Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident Paul-Ehrlich-Institut

Seit seiner Gründung im 19. Jahrhundert haben sich die Aufgabenfelder des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vervielfacht. Die Bewertung von Impfstoffen für die Anwendung beim Menschen spielt dabei eine wichtige Rolle und leistet einen wesentlichen Beitrag für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten, wie Prof. Dr. rer. nat. Klaus Cichutek, Präsident des PEI, berichtet.

Prof. Dr. rer. nat. Klaus Cichutek (65) ist seit 1. Dezember 2009 der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, mit Sitz in Langen (Hessen). Nach einem Postdoc-Aufenthalt in Berkeley, Kalifornien, startete er als Forschungsgruppenleiter in der Retrovirologie am PEI. 1994 bis 2011 war er Leiter der Abteilung Medizinische Biotechnologie. 1999 übernahm er die Funktion des ständigen Vertreters des Präsidenten bzw. Vizepräsidenten des PEI. Bis Februar 2014 war Cichutek Co-Vorsitzender der Gruppe „Benchmarking of European Medicines Agencies“ (BEMA) der Gruppe der Leiter der europäischen Arzneimittelbehörden („Heads of Medicines Agencies“, HMA). Von März 2014 bis Februar 2018 leitete er die „HMA Management Group“. Seit Juni 2012 ist er Mitglied des „WHO Expert Advisory Panel on Biological Standardization“ und seit Februar 2014 des „Product Development for Vaccines Advisory Committee (PD-VAC)“ der WHO.

Cichutek ist apl. Professor für Biochemie der Goethe-Universität Frankfurt/Main und Autor von über 150 Publikationen in internationalen Wissenschaftsjournalen.

Warum wurde das PEI gegründet?

Prof. Dr. Klaus Cichutek: Das Paul-Ehrlich-Institut, das diesen Namen seit 1947 trägt, wurde am 1. Juni 1896 als „Institut für Serumforschung und Serumprüfung“ mit Paul Ehrlich als erstem Direktor in Steglitz bei Berlin gegründet. Die Aufgaben des Instituts lagen sowohl in der Prüfung (Bewertung) von Serumpräparaten, also Antikörper enthaltenden Arzneimitteln, als auch in der Forschung. Dabei ging es u. a. darum, Prüfmethoden zu verbessern. Die Zuständigkeit für Impfstoffe kam später dazu. Nach dem Umzug nach Frankfurt am Main in das neu errichtete Königliche Institut für experimentelle Therapie 1899 zählte die amtliche Prüfung aller der staatlichen Kontrolle unterstellten Heilsera zu den Hauptaufgaben. Es wurden aber auch hygienisch-bakteriologische Arbeiten für die öffentliche Hygiene der Stadt sowie für die Krankenhäuser und Ärzte Frankfurts durchgeführt. Auch der Ausbau der Immunitätslehre, speziell der Serumforschung, spielte eine wichtige Rolle.

Was sind die Aufgabenfelder des PEI heute?

Cichutek: Das seit 1990 im hessischen Langen angesiedelte PEI ist zuständig für Human- und Veterinär-Impfstoffe, im Bereich Human-Arzneimittel u. a. für Antikörper enthaltende Therapeutika und monoklonale Antikörper, Allergene, Blut- und Gewebezubereitungen, Zell- und Tissue-Engineering-Arzneimittel sowie Gentherapeutika. Wir unterstützen die Entwicklung dieser Impfstoffe und biomedizinischer Arzneimittel vor und nach der Zulassung. Dazu gehören die wissenschaftliche Beratung von akademischen und industriellen Antragstellenden, die Genehmigung klinischer Prüfungen, die Zulassung und die Arzneimittel-Bewertung bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) sowie die Chargenprüfung und -freigabe. Die Arzneimittelsicherheit wird während des gesamten Lebenszyklus der Arzneimittel überwacht, ggf. werden Maßnahmen ergriffen, angeordnet und koordiniert. Das PEI führt Inspektionen durch, sowohl federführend (Pharmakovigilanz, EMA-Inspektionen für Zulassungsverfahren) als auch mit der zuständigen Landesbehörde z. B. im Vorfeld der Erteilung der Herstellungserlaubnis. Leitlinien werden unter Mitwirkung oder Federführung des PEI bei der EMA, EDQM (European Directorate for the Quality of Medicines & Health Care) und der WHO (World Health Organization) entwickelt. Wichtige Aufgaben sind auch die Politikberatung, die Forschung auf allen Gebieten der Lebenswissenschaften sowie die Evaluation und Chargenprüfung von In-vitro- Diagnostika für Hochrisiko-Erreger.

Wie wirkt sich die Arbeit des PEI auf die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte aus?

Cichutek: Sehr positiv, denn damit leistet das PEI einen wichtigen Beitrag für die Gesundheit der Menschen. Durch die Arbeit des PEI können sich Impfwillige, Patientinnen und Patienten, aber auch Ärztinnen und Ärzte darauf verlassen, dass zugelassene Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel wirksam, qualitativ hochwertig und unbedenklich, also sicher und verträglich sind. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist die staatliche Chargenprüfung und -freigabe der Impfstoffe, Sera, Allergene und Blutzubereitungen durch das PEI. Diese umfasst neben einer Überprüfung der Herstellungs- und internen Prüfprotokolle auch experimentelle Labor-Untersuchungen auf Qualität und Biomarker für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Stichproben jeder produzierten Charge. Das PEI ist hier eines der europäischen OMCL (Official Medicines Control Laboratories) und bringt seine Expertise auch EU-weit ein.

Ein für die Arzneimittelsicherheit in Europa sehr wichtiges Gremium mit PEI-Vertretung ist der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich Pharmakovigilanz (PRAC, Pharmacovigilance Risk Assessment Committee) bei der EMA. Das PEI hat hier mehrfach Überprüfungen von Arzneimitteln angeregt, für die sich aus den Verdachtsfallmeldungen Hinweise auf ein Risikosignal ergaben. Bestätigt sich ein Risikosignal, kann das einen Warnhinweis, eine Indikationseinschränkung, die Aufnahme einer neuen (dann bekannten) Nebenwirkung in die Produktinformation oder sogar das Ruhen oder den Widerruf der Zulassung zur Folge haben.

Welche konkreten Beispiele gibt es hierfür?

Cichutek: Für Ärztinnen und Ärzte sind in der SARS-CoV-2-Pandemie die periodisch erscheinenden Sicherheitsberichte über Verdachtsfallmeldungen von Impfnebenwirkungen und -komplikationen zu den zugelassenen Covid-19-Impfstoffen eine wertvolle Hilfe. Diese geben einen Überblick über aktuelle Erkenntnisse zur Sicherheit der eingesetzten Impfstoffe, stellen Reaktionen dar, die ein besonderes Augenmerk erfordern, können aber auch bei der Aufklärung von Impfwilligen helfen, wenn diese Fragen zu Nebenwirkungen haben.

Das Beispiel des so genannten „Thrombose-mit-Thrombozytopenie Syndroms“ (TTS), das inzwischen für die Impfstoffe Vaxzevria von Astra-Zeneca und COVID-19-Vaccine Janssen (Johnson & Johnson) als äußerst seltene Nebenwirkung in die Produktinformationen aufgenommen wurde, zeigt, wie wichtig die EU-weite Zusammenarbeit der Arzneimittelbehörden ist. Maßnahmen umfassen Rote-Hand-Briefe mit wichtigen Informationen, Hinweise für geimpfte Personen sowie Stellungnahmen von Fachgesellschaften zu Diagnose und Behandlung auf den PEI-Internetseiten.

Welche Aspekte spielen bei der Überwachung von Impfstoffen eine Rolle?

Cichutek: Hier erfasst und bewertet das PEI Meldungen auf den Verdacht von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen mit dem Ziel, mögliche Risikosignale frühzeitig zu erkennen. Um dies gewährleisten zu können, ist es wichtig, dass auch geimpfte Personen selbst die Möglichkeit nutzen, solche Verdachtsfälle an das PEI zu melden. Für diesen Zweck gibt es die Plattform www.nebenwirkungen.bund.de. Eine andere Form der Überwachung liegt bei den Behörden der Bundesländer. Dabei geht es z. B. um die Erlaubnis zur Herstellung und den Vertrieb von Arzneimitteln, um mögliche Fälschungen bzw. ganz allgemein Verstöße gegen das Arzneimittelrecht zu erkennen und zu unterbinden. Dabei bringen wir häufig unsere fachliche Expertise z. B. in Form von Beratungen in die verschiedenen Gremien der Bundesländer ein.

Wie funktioniert das Verfahren für die Bewertung der aktuellen Coronaimpfstoffe?

Cichutek: Covid-19-Impfstoffe werden in zentralisierten Verfahren bei der EMA bewertet. Dabei benennt das CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use) jeweils einen Rapporteur und einen Co-Rapporteur aus zwei Arzneimittelbehörden der EU-Mitgliedstaaten sowie einen Peer Reviewer. Deren Bewertungen durch Teams von Assessor/-innen in den beiden Arzneimittelbehörden werden im CHMP gemeinsam evaluiert und es wird eine gemeinsame Empfehlung zur Zulassung oder nicht für die EU-Kommission erstellt. Im Fall der Covid-19-Impfstoffe wurde das Rolling-Review-Verfahren etabliert, das den Antragstellern erlaubt, nach und nach einzelne Datenpakete zur Vorabbewertung einzureichen, auch wenn die Daten für den vollständigen Zulassungsantrag noch nicht vorliegen.

Das war einer der Gründe, warum die Zulassungen viel schneller als üblich erfolgen konnten, da die Bewertung bereits sukzessive vorgenommen wurde, während weitere Daten noch erhoben wurden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war der Großteil der Bewertung abgeschlossen. Dieses Verfahren etablierte das PEI auch bei der Genehmigung klinischer Prüfungen für Covid-19-Impfstoffe, so dass nach vorausgegangener, teils mehrfacher wissenschaftlicher Beratung die eigentliche Genehmigung innerhalb weniger Tage nach Antragstellung erfolgen konnte. So konnten wir die sorgfältige, aber beschleunigte Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe ermöglichen.

Interview: Katrin Israel-Laubinger, Silke Nahlinger, Nina Walter

Live-Online-Sonderveranstaltung: „Patientensicherheit: Entwicklungen, Herausforderungen und Chancen“ am 17.09.2021 ab 17 Uhr

Zum Welttag der Patientensicherheit organisiert die Landesärztekammer Hessen (LÄKH) eine Live-Online-Sonderveranstaltung für Ärztinnen und Ärzte sowie alle interessierten Mitarbeitenden im Gesundheitswesen. In spannenden, praxisrelevanten Vorträgen berichten Hon. Prof. (DPU) Dr. med. Günther Jonitz, (Potsdam), Dr. med. Kyra Schneider, DEAA, MBA (Universitätsklinikum Frankfurt) und Ulrike Schmitt (Kassenärztliche Bundesvereinigung) zum aktuellen Stand der Patientensicherheit aus ethischer, stationärer und ambulanter Perspektive. Mit einem Grußwort von Dr. med. Edgar Pinkowski (LÄKH), Moderation Nina Walter (LÄKH), Veranstaltungsleitung Katrin Israel-Laubinger (LÄKH).

  • Termin: 17. September 2021 ab 17 Uhr
  • 4 Fortbildungspunkte
  • Gebühr: 50 Euro (Akademiemitglieder kostenfrei)
  • Programm und Anmeldung (Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung): Christina Ittner, Fon: 06032 782-223, E-Mail: christina.ittner@laekh.de
  • Website: https://tinyurl.com/aan9f4xw/