VNR: 2760602023024530009

Dr. med. Andreas Rost

Der Artikel ist zuerst online in „Arzneiverordnung in der Praxis“ (AVP) erschienen, Band 47 Heft 3–4 November 2020. Internet: www.akdae.de. Hier folgt ein gekürzter Nachdruck, der als CME-Fortbildungsbeitrag exklusiv für das Hessische Ärzteblatt erstellt wurde.

Zusammenfassung

Eine erfolgreiche Schmerztherapie beginnt mit einer genauen Schmerzanamnese und klinischen Untersuchung. Die verordnungskonforme Einnahme der Arzneimittel erfordert das Verständnis und die Mitarbeit der Patienten für die angesetzte Therapie. Der stufenweise Einsatz der Medikamente richtet sich nach dem Wirkprofil und der analgetischen Potenz. Die Angst vor dem Einsatz der Opioide (Stufe 3 WHO) ist bei der großen therapeutischen Breite und vergleichsweise geringen Nebenwirkungsrate unbegründet. Die Nebenwirkungen werden durch adjuvante Medikamente abgemildert. Sogenannte Co-Analgetika verstärken die Wirkung der Analgetika.

Dieser Artikel gibt einen praktischen Einblick in die aktuelle Therapie der vielfältigen Schmerzen bei Palliativpatienten. Pharmakologische Aspekte stehen nicht im Vordergrund, sie werden in der Differenzialtherapie berücksichtigt. Die Angaben in diesem Artikel stimmen weitgehend mit den Empfehlungen der S3-Leitlinie Palliativmedizin 2.0 (Stand 2019) überein [1]. Eigene Erfahrungen des Autors bleiben nicht unerwähnt. Einige Therapien sind Off-Label-Use, sie werden vom Autor wegen ihrer Wirksamkeit trotzdem empfohlen.

Schmerztherapie von Tumorpatienten

Zwei Gesichtspunkte sind bei der Schmerztherapie von Tumorpatienten ausschlaggebend für den Erfolg:

  1. Eine genaue Schmerzanamnese, gefolgt von einer symptombezogenen klinischen Untersuchung, gibt auch ohne Einsatz einer Bildgebung Hinweise für den Auslöser des Schmerzes – und damit für den differenzialtherapeutischen Einsatz der Analgetika und Co-Analgetika. Die danach eingesetzte Bildgebung soll nicht nur den Anfangsverdacht bestätigen, sondern auch die Möglichkeiten einer Kausaltherapie überprüfen.
  2. Eine gründliche Schulung bzw. Aufklärung der Patienten über die Wirkung und Wirkdauer der verordneten Arzneimittel. Behandelt wird nicht das Symptom „Schmerz“, sondern ein Mensch mit seinen Sorgen, Nöten und Ängsten. Die nach Einschätzung des Autors häufigste Ursache für das Versagen der verordneten Analgetika ist die nicht regelkonforme Einnahme oder das gänzliche Weglassen. Voraussetzung ist der ausgehändigte ständig aktualisierte schriftliche Plan der Medikation.

Schmerzanamnese und Untersuchung

Die Patientin oder der Patient selbst bestimmt die Intensität seiner Schmerzempfindung auf einer Skala nach VRS (verbale Rating-Skala: kein, leichter, mittlerer oder starker Schmerz) oder nach der 11-stufigen numerischen Ratingskala (NRS von 0: kein Schmerz bis 10: Vernichtungsschmerz). Die Befragung nach Schmerz wird im Verlauf der Therapie wiederholt und dokumentiert sowohl in Ruhe als auch unter Belastung.

Die psychische Verfassung der Patienten ist zu beachten: Liegt begleitend eine Anpassungsstörung oder sogar eine schwere depressive Episode vor? Einige Patienten (häufig Männer) haben mehr Hemmungen, über ihre Beschwerden zu sprechen – gerade auch in Gegenwart der Angehörigen. Hier sollte nach beiden „Versionen“ gefragt werden: Wie Patienten ihre Beschwerden schildern und wie die Angehörigen das Beschwerdemaß einschätzen.

Sind Patienten kognitiv nicht in der Lage, den Schmerz zu kommunizieren, sind Ärztinnen und Ärzte auf eine Fremdeinschätzung mit Beobachtung vegetativer Symptome (Blutdruckkrisen, Schwitzen, Unruhe) oder die Mimik („Stirnfalte“) angewiesen. Im Zweifelsfall lohnt sich ein Therapieversuch. Besonders wichtig ist die behutsame körperliche Untersuchung mit Tasten, Drücken, Klopfen zur möglichen Schmerzprovokation. Und „der Blick unter die Bettdecke“: Unruhe bei Blasenhochstand in Folge okkludiertem Blasenkatheter – als mögliche Ursache.

Die Schmerzlokalisation und ein Schmerzauslöser präzisieren die Diagnostik: Berichten Patienten von einem streng belastungsabhängigen Schmerz, der in Ruhelage nahezu verschwindet, und lässt er sich an den tragenden Skelettabschnitten lokalisieren (Lendenwirbelsäule, Hüfte etc.), so ist ein knöcherner Schmerz sehr wahrscheinlich.

Gute Grundkenntnisse der Sonografie sind in der Palliativmedizin äußerst hilfreich. Kleine transportable Sonografiegeräte verhelfen vor Ort zur Präzisierung der klinischen Diagnostik, besonders viszeral.

In der palliativen Situation ist bereits vor einer Bildgebung eine Schmerztherapie einzuleiten. Aus ärztlicher Sicht muss geprüft werden, ob sich aus der Diagnostik therapeutische Konsequenzen ergeben im Sinne eines möglichen operativen und/oder strahlentherapeutischen Vorgehens. Andernfalls ist sie kontraindiziert. Seitens der Patienten muss überprüft werden, ob die verbleibende Lebensspanne ein derartiges Vorgehen rechtfertigt und ob die Betroffenen einem derartigen Vorgehen zustimmen werden. Weiter ist zu berücksichtigen, wo sich die Patienten befinden: zu Hause mit langem Transportweg oder stationär? Erlaubt die Symptomatik eine Diagnostik (schmerzhaftes Liegen auf harter Unterlage) oder bedarf es zuvor einer angepassten Analgetika-Einstellung inklusive einer Bedarfsmedikation?

Schulung der Patienten

Das vereinbarte Ziel der Schmerztherapie sollte die Schmerzreduktion auf ein für die Patienten erträgliches Maß sein, nicht Schmerzfreiheit!

Grundsätzlich erfolgt die Einnahme der Analgetika regelmäßig („by the clock“), damit der Schmerz erst gar nicht wieder auftritt bzw. unerträglich wird, und nicht nach Bedarf. Krebsschmerzen sind ein Dauerzustand im Unterschied zu gelegentlichen Kopfschmerzen.

Besonders relevant ist die Häufigkeit der Einnahme. Wird als Basismedikament der Stufe 1 Novaminsulfon eingesetzt (Tropfen, Tabletten, Zäpfchen oder parenteral als Kurzinfusion), sind immer vier bis maximal sechs Gaben pro Tag obligat. Nur so lässt sich eine kontinuierliche Analgesie bei einer Wirkdauer von sechs bis acht Stunden aufrechterhalten. Die letzte Gabe soll unmittelbar vor dem Einschlafen erfolgen.

Bei Retardpräparaten können wir Ärztinnen und Ärzte uns nicht immer auf die vom Hersteller versprochene Wirkdauer von zwölf Stunden verlassen (entspricht zwei Gaben pro Tag). Sollte die Wirkung am Tag nicht ausreichen, so ist eine dritte Gabe empfehlenswerter als die Dosiserhöhung am Morgen oder Abend. Damit ist ein „geglätteter“ Wirkspiegel zu erwarten. Wacht die Patientin oder der Patient dagegen morgens mit Schmerzen auf, empfiehlt es sich, die Abenddosis zu erhöhen. Alternativ kann der Wecker für eine frühere Einnahme als üblich gestellt werden, um den Zwölf-Stunden-Abstand zu verkürzen.

Neben der Basismedikation mit festen Einnahmezeiten der Retardpräparate erhalten Patienten eine Bedarfsmedikation in einer nicht retardierten Form zur Behandlung von Durchbruchschmerzen. Der Durchbruchschmerz kann unvorhersehbar auftreten und bedarf einer raschen, d. h. sofort verfügbaren Medikation. Dies gilt auch für Pflegeeinrichtungen.

Ist bekannt, dass bevorstehende Situationen den Schmerz auslösen werden (z. B. Mobilisation zur Toilette, Pflegemaßnahmen, Diagnostik oder Verbandswechsel), muss in angemessenem zeitlichem Abstand zuvor die Bedarfsmedikation eingenommen bzw. angewendet werden (nasal, oral oder parenteral), damit ein erhöhter Wirkspiegel den Schmerz ausreichend kupiert.

Arzneimittel

Die Anwendung der verschiedenen Analgetika erfolgt nach dem dreistufigen WHO-Stufenschema. Die aktuelle S3-Leitlinie verzichtet auf Stufe 2 und nennt Nichtopioide und Opioide. Bei allen Stufe-1-Analgetika (Novaminsulfon, NSAR und Paracetamol) sind die entsprechenden Nebenwirkungen und Kontraindikationen zu berücksichtigen.

Novaminsulfon soll in der maximalen Tagesdosis (4 x 1 g) appliziert werden. Falls der Geschmack der Tropfen auch mit Hilfsmitteln (schwarzer Tee oder Obstsäfte) die Einnahme für den Patienten erschwert, ist mit Hinweis auf die Menge der Tabletten pro Tag 4 x 2 (!) umzustellen. Bei Schluckunfähigkeit bietet sich die rektale Applikation mit 1 g Suppositorien an. Erfahrungsgemäß ist die Akzeptanz der rektalen Applikationsform sowohl bei Patienten als auch Angehörigen/Pflegepersonal gering und nur als Notbehelf einsetzbar. Eine parenterale Gabe ist ausschließlich langsam intravenös möglich, am besten als Kurzinfusion in Volumina von 100 bis 250 ml, die der möglichen Hypotonie unter Novaminsulfon entgegenwirken.

Die in unseren Breiten sehr selten auftretenden Blutbildveränderungen (führend Leukopenie) sind durch entsprechende Kontrollen auszuschließen. Bei Leukopenie ist sofortiges Absetzen geboten. Ein Vorteil von Novaminsulfon ist neben der analgetischen die spasmolytische Wirkung, die es für den Einsatz von spastischen Bauchschmerzen prädestiniert. Ein weiterer Vorteil ist die antipyretische Wirkung in der finalen Palliativsituation, wenn ein Infekt nicht mehr durch Antibiotika behandelt werden soll. Eine sehr gute Wirksamkeit zeichnet Novaminsulfon bei pleuritischen Schmerzen aus (meist opioidrefraktär).

Nichtsteroidale Antirheumatika – NSAR (Ibuprofen oder Diclofenac) sind die Domäne der knöchernen oder entzündlich verursachten Schmerzen. Die Tagesmaximaldosen sind zu beachten (Ibuprofen 3 x 800 mg, Diclofenac 2 x 75 mg pro Tag). Das ulzerogene Risiko kann mit Säureblockern verringert werden. Ein Magengeschwür in der Anamnese verbietet den Einsatz, ebenso eine fortgeschrittene Nieren- oder Herzinsuffizienz. Die Applikation erfolgt ausschließlich oral (inklusive enteral via PEG als Saft/Sirup) oder als Suppositorium mit den gleichen Einschränkungen der Akzeptanz wie bei Novaminsulfon.

Paracetamol ist die analgetisch schwächer wirksame Alternative zu Novaminsulfon. Die Tagesmaximaldosis beträgt 6 g, üblich sind 4 x 1 g oral (Tabletten, Saft). Eine parenterale Applikation soll intravenös schnell erfolgen („im Schuss“), sonst verringert der hepatische Abbau die Analgesie. Die Wirksamkeit ist nur analgetisch und antipyretisch, die antiphlogistische Wirkung der NSAR und die spasmolytische Wirkung von Novaminsulfon fehlen. Ein fortgeschrittener Leberparenchymschaden ist eine Kontraindikation für den Einsatz.

Tilidin/Naloxon und Tramadol werden im WHO-Schema als „Stufe 2“ bezeichnet: schwach wirksame Opioide. Zur Verordnung der Retardpräparate wird kein Betäubungsmittel-Rezept (BtM-Rezept) benötigt. Wegen des Missbrauchspotenzials fällt die nicht retardierte Form von Tilidin/Naloxon (Tropfen) seit dem 1. Januar 2013 unter die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV).

Laut Leitlinie sind Tilidin/Naloxon und Tramadol für den Einsatz bei „mittleren“ Tumorschmerzen vorgesehen. Auf Grund ihrer Nebenwirkungen (Übelkeit, Obstipation, zentralnervöse Nebenwirkungen) und fehlender Möglichkeit der Dosissteigerung (Tagesdosis maximal 400 mg bei Tramadol, 600 mg bei Tilidin/Naloxon) sind sie für die Tumorschmerztherapie weniger geeignet. Bei progredienter Grunderkrankung ist mit einer Zunahme der Symptomlast zu rechnen und damit eine Dosisanpassung fällig. Die Stufe 2 darf übersprungen werden.

Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, Fentanyl, Buprenorphin und Levomethadon sind die in Deutschland gebräuchlichsten stark wirksamen Opioide der Stufe 3 und werden über BtM-Rezept verordnet. Grundsätzlich gibt es für jedes dieser Opioide keine Obergrenze in der Dosierung (Ausnahme: Buprenorphin). Sie sind für den Einsatz bei schweren Tumorschmerzen sowohl allein als auch in Kombination mit Stufe-1-Analgetika bestens geeignet. Bezüglich der analgetischen Wirkung konnte bei äquipotenter Dosierung zwischen den gebräuchlichsten Opioiden – Morphin, Oxycodon und Hydromorphon – kein Unterschied festgestellt werden. Das mögliche Nebenwirkungsspektrum und die Art der Applikation sollen den unterschiedlichen Einsatz begründen. Bei Organ­insuffizienz (Leber und/oder Niere) sind Hydromorphon oder Fentanyl zu bevorzugen, bei Morphin kumulieren aktive Metabolite im Liquor.

Der Start einer Opiodtherapie Stufe 3 beginnt mit der kleinsten Dosiseinheit. Sie kann aus nicht retardierter oder aus der Kombination eines Retardpräparates und einer nicht retardierten Darreichungsform bestehen. Die Kombination empfiehlt sich zum raschen Erreichen der Wirkspiegel und erhöhter Compliance (weniger Applikationen). Werden nur Retardpräparate verordnet, dauert es 24 bis 48 Stunden, bis der endgültige Wirkspiegel erreicht ist. Mit der nicht retardierten Form können Patienten selbstständig das Defizit in der analgetischen Wirkung ausgleichen. Die Einzeldosis dieser Präparation sollte 1/6 der Tagesdosis sein. Ist nach 48 Stunden immer noch eine regelmäßige Einnahme der nicht retardierten Form notwendig, ist die Dosis der Retardform entsprechend der addierten Menge der nicht retardierten Form zu erhöhen (Patienten sollen die Anzahl der eingenommenen Dosen dokumentieren).

Als ein klassisches Beispiel sei Mophin in verschiedenen Wirkstärken (Tabletten von 10 bis 200 mg aufwärts, Einnahme alle zwölf Stunden) in Kombination mit Morphinlösung 2 % (0,5 ml = 10 mg – 1 Tropfen = 1 mg) genannt. Mit einem Wirkungseintritt der Tropfen ist nach 30 Minuten zu rechnen.

Ist bei schwersten Schmerzzuständen eine sofortige Linderung erforderlich, soll Morphin subkutan (s.c.) gegeben werden. Mit einer deutlichen Schmerzerleichterung ist nach zehn Minuten zu rechnen.

Die rascheste Schmerzlinderung ist mit einer kontinuierlichen intravenösen (alternativ kontinuierlich s.c.) Therapie zu erzielen – eine regelmäßige Dosisanpassung vorausgesetzt. Dieses Vorgehen ist auf Palliativstationen üblich. Im ambulanten Bereich kann dies durch ein Palliativteam (24-Stunden/sieben Tage die Woche kontaktierbar) bewerkstelligt werden. Bei der Umrechnung von oral auf parenteral wird mit dem Faktor 2:1 (s.c.) bis 3:1 (intravenös, i.v.) gerechnet (i.v. dreifach wirksamer als oral).

Oxycodon hat die 1,5-fache bis zweifache Wirksamkeit von Morphin. Die Retardtabletten sollen zwölf Stunden Wirksamkeit haben. Eine nicht retardierte Lösung (10 mg = 1 ml) ist verfügbar. Die fixe Kombination Oxycodon/Naloxon wird beworben mit verringerter Obstipation. Die Kombination verhindert eine Dosissteigerung über 160 mg Oxycodon/Tag. Der Bedarf an Laxantien ist erfahrungsgemäß nur unwesentlich verringert. Der Abbau erfolgt hepatisch, auf die Interaktion mit Betablockern (hemmen den Abbau) ist zu achten.

Hydromorphon ist fünf- bis achtmal wirksamer als Morphin. Es ist in Retardtabletten ab 2 mg aufwärts bis 24 mg verfügbar, nicht retardiert in 1,3 und 2,6 mg Tabletten, parenteral von 2 bis 100 mg Ampullen. Der Vorteil bei Hydromorphon ist die bessere Einsatzmöglichkeit bei Leber- und Niereninsuffizienz. Die große Spannweite der Dosierungen sei als Hinweis zu verstehen auf die große therapeutische Breite der Opioide.

Levomethadon ist ca. zwei- bis viermal potenter als Morphin. Es ist in Tropfen- und Tablettenform verfügbar, die Dosis wird langsam über Tage gesteigert. Es hat Vorteile bei neuropathischen Schmerzen. Wegen seiner speziellen Pharmakologie (Fast- and Slow-Metabolizer) soll es nur durch erfahrene Schmerztherapeuten eingesetzt werden.

Die Matrixpflaster mit Buprenorphin oder Fentanyl haben ihre Domäne bei stabilem Schmerzverlauf, bei Schluckunfähigkeit, gastrointestinaler Malabsorbtion oder „Vergesslichkeit“ der Patienten durch Reduktion der Tablettenzahl. Die Umrechnung für Fentanyl zu Morphin beträgt 1:100 (siehe auch Packungsbeilage Fentanylpflaster [2]).

Fentanyl wird von 12 µg/h bis 150 µg/h als Drei-Tage-Pflaster rezeptiert, Steigerungen sind sinnvoll bis 300 µg/h. Der Nachteil liegt in dem extrem langsamen An- und Abfluten des Wirkspiegels: Bei Ersteinstellung oder Dosisänderung ist der Wirkspiegel frühestens nach 24 Stunden erreicht. Bei Umstellung von oral auf Pflaster soll daher die bisherige Opioidgabe in den ersten zwölf Stunden unverändert fortgesetzt werden. Falls die Patienten am dritten Applikationstag vermehrt über Schmerzen klagen als Indiz für eine verringerte Abgabe aus der Matrix, ist das Intervall auf 48 Stunden zu verkürzen, der Pflasterhersteller zu wechseln (verschiedene Beladung der Matrixsysteme mit Fentanyl) oder die Pflasterdosis generell zu erhöhen. Beim Aufkleben ist auf intakte, möglichst faltenfreie Haut (oberer Rücken- oder Brustbereich) zu achten. Die Ränder des Pflasters müssen umlaufend fest angedrückt werden. Teilweise abgelöste Pflaster (verringerte Kontaktfläche) sind gänzlich zu erneuern. Kachexie reduziert die Resorption und damit die Wirksamkeit. Wärme (Fieber oder Wärmflasche) erhöht die Resorption, dabei ist vermehrt mit Nebenwirkungen zu rechnen. Wegen der stabileren Freisetzung und Gefahr der Überdosierung bei Pflasterverletzung sollen nur noch Matrixpflaster und keine Reservoirpflaster verordnet werden. Als kurzwirksame Bedarfsmedikation stehen bukkal anzuwendende Schmelztabletten 100 bis 1.600 µg oder Nasensprays in verschiedenen Formen zur Verfügung. Der hohe Preis limitiert ihren Einsatz: die Einzeldosis kostet um 10 €. Da Fentanyl keinem Patentschutz unterliegt, haben sich als Individualrezeptur hergestellte Nasensprays (von 25 bis 400 µg/Hub) etabliert, die von ausgewählten Apotheken mit entsprechender Ausrüstung hergestellt werden.

Buprenorphin steht für die Therapie von Tumorschmerzen in Pflasterstärken von 35 oder 52,5 oder 70 µg/h alle vier Tage zur Verfügung. Die Umrechnung zu Morphin beträgt 1:75 bezogen auf die Tagesdosis. Im Unterschied zu den anderen Opioiden ist es ein partieller µ-Rezeptorantagonist: In geringeren Dosen wirkt es analgetisch, in höheren Dosen mehr antagonistisch am k-Opiodrezeptor (Ceiling-Effekt). Eine Dosierung über 140 µg/h ist daher obsolet. Als Bedarfsmedikament stehen nicht retardierte Sublingualtabletten in 0,2 und 0,4 mg zur Verfügung. Die niedrig dosierten Sieben-Tage-Pflaster von Buprenorphin haben bei Tumorschmerzen keine Indikation.

Tapentadol ist zugelassen für die Behandlung chronischer schwerer Schmerzen. Studien zur Tumorschmerztherapie liegen bisher nicht vor. Laut Leitlinie gibt es keine Empfehlung zum Einsatz in der Tumorschmerztherapie. Ebenso wird auf den Einsatz der verschiedenen Cannabispräparate hier nicht eingegangen (vgl. Artikel in AVP 1/2018 [3]).

Durchbruchschmerzen

Bei Durchbruchschmerzen hat sich neben der parenteralen Gabe eines Opioids der Stufe 3 (zum Beispiel als Bolusgabe bei laufender Morphinmedikation durch eine Pumpe oder als s.c.-Applikation) Fentanyl als Nasenspray in angepasster Dosis seit über zehn Jahren sehr bewährt. Die Berechnung der Dosis des Bedarfes richtet sich nach der Pflasterstärke des Fentanyls: Empfohlen wird die Zwei- bis Vier-Stundendosis des aufgeklebten Pflasters als Spraydosis, um eine ausreichende Erhöhung des Wirkspiegels zu erzielen. Beispiel: Ein 25 µg/h Fentanylpflaster erfordert einen 50 µg/Hub Nasenspray, bei unzureichender Wirkung Wiederholung dieser Dosis in die gegenseitige Nasenöffnung nach zehn Minuten. Eine Schulung der Patienten (und Angehörigen!) über die richtige Anwendung (Flasche senkrecht halten und nicht waagerecht, Pumpenstempel vollständig herunterdrücken) mit Demonstration ist erforderlich [4]. Bei Erhöhung der Pflasterdosis ist das Nasenspray anzupassen.

Bei Individualrezepturen, aber auch bei den Fertigarzneimitteln, ist große Vorsicht wegen Verwechslungsgefahr mit anderen Nasensprays geboten.

Nebenwirkungen der Opioidtherapie

Die häufigsten Nebenwirkungen der Opioide sind Übelkeit (passager in den ersten Tagen der Einnahme), Obstipation (anhaltend während der gesamten Therapiedauer), Müdigkeit, seltener Harnverhalt bei Männern (multifaktoriell: körperliche Schwäche, Unmöglichkeit der Miktion im Stehen) und Verwirrtheit. Die gefürchtete Atemdepression spielt deutlich seltener eine Rolle. Ausnahmen sind Endzustände einer fortgeschrittenen COPD mit CO2-Retention oder neurodegenerative Erkrankungen (ALS) mit reduziertem Atemantrieb. Hier kann das eingesetzte Opioid in Kombination mit O2-Gabe (persönliche Erfahrung) eine CO2-Narkose mit fatalen Folgen auslösen – insbesondere die transdermalen Systeme: Das Opioid wird auch bei anhaltender Bewusstlosigkeit weiter resorbiert! Die Indikation von Opioiden bei derartigen Krankheitszuständen ist streng zu stellen bzw. es sind kleinste Dosierungen anzusetzen mit häufigen Kontrollen.

Der Einsatz der Opioide erfordert eine adjuvante Medikation zur Behandlung der Nebenwirkung: Bei Übelkeit hat sich niedrig dosiert Haloperidol (3 x 5 Tropfen, alternativ Metoclopramid bis 3 x 10 mg) vor der Nahrungsaufnahme in den ersten Tagen bewährt. Bei Obstipation müssen Laxanzien wie Macrogol mit reichlich Flüssigkeit eingenommen werden, ergänzend/alternativ können Bisacodyl-Tropfen eingesetzt werden. Lactulose-Sirup ist zwar preiswerter in der Verordnung, verursacht aber häufig Blähungen.

Bei mehrtägiger Obstipation sind rektale Systeme (Suppositorien, Klysmen, Einläufe) zusätzlich notwendig. Als Ultimo ratio steht der periphere Opioidrezeptorantagonist Naltrexon parenteral zur Verfügung. Die Kontraindikationen von Naltrexon (Peritonealkarzinose, Divertikulose wegen möglicher Perforation) sind zu beachten. Bei Opioidmedikation ist die Verordnung von Laxanzien eine Kassenleistung (Vermerk auf dem Rezept). Eine Kombination von Laxantien mit verschiedenen Wirkprinzipien ist sinnvoller als die Maximaldosis einer Einzelsubstanz.

Bei mechanischem Ileus sind Laxanzien kontraindiziert und alternative Therapien einzuleiten. Dies betrifft auch die Analgetika, die umgehend von oral (unsichere bzw. fehlende Resorption) auf parenteral umzustellen sind (allenfalls noch Suppositorien möglich).

ZNS-Nebenwirkungen durch Opioide reichen von leichter Benommenheit bis zu massiver Sedierung. Bei schweren Nebenwirkungen wie Halluzination und Delir ist die Einnahme umgehend zu pausieren. Nach Abklingen der Symptome kann nach einem Opioidwechsel ein erneuter Therapieversuch in reduzierter Dosis unternommen werden. Eine leichte Sedierung ist in der fortgeschrittenen Palliativsituation eher vorteilhaft.

Wegen der ZNS-Nebenwirkungen sind Patienten auf eingeschränkte Fahrtüchtigkeit (bei stabiler Opioidmedikation) bzw. Fahruntüchtigkeit bei wechselnder Opioidmedikation (Einsatz der Bedarfsmedikamente) hinzuweisen – dies ist in den Unterlagen zu dokumentieren.

Die bei hoher Dosierung häufiger auftretenden Myoklonien unter Morphin lassen sich durch einen Wechsel des Opioids auf Hydromorphon oder Fentanyl zumindest reduzieren. Wenn trotz unzureichender Analgesie die Nebenwirkungen des eingesetzten Opioids eine Dosissteigerung verbieten, empfiehlt sich der Wechsel von einem Opioid der Stufe 3 auf ein anderes. Umrechnungstabellen erleichtern den Wechsel (vgl. [5]). Die Dosis des neuen Opioids soll verringert sein, wenn die Nebenwirkung Grund des Wechsels ist. Die Dosis kann äquivalent sein, wenn wegen ungenügender Wirkung gewechselt wird (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1: Morphinäquivalenzdosen
OpiodUmrechnungs-­faktor laut LONTS1/NHS2Fachinformation
Morphin oral retardiert/unretardiert1 
Fentanyl TTS1 : 100Der Hersteller empfiehlt eine Konversion 1 : 150 bei Opiodrotation und instabilen Patienten bzw. 1 : 100 bei stabilen Patienten (a & c)
Buprenorphin TTS1 : 75

Die relative Potenz von Buprenorphin in unterschiedlichen Darreichungsformen und verschiedenen klinischen Situationen ist in der Literatur wie folgt beschrieben worden  (b & c):

Morphin peroral : Buprenorphin intramuskulär als 1 : 67–1 : 150 (einmaliges Akutschmerzmodell)

Morphin peroral : Buprenorphin sublingual als 1 : 60–100 (Einmalgabe, Akutschmerzmodell, Mehrfachgabe, chronischer Schmerz, Tumorschmerz)

Morphin peroral : Buprenorphin transdermal als 1 : 75–115 (Mehrfachgabe, chronische Schmerzen)

Buprenorphin sublingual1 : 80Bisher wurden keine Studien zu Äquivalenzdosen zu Morphin publiziert. Entsprechend liegen keine Angaben von den Herstellern vor.
Hydromorphon oral retardiert/ unretardiert1 : 5–7,5Hersteller empfehlen eine Äquivalenzdosis zu oralem Morphin von 1: 5–10  (c)
Oxycodon oral retardiert/ unretardiert1 : 2In Fachinformation keine Angaben zu Äquivalenzdosen  (c)
Tilidin oral retardiert10 : 1In Fachinformation keine Angaben zu Äquivalenzdosen  (c)
Tramadol oral retardiert/unretardiert10 : 1Hersteller empfehlen eine Äquivalenzdosis von 10–7:1  
Tapentadol oral2,5 : 1Laut Fachinformation keine Angaben zu Äquivalenzdosen  (c)

(a) Fachinformation Fentanyl AL TTS Matrixpflaster – Kurzlink: https://tinyurl.com/mvszekyf/ (06.11.22)

(b) Fachinformation transdermales Pflaster

(c) https://www.schmerzgesellschaft.de → LONTS → Opioidrotation – Kurzlink: https://tinyurl.com/2p8utfnu/

Umrechnungstabelle für Opioide siehe www.palliativnetz-brv.de → für Ärzte – Kurzlink: https://tinyurl.com/ys4nknzc/

Abkürzungen: LONTS: Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen; NHS: National Health Service.

Sollte auch die kontinuierliche parenterale Opioidgabe (Morphin oder Hydromorphon) nicht zu einer ausreichenden Schmerzkontrolle führen oder zu starke Nebenwirkungen verursachen, kann die Morphin-Applikation in einzelnen Fällen mittels Peridural- oder Spinalkatheter in Kombination mit Clonidin (Off-Label-Use [6]) und einem Lokalanästhetikum erfolgen. Dies erfordert die entsprechende fachliche Expertise und ein stationäres Setting. Der Vorteil ist die Verringerung der Opioiddosis um den Faktor 100. Auf die lokale Schmerztherapie mittels Blockade (Plexus oder Truncus coeliacus) wird hier nicht weiter eingegangen.

Eine Alternative in der Finalsituation des Krankheitsverlaufes ist die sogenannte palliative Sedierung: Mittels kontinuierlicher Midazolam- oder Propofol-Gabe wird unter Fortführung der parenteralen Analgetikatherapie das Bewusstsein soweit gedämpft, dass der Zustand vom Patienten als subjektiv erträglich eingestuft wird.

Informationen siehe unter: https://www.palliativmedizin.uk-erlangen.de/forschung/downloads/dokumentationsvorlagen-palliative-sedierung/; Kurzlink: https://tinyurl.com/58evhddp/

sowie Leitlinienprogramm Onkologie (S3-Leitlinie Palliativmedizin, Version 2.0, August 2019: Kapitel 18 Seite 411–463 Todeswünsche bis Kapitel 18.4 Umgang mit Patienten mit Todeswunsch).

Die palliative Sedierung ist eine akzeptable Alternative zum gelegentlich vom Patient gewünschten assistierten Suizid – eine Begleitung im Sterben, nicht zum Sterben.

Alle Opioide können bei prädisponierten Patienten zu psychischer Abhängigkeit führen mit der Neigung der häufigen Einnahme und Dosissteigerung. Besonders die rasch anflutenden Präparate (Fentanyl nasal appliziert; Oxycodon) haben eine euphorisierende Begleitwirkung. Die im ambulanten Setting eingesetzten Morphinpumpen haben den Komfort einer Bolustaste. Um eine versehentliche repetitive Auslösung dieser Funktion und damit eine Überdosierung zu verhindern, wird eine „Sperrzeit“ eingestellt – abhängig von der Schmerzdynamik und der Höhe der Dosis des Bolus: mindestens 20 Minuten.

Die in Deutschland restriktive Verordnung durch die BtMVV ist ein gewisser Schutz vor unkontrollierter Dosissteigerung. Bei längerer Einnahme von höheren Dosen entsteht bei allen Patienten eine körperliche Abhängigkeit. Ein abruptes Absetzen insbesondere hoher Dosen muss daher vermieden werden, andernfalls ist mit Entzugssymptomen (Herzrasen, Schwitzen, Dysphorie) zu rechnen. Die gefürchtete psychische Abhängigkeit stellt in der fortgeschrittenen Palliativsituation kein eigentliches Problem dar, da der Krankheits- (bzw. Lebens-)lauf limitiert ist, der Nutzen durch die ausreichende Analgesie (= Lebensqualität) überwiegt diesen Nachteil bei Weitem.

Co-Analgetika

Bei starken neuropathischen Schmerzen (elektrisierend, einschießend, verbunden mit Taubheitsgefühl bei Belastung) helfen Antikonvulsiva wie Gabapentin (Start mit 300 mg/Tag, max. 3600 mg/Tag verteilt über Einzeldosen) oder Pregabalin (Start 25 bis 75 mg zur Nacht, max. 600 mg/Tag verteilt auf mehrere Gaben), den Schmerz zu reduzieren. Weil die Medikamente Müdigkeit als Nebenwirkung haben, kann die erste Dosis vorzugsweise abends eingenommen werden. Dosissteigerungen haben langsam über Tage zu erfolgen, in der Regel wird nicht die Maximaldosis benötigt. Die niedrigste wirksame (oder tolerierte) Dosis ist die Erhaltungsdosis. Ein abruptes Absetzen nach längerer Einnahme ist zu vermeiden wegen Entzugssymptomen bzw. Entzugskrämpfen. Pregabalin wirkt auch bei generalisierter Angststörung [7]. Bei nächtlichen brennenden Ruheschmerzen helfen Antidepressiva vom Typ Amitriptylin, Beginn mit 25 bis 50 mg. In der Regel sind 75 mg zur Nacht ausreichend, insbesondere bei älteren Patienten. Bei den komorbiden Patienten sind die Kontraindikationen (kardial, hepatisch, Harnretention) zu beachten. Eine Alternative bei neuropathischem Schmerz ist die Gabe von Levomethadon (siehe oben).

Bis zu einem Drittel der Tumorpatienten leidet unter einer behandlungsbedürftigen Depression. Ohne Antidepressiva führt die alleinige Schmerztherapie nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis. Wenn Schlafstörungen und Appetitmangel als häufige Begleiterscheinung zusätzlich vorliegen, empfiehlt sich die Verordnung von Mirtazapin. Die Aufklärung über den Einsatz dieses Medikamentes soll auch über die „erwünschten“ Nebenwirkungen erfolgen. Werden Appetitsteigerung, guter Schlaf sowie Stimmungsverbesserung genannt, erhöht sich die Akzeptanz zur Einnahme durch die Palliativpatienten. Einstiegsdosis sind 15 mg zur Nacht (bei Untergewicht und höherem Alter auch 7,5 mg). Mit dem Einsetzen der antidepressiven Wirkung ist frühestens nach einer Woche zu rechnen. Liegt eine Antriebsschwäche vor, kann ein Therapieversuch mit Citalopram 10 mg morgens begonnen werden. Bei allen Antidepressiva sind die Kontraindikationen zu beachten. Bei allen depressiven Patienten soll zusätzlich nach Suizidgedanken gefragt werden, um rechtzeitig intervenieren zu können. Die Beteiligung eines Facharztes für Psychiatrie/Psychotherapie ist wünschenswert, wenn die Behandlungsdauer es erlaubt.

Bei vielen Patienten bestehen schmerzbedingte Schlafstörungen. Benzodiazepine vom Typ Lorazepam (0,5 bis 2,5 mg) sind eine wirksame Ergänzung zur Analgetika-Einnahme. Lorazepam-Schmelztabletten können auch bei Schluckschwierigkeiten eingenommen werden. Das Gewöhnungs- und Suchtpotenzial ist abzuwägen gegen die Verbesserung der Qualität der verbleibenden Lebensspanne.

Bei ausgeprägten viszeralen spastischen Schmerzen kann Butylscopolamin parenteral kontinuierlich oder als Kurzinfusion appliziert werden. Die orale Gabe ist wegen mangelnder Resorption so gut wie unwirksam. Die anticholinerge Nebenwirkung mit der Verringerung der Sekretion (Mund und Bronchien) wird in der Sterbephase zur Verringerung des ausgeprägten Trachealrasselns genutzt. Auf die Nebenwirkung bezüglich erhöhten Augeninnendrucks ist zu achten.

Bei Knochenschmerzen ist bei ausgeprägtem Knochenödem um die Metastasen Dexamethason als abschwellendes Medikament wirksam (Vorsicht bei Kombination mit NSAR: ulzerogenes Risiko vervielfacht!).

Bei zu erwartender mehrmonatiger Schmerztherapie der Knochenmetastasen ist neben einer Kausaltherapie (OP und/oder Bestrahlung) der Einsatz der sogenannten Bisphosphonate auch als Co-Analgetika zu erwägen. Neben den intravenös zu applizierenden Bisphosphonaten Pamidronat, Ibandronat und Zoledronat steht der s. c. zu applizierende humane monoklonale IgG2-Antikörper Denosumab gegen den RANK-Ligand zur Verfügung. Vor Beginn ist zahnärztlich ein entzündlicher Fokus im Gebissbereich auszuschließen (Cave: Kieferosteonekrose). Die parenterale Gabe der Bisphosphonate alle drei bis vier Wochen ist der oralen Gabe wegen der Umständlichkeit der Einnahme, der geringen Resorptionsquote und dem regelmäßigen Patientenkontakt (gegebenenfalls in Kooperation mit dem behandelnden Onkologen) zu bevorzugen. Vor der Gabe sollen der Kalziumspiegel kontrolliert, Kalzium und Vitamin D substituiert werden.

Dexamethason ist als Co-Analgetikum bei Leberkapselspannungsschmerz hochwirksam. Neben den bekannten unerwünschten Nebenwirkungen besitzt Dexamethason das in der Palliativmedizin häufig erwünschte Potenzial der Appetitsteigerung, Antriebssteigerung und Stimmungsverbesserung. Auf gegenteilige psychische Nebenwirkungen (Schlafstörungen, Albträume, Wahnvorstellungen) ist der Patient zu befragen. Die morgendliche Einmalgabe der gesamten Tagesdosis ist wegen der langen Wirkdauer ausreichend – und verringert die Schlafstörungen.

Ethische Aspekte der Palliativbehandlung

Eine abschließende ethische und juristische Reflexion zur Überlegung von erwünschter Wirkung und möglicher Nebenwirkung ist unter [8] nachzulesen.

Eine elementare ärztliche/pflegerische Aufgabe ist die Begleitung des Sterbenden: lindernde Betreuung der Symptome, Eingehen auf emotionale Not, Gewähren von menschlicher Nähe, Zeit für (non-)verbale Kommunikation. Rechtlich ist der Arzt zur Hilfe im Sterben verpflichtet, auch wenn auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet wurde. Eine unterlassene Schmerztherapie kann als unterlassene Hilfeleistung gewertet werden.

Eine Behandlungsbegrenzung (= Sterbenlassen – früher „passive Sterbehilfe“) liegt vor, wenn eine lebenserhaltende Behandlung wegen nicht (mehr) bestehender medizinischer Indikation nicht begonnen oder eine laufende nicht fortgesetzt oder aktiv beendet wird.

Durch Therapiezieländerung tritt die Palliation in den Vordergrund. Sie bedarf einer ausführlichen Absprache mit Mitbehandelnden, Angehörigen und den Patienten. Eine effektive Symptomkontrolle im Sterbeprozess kann als unbeabsichtigte (!) Nebenwirkung eine Lebensverkürzung zur Folge haben (früher „indirekte Sterbehilfe“). Sie ist straflos, wenn sie medizinisch indiziert ist, ein entsprechender Patientenwille und keine Tötungsabsichten vorliegen.

Fazit für die Praxis

Schmerzen bei Tumorpatienten in der Palliativsituation effektiv zu behandeln, setzt neben Kenntnissen der Pharmakologie der eingesetzten Arzneimittel und möglichst wenig invasiver Abklärung der Ursachen des Schmerzes auch das einfühlsame Eingehen auf Wünsche und Sorgen der Patienten und deren Angehörigen voraus.

Dr. med. Andreas Rost, Groß-Umstadt E-Mail: rostmedv@web.de, Palliativteam Frankfurt, Geleitstraße 14 | 60599 Frankfurt, E-Mail: info@palliativteam-frankfurt.de

Die Literaturhinweise finden Sie am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“ in der PDF-Version dieses Artikels.

Interessenkonflikte: Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Multiple Choice-Fragen

Die Multiple Choice-Fragen zu dem Artikel „Schmerztherapie bei Tumorpatienten in der (fortgeschrittenen) Palliativsituation“ von Dr. med. Andreas Rost finden Sie im PDF am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“ und im Mitglieder-Portal (https://portal.laekh.de). Die Teilnahme zur Erlangung von Fortbildungspunkten ist ausschließlich online über das Mitglieder-Portal vom 25. Januar 2023 bis 24. Juli 2023 möglich. Die Fortbildung ist mit zwei Punkten zertifiziert. Mit Absenden des Fragebogens bestätigen Sie, dass Sie dieses CME-Modul nicht bereits an anderer Stelle absolviert haben. Dieser Artikel hat ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen. Nach Angaben des Autors sind die Inhalte des Artikels produkt- und/oder dienstleistungsneutral, es bestehen keine Interessenkonflikte.