere beeinträchtigende Müdigkeit oder imperative Einschlafneigung, resultieren. Wird nur nächtliches Wachliegen beklagt, ist dem durch eine Verkürzung der Bettzeit gemäß den unten formulierten Schlafhygieneregeln zu begegnen.

Ursachenabklärung

Allgemeingültige Empfehlungen zur Behandlung von Schlafstörungen (mit Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit) können nicht gegeben werden, da Schlafstörungen häufig lediglich ein Symptom im Rahmen einer komplexeren Erkrankung sind. Eine Abklärung häufiger Ursachen ist vor der Einleitung unspezifischer Therapiemaßnahmen vorzunehmen, damit gegebenenfalls die zugrunde liegende Erkrankung spezifisch behandelt werden kann [2].

Häufige, spezifisch zu behandelnde Ursachen für Schlafstörungen sind:

  • falsches Schlafverhalten (siehe unten)
  • Depression
  • Angsterkrankungen
  • Abhängigkeitserkrankungen
  • beginnende Demenz
  • Schmerzen
  • Schlafapnoe
  • Restless-Legs-Syndrom
  • unerwünschte Arzneimittelwirkungen.

Schlafhygiene (Behandlungsmaßnahme der ersten Wahl)

Die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten mit Schlafstörungen zeigt tags und nachts ein dysfunktionales Verhalten, durch das die Schlafstörungen hervorgerufen oder verstärkt werden. Bei Schlafstörungen im Rahmen der oben genannten Grunderkrankungen, vor allem aber bei primärer Insomnie ist die Behandlungsmaßnahme der Wahl die Psychoedu-kation des Patienten und die Anleitung zu einem förderlichen Verhalten. Die beiden häufigsten von nicht informierten Patienten gemachten Fehler sind:

  • zu frühe Schlafengehzeit/zu lange nächtliche Bettzeit („dem Schlaf eine Chance geben“)
  • und Hinlegen tagsüber („Kompensation für das nächtliche Defizit“).

Die Hauptwirkprinzipien von Schlafhygiene sind dementsprechend:

  • Verkürzung der Bettzeit, damit sich ein ausreichender Schlafdruck aufbaut
  • Vermeiden von Hinlegen tagsüber
  • konsequentes Verlassen des Betts und des Schlafzimmers (auch mitten in der Nacht),
  • wenn nicht geschlafen werden kann, mit der Rückkehr ins Bett erst, wenn Müdigkeit verspürt wird. Hierdurch werden im Sinne einer Konditionierung das Bett und das Schlafzimmer mit dem Schlaf gekoppelt.

Gute Übersichten fassen für die Patienten die Schlafhygieneregeln zusammen und sollen ausgehändigt werden. Es genügt aber nicht das bloße Überlassen der Regeln; vielmehr müssen diese mehrfach besprochen werden. Hierbei ist darauf zu achten, ob die Regeln verstanden wurden, ob der Patient sie akzeptieren kann und welche Umsetzungshindernisse er oder sie eventuell sieht. Im weiteren Behandlungsverlauf muss regelmäßig evaluiert werden, wie konsequent der Patient die Regeln anwendet. Typischerweise umfassen die Regeln ungefähr folgende Punkte, die auch die oben genannten Hauptwirkprinzipien beinhalten:

  • Legen Sie sich nur dann schlafen, wenn Sie wirklich schläfrig sind und sich bereit für den Schlaf fühlen.
  • Stehen Sie jeden Morgen um die gleiche Zeit auf – unabhängig davon, wie viel Schlaf sie in der Nacht erhalten haben oder wie ausgeruht Sie sich fühlen.
  • Machen Sie tagsüber kein Nickerchen.
  • Trinken Sie spätestens zwei Stunden vor dem Schlafengehen keinen Alkohol mehr.
  • Trinken Sie später als sechs Stunden vor dem Schlafengehen keine koffeinhaltigen Getränke mehr (Kaffee, Tee, Cola).
  • Falls Sie rauchen, versuchen Sie dies einige Stunden vor dem Schlafengehen zu unterlassen.
  • Strengen Sie unmittelbar vor dem Schlafengehen Ihren Körper nicht mehr in besonderem Ausmaß an.
  • Schaffen Sie sich eine Schlafumgebung, die Ihren Schlaf fördert.
  • Sind Sie es gewohnt, nehmen Sie vor dem Schlafengehen einen kleinen Imbiss zu sich, um späterem Hunger vorzubeugen.
  • Benutzen Sie Ihr Schlafzimmer und Ihr Bett ausschließlich für Aktivitäten, die mit Schlafen zu tun haben (einzige Ausnahme sind sexuelle Aktivitäten).
  • Richten Sie sich einen regelmäßigen Zubettgeh-Ritus ein, der die Nähe der baldigen Bettzeit ankündigt.
  • Wenn Sie ins Bett gehen, schalten Sie das Licht mit der Absicht aus, einzuschlafen. Wenn Sie feststellen, dass Sie nicht innerhalb einer kurzen Zeit einschlafen können, stehen Sie auf und gehen in einen anderen Raum. Bleiben Sie so lange auf, bis Sie sich müde fühlen, und kehren Sie erst dann zum Schlafen ins Schlafzimmer zurück.
  • Falls Sie immer noch nicht eingeschlafen sind oder in der Nacht aufwachen und wach liegen, wiederholen Sie den vorherigen Schritt.
  • Sehen Sie nachts nicht auf die Uhr. Stellen Sie z. B. den Wecker unter das Bett.

Bei Einschlafstörungen sind Audiodateien/CDs wirksam, die mit schlaffördernder Musik, Schlafinstruktionen und hypnotherapeutischen Techniken arbeiten.

Pharmakotherapie

Eine medikamentöse Behandlung ist eine nachgeordnete Maßnahme beim Versagen der oben genannten Prinzipien. In der Behandlungsrealität wird sie allerdings zu oft vorrangig angewandt. Sie birgt die Risiken einer nicht physiologischen Veränderung des Schlafs (z. B. hinsichtlich der nächtlichen Schlafphasen) und bei einem Teil der in Betracht kommenden Substanzen das Risiko der Abhängigkeit. Die Verordnung eines schlaffördernden Medikaments sollte nie die alleinige Behandlung sein; insbesondere die Maßnahmen der Schlafhygiene sind weiterhin umzusetzen.

Eine Pharmakotherapie [3] kommt vorrangig bei absehbar kurzfristigen Schlafstörungen in Betracht, zum Beispiel im Rahmen akuter psychosozialer Belastungen. Bei Patienten ohne Abhängigkeitserkrankungen in der Anamnese (was sorgfältig zu erheben ist), sind im Rahmen von akuten Belastungen die Benzodiazepinanaloga („Z-Substanzen“) Zopiclon oder Zolpidem geeignet, verbreitet und bewährt. Alternativ können Benzodiazepine mit mittellanger Halbwertzeit eingesetzt werden, zum Beispiel Oxazepam. Benzodiazepine und Benzodiazepinanaloga haben eine hohes Abhängigkeitspotenzial. Die Verordnung sollte auf 8 bis 14, in Ausnahmefällen 28 Tage beschränkt werden.

Alternativen zu Benzodiazepinen/-analoga ohne Abhängigkeitspotenzial sind niedrig-potente Neuroleptika wie Pipamperon, Melperon, Chlorprothixen, Promethazin oder Levomepromazin und sedierende Antidepressiva wie Mirtazapin, Trazodon, Mianserin oder Trimipramin. Diese können auch für längere Zeiträume verordnet werden. Bei Einsatz als reines Hypnotikum sind häufig geringere Dosierungen als zur Depressionsbehandlung erforderlich (bei Mirtazapin etwa 7,5 mg oder 15 mg zur Nacht).

Der Bevorzugung von Benzodiazepinen/-analoga für den kurzzeitigen Einsatz und unter Beachtung des genannten Vorgehens gegenüber den aufgeführten medikamentösen Alternativen erklärt sich durch die besonders hohe Effektivität der Benzodiazepine/-analoga, durch die von den meisten Patienten als besonders angenehm wahrgenommene entspannende und anxiolytische Wirkung und einen vergleichsweise geringen Überhang am Morgen. Die häufig vorgenommene Verordnung nur „bei Bedarf“ ist nicht suchtpräventiv; eher ist das Gegenteil zu befürchten, weshalb in der Regel eine feste Verordnung nach Arztvorgabe über einen begrenzten Zeitraum zu bevorzugen ist. Die bedarfsweise Einnahme kann eine Abhängigkeitsentwicklung fördern, da der Patient angeleitet wird, das eigene Befinden aufmerksam zu beobachten und medikamentös zu steuern.

Allgemeine Risikofaktoren für eine Abhängigkeitsentwicklung von Benzodiazepinen sind:

  • Patienten mit Klagen über Überforderung, Schlafstörungen, Erschöpfung, Unruhe, Nervosität, Ängste, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Herzrasen, Grübeln und andere unspezifische körperliche Beschwerden
  • Patienten mit Suchterkrankungen in der Anamnese (inkl. Nikotin)
  • Patienten mit (anamnestischer) psychiatrischer Komorbidität (insbesondere Depressionen, Angsterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen)
  • Angehörige medizinischer Berufe
  • ältere Patienten
  • Frauen (zwei Drittel der Benzodiazepinabhängigen sind weiblich).

Ist von vornherein ein längerer Einsatz schlaffördernder Medikamente absehbar, sind Benzodiazepine/-analoga ungeeignet und die oben genannten Alternativen einzusetzen.

Fazit

Nach der Abklärung möglicher Ursachen von Schlafstörungen sollten als Therapie Regeln zur Schlafhygiene besprochen und eingeübt werden. Die zentralen Prinzipien der Schlafhygiene sind Verkürzung der Bettzeit, Vermeiden von Hinlegen tagsüber, die Nutzung des Bettes ausschließlich zum Schlafen und das konsequente Verlassen von Bett und Schlafzimmer, wenn nicht innerhalb einer kurzen Zeit eingeschlafen werden kann. Kurzfristig bei psychosozialen Belastungen können bei Patienten ohne Suchterkrankungen in der Vorgeschichte Benzodiazepine oder deren Analoga eingesetzt werden. Sollte in Ausnahmefällen eine längerfristige Therapie nötig werden, sind niedrig dosierte sedierende Antidepressiva oder niedrig potente Neuroleptika einsetzbar.

Interessenkonflikte: Der Autor erklärt, keine Interessenkonflikte zu haben.

Prof. Dr. med. Tom Bschor, Berlin; Kontakt: t@bschor.de

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