Corona hat uns nach wie vor fest im Griff, auch wenn sich allen Widrigkeiten zum Trotz nun endlich erste Lichtblicke abzeichnen. Aber vielleicht geht es Ihnen so wie mir. Wenigstens ab und zu soll die Rede auch einmal von einem virenfreien Thema sein. Deswegen werfe ich heute einen Blick in die Vergangenheit, und zwar in die Vergangenheit der hessischen Ärzteschaft.

Vor wenigen Monaten gelangten wir in den Besitz mehrerer gebundener Jahrgänge des Hessischen Ärzteblatts aus den 1930er-Jahren. Dies verdanken wir dem Kollegen PD Dr. med. Frank Bergmann, Chefarzt der Pathologie des Klinikums Darmstadt. Anlässlich des bevorstehenden Umzugs der Pathologie in das neue Klinikgebäude wurden beim Räumen der alten Unterkunft auch viele alte Unterlagen gefunden. Darunter waren die eben genannten gebundenen Jahresausgaben. Statt die „alten Schinken“ einfach dem Altpapier zu überlassen, informierte Bergmann die Landesärztekammer und brachte die Bände persönlich zu uns nach Frankfurt. Wir waren hoch- erfreut, reichten doch unsere eigenen Unterlagen bislang nur bis zum Jahr 1954 zurück.

So habe ich die Gelegenheit genutzt und den ältesten Band aus dem Jahr 1931 durchgeblättert und fand gleich auf den ersten Seiten Protestnoten gegen die Notverordnungen der Jahre 1930 und 1931. Danach sollten die Krankenkassen unter anderem ärztliche Prüfstellen gründen und Vertrauensärzte zur Durchführung von Nachuntersuchungen einstellen. Dazu äußerte ein Kollege im Hessischen Ärzteblatt: „Bisher war der Arzt in seiner Behandlungstätigkeit im wesentlichen dem Kranken und sich selbst verantwortlich und unterstand in erster Linie der Aufsicht seiner kassenärztlichen Organisation. Künftig soll der Kassenarzt der Kontrolle durch eine neu geschaffene Kategorie von beamteten Aerzten, nämlich der Vertrauensärzte der Krankenkassen unterworfen werden. Wird der Arzt aber dadurch in seinen Entscheidungen unfrei und gehemmt, so muß er das Vertrauen seiner Kranken und seine Berufs- und Verantwortungsfreudigkeit verlieren.“

Durch die Notverordnung vom 26. Juli 1930 wurde auch die Verhältniszahl für Kassenärzte auf 1:1.000 Versicherte gesenkt. Dazu findet sich die folgende Kritik: „Für die Bemessung der Zahl der Kassenärzte sieht die Gesetzgebung eine Regelung vor, die für die Versorgung der Versicherten unzulänglich ist und über dies die Bedürfnisse der übrigen Bevölkerung völlig außer acht läßt.“ Hier verwies der Autor übrigens auf eine kleine Grippe-Epidemie im Februar 1931 im Raum Gießen, die sich gerade noch bewältigen ließ, und warnte vor größeren Epidemien bei sinkender Arztzahl.

Kommt Ihnen das nicht vertraut vor? Aus den Vertrauensärzten wurde der Medizinische Dienst der Krankenkassen, jetzt nur noch der Medizinische Dienst. Aus der Bemessung der Zahl der Kassenärzte wurde die Bedarfsplanung.

An anderer Stelle spricht der Kollege Dr. W. Neumann-Spengel zur Reform der Krankenversicherung: „Es wird wohl kaum einen Kassenarzt geben, der nicht schon oft genug über die Kassenpraxis gestöhnt hätte! Die anstrengende, oft wenig erfreuliche Arbeit bei meist recht bescheidender Bezahlung, die vielen unvermeidlichen Schreibereien und sonstigen Unannehmlichkeiten mögen oft genug den Wunsch entstehen lassen, daß es überhaupt keine Kassenpraxis geben möchte!“ und kommt an späterer Stelle dennoch zu einer positiven Einschätzung, denn ohne eine Krankenversicherung sah er die Gefahr nicht beglichener Privatrechnungen, aus Sparsamkeit vermiedene oder verspätete Arztbesuche oder gar das Aufsuchen von Kurpfuschern.

Ich habe auch eine kleine Statistik über deutsche Ärztinnen gefunden. Deren Zahl war von 82 im Jahre 1900 auf 2.562 im Jahre 1929 gestiegen. Im gleichen Jahr studierten 2.715 Frauen allgemeine Medizin. 1931 gab es in Deutschland 45.332 Ärztinnen und Ärzte. Ende des Jahres 2019 verzeichnete die Bundesärztekammer übrigens insgesamt 402.118 berufstätige Ärztinnen und Ärzte in ganz Deutschland.

Und dann fiel mir eine „Warnung vor dem Medizinstudium“ des Verfassers Oelemann ins Auge. Er warnte vor dem Hintergrund der Zulassungsbeschränkung durch die Notverordnung vor einer fast 100%igen Existenzunmöglichkeit. Wir Babyboomer erinnern uns an die 1980er-Jahre, als vor einer Ärzteschwemme gewarnt wurde. Heute freuen wir uns über jeden Kollegen aus dieser Studierendengeneration, der seinen Berufsaustritt verschiebt.

Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident

PS: Vielleicht verfügt die eine oder der andere ebenfalls über alte Ausgaben des Hessischen Ärzteblatts. Falls sich darunter die Jahrgänge 1925 bis 1930 finden, bitte ich Sie herzlich um Kontaktaufnahme per E-Mail an haebl@laekh.de.