Noch nie zuvor haben wir so viele Zuschriften von Leserinnen und Lesern erhalten wie zu dem Leserbrief „Gendern ist undurchdachter Aktionismus“ unseres Mitgliedes Dr. med. Albert Zeides. Diese Briefe (S. 374/375) habe ich mit Interesse und Aufmerksamkeit gelesen und bin sicher, dass diese Diskussion noch längst nicht beendet ist, weder unter unseren Mitgliedern noch gesamtgesellschaftlich. Ich habe mich auf jeden Fall über dieses Engagement gefreut, was mich gleich zu meinem nächsten Gedanken führt. Leider gelingt es trotz aller Bemühungen noch immer nicht, mehr Kolleginnen für das ehrenamtliche Engagement in der Landesärztekammer zu gewinnen. Dies betrifft nicht nur die Besetzung von Ausschüssen und Kommissionen, sondern auch das Prüfungswesen. Bitten nach einer Mitwirkung als Prüferin werden zu meinem großen Bedauern leider vielfach abschlägig beschieden. Sollten Sie, liebe Kolleginnen, zukünftig eine entsprechende Anfrage erhalten, bitte ich Sie herzlich um wohlwollende Prüfung und natürlich möglichst um eine Zusage.

Dabei geht es mir nicht um eine punktgenaue Abbildung des Geschlechterverhältnisses, aber eben doch um eine erhöhte Sichtbarkeit von Ärztinnen in der ärztlichen Selbstverwaltung, sind doch 48 % unserer Mitglieder Stand 1. Mai 2022 weiblich.

Mit etwa 64 % ist der Frauenanteil bei den Studierenden der Humanmedizin seit Jahren noch deutlich höher. Das dürfte auch auf die 185 zusätzlichen Medizinstudienplätze an der Uni Marburg zutreffen, für deren Schaffung sich die Landesärztekammer Hessen seit Jahren eingesetzt hat. Bislang wurden nämlich in Marburg jährlich 185 sogenannte Teilstudienplätze vergeben, deren Zulassung jedoch auf den vorklinischen Studienabschnitt beschränkt war. Eine Kooperation zwischen der Philipps-Universität Marburg, dem Klinikum Fulda und der Hochschule Fulda ermöglicht nun endlich die Umwandlung der Teil- in Vollstudienplätze. Den betroffenen Studierenden bleibt damit die Suche nach einer anderen Universität, womöglich sogar in einem anderen Bundesland, erspart, und uns bleibt die Hoffnung, dass die zukünftigen Kolleginnen und Kollegen in Hessen bleiben und dazu beitragen, den Mangel an Ärztinnen und Ärzten zu verringern.

Mein Dank gilt dem Land Hessen und dessen Wissenschaftsministerium in der Hoffnung, dass auch andere Bundesländer mehr humanmedizinische Studienplätze einrichten. Diese Plätze werden dringend gebraucht. In einem anderen Bundesland wird Studierenden offenbar lieber ein Studium im europäischen Ausland finanziert anstatt das Geld in die eigenen Universitäten zu investieren. Ein Mangel an Fach- und Nachwuchskräften zeichnet sich zunehmend auch bei den Medizinischen Fachangestellten ebenso wie bei vielen anderen Ausbildungsberufen ab. Umso befremdlicher erschienen mir die jüngsten Berichte über das „Verschwinden“ von ca. 200.000 Jugendlichen in Deutschland, die sich während der Coronapandemie aus dem normalen Leben zurückzogen. Den Berichten zufolge tauchen diese jungen Menschen weder in den Ausbildungsbetrieben noch in den Hochschulen auf. Auch die zuständigen Behörden haben das Phänomen bemerkt, ohne jedoch eine Erklärung zu geben oder geben zu können. Über die Gründe kann bislang nur spekuliert werden. Jakob Maske, Vorsitzender des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, hält Nebenwirkungen des langen Lockdowns für möglich.

Der von Bundestag und Bundesregierung beauftragte Sachverständigenausschuss zur Bewertung der Pandemiemaßnahmen, eine zweifelsohne hoch komplexe und anspruchsvolle Aufgabe, wird sich unter anderem auch mit der Notwendigkeit von Schulschließungen beschäftigen.

Ungeachtet der Frage, ob der Ausschuss über genügend Zeit und wissenschaftliches Hilfspersonal verfügt, müssen an geeigneter Stelle nicht nur das Verschwinden so vieler Jugendlicher, sondern auch die Folgen von Schulschließungen für die seelische, aber auch körperliche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen unter die Lupe genommen werden.

Fettleibigkeit oder Magersucht, exzessive Mediennutzung oder Abtauchen in die Anonymität müssen uns – auch ohne den durch die Pandemie bedingten Anstieg dieser Phänomene – alarmieren. Wir müssen die Rahmenbedingungen für ein Aufwachsen in Gesundheit und stabilen Lebensverhältnissen deutlich verbessern.

Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident