Gesundheitsbezogene Selbsthilfe – warum ist dieses Feld für Ärztinnen und Ärzte bedeutsam? Es ist eine Frage der Haltung. Nämlich: Welche Haltung möchte ich gegenüber meinen Patienten einnehmen? Gerade wenn es sich um Patientinnen handelt, die mit einer schwerwiegenden – meist lebensbedrohlichen oder in irgendeiner Form lebenseinschneidenden – Erkrankung zu tun haben, tun wir Ärztinnen und Ärzte gut daran, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Die Selbsthilfe kann hierzu einen wertvollen Beitrag leisten. Sie begleitet und unterstützt die Betroffenen nicht nur emotional oder durch fachliche/organisatorische Belange. In vielen Fällen sorgt sie dafür, dass Ärztinnen und Patienten miteinander ins Gespräch kommen. Es ist ein Angebot an uns Ärzte, einen Perspektivwechsel zu vollziehen.

In meiner Tätigkeit als Oberarzt in einer onkologischen Rehaklinik bin ich 1987 zum ersten Mal in Kontakt mit der „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ gekommen. Sicherlich auch der Hartnäckigkeit der damaligen Leiterin geschuldet, habe ich die Jahre danach viele Patientenvorträge bei der Frauenselbsthilfe gehalten. Ich habe gelernt, mich laienverständlich auszudrücken und auch mit merkwürdig erscheinenden Wünschen konstruktiv umzugehen. Denn viele Betroffene entwickeln ganz eigene Vorstellungen zu ihrer Erkrankung. Dahinter verbirgt sich meist Hoffnung. Hoffnung ist Voraussetzung für Zuversicht, und Zuversicht benötigen wir zum Leben und zum Sterben. Wir brauchen Hoffnung, um leben zu können, und uns Ärztinnen und Ärzten steht es nicht zu, die Hoffnungen von Patientinnen zu bewerten oder – noch schlimmer – diese abzuwerten.

Die meisten Ärzte wurden schon mal mit der Frage „Gibt es denn noch Hoffnung für mich?“ konfrontiert. Dabei kann es trügerisch sein, wenn sie, dem Wunsch ihrer Patienten folgend, Hoffnungen verteilen. Vor einigen Jahren lernte ich in der Klinik eine Frau kennen. Ihr ging es, obwohl sie keine wesentlichen körperlichen Beschwerden hatte, sehr schlecht. Ihr Arzt hatte ihr noch eine Lebenszeit von drei Monaten gegeben. Diese drei Monate waren zu Weihnachten vorbei und das Fest stand vor der Tür. Die Patientin vertraute ihrem Arzt und bereitete sich darauf vor, in den nächsten Tagen zu sterben. Es kostete einige Mühe, sie davon zu überzeugen, dass es derzeit keinen medizinischen Grund gab, das Leben zu beenden, und so langsam war sie noch einmal bereit, ins Leben einzutauchen. Ein Jahr später kam sie wieder zu uns. Es ging ihr gut und sie war gut gestimmt und kämpferisch entschlossen. Diese Patientin hat aus der Kränkung Kraft und Zuversicht gewonnen, aber das blinde Zutrauen zu dem Rat der Ärzte verloren.

Um leben zu können, benötigen wir Hoffnung. Und es ist sicher nicht übertrieben, die Hoffnung als Lebenselixier zu betrachten. Das, worauf sich unsere Hoffnung richtet, mag sich von Zeit zu Zeit verändern, solange nur die Hoffnung bestehen bleibt. Auch beim Fortschreiten einer Tumorerkrankung gibt es noch genug zu hoffen. Allerdings gibt es häufig Verständigungsschwierigkeiten zwischen Ärzten und Patienten. Wenn der Arzt seine Hoffnung an der Chemotherapie festmacht und diese nach einer Weile nicht mehr hilft, kann es passieren, dass der Arzt seine Hoffnung verliert und den Patienten mit den Worten entlässt: „Ich kann nichts mehr für Sie tun.“ Wir können nur hoffen, dass der Patient versteht, dass dieses „Ich kann nichts mehr für Sie tun“ sich auf die Chemotherapie bezieht und nicht auf den Menschen. Es lohnt sich also genau hinzusehen, auf was wir hoffen, was die Ziele sind, die wir uns vornehmen, wenn die Erkrankung fortschreitet.

So individuell unterschiedlich eine Begleitung sein kann, ist es wichtig dabei die Hoffnung des Patienten nicht unnötig zu verletzen. Dabei gibt es keine Rezepte zur richtigen oder gelungenen Krankheitsbewältigung, keine allgemeingültigen Regeln, keine Pflicht, angebliche Krankheitsverleugnung aufzuarbeiten oder zu durchbrechen, und es gibt auch keine Vorschrift, wie man ruhig und versöhnt im Kreis seiner Lieben das Leben verlässt. Die Vorstellungen des Arztes, wie es richtig sein könnte, sind immer wieder aufs Neue zu überprüfen und an den Vorstellungen der Patienten auszurichten. Es ist nicht zu akzeptieren, dass die Patienten in dieser wichtigen Phase ihres Lebens den Vorurteilen und Glaubenssätzen ihrer Ärzte nachkommen sollen.

Nur durch Teamwork, das heißt, wenn alle Teilnehmenden sich um Verständigung und Abstimmung ihrer Handlungen bemühen, kann das bestmögliche Behandlungsergebnis erreicht werden. Selbsthilfe ermutigt und unterstützt die Patienten, mit dem Arzt über die eigenen Wünsche und Vorstellungen zu sprechen und in ihm einen Partner des Vertrauens zu sehen, der sie unterstützt. Patienten werden z. B. geschult, wie das Gespräch mit dem Arzt so gestaltet werden kann, dass es ihren Bedürfnissen entspricht. Ärztinnen und Ärzte wollen wir ermutigen, den informierten, mitarbeitenden Patienten als Chance zu begreifen.

Beginnend mit dieser Ausgabe möchten wir die Selbsthilfe in einer losen Serie in den Fokus rücken und für das Thema sensibilisieren. Jürgen Matzat leitet in das Thema ein und zeichnet die Entstehungsgeschichte der Selbsthilfe in Deutschland präzise nach – von der anfänglichen Skepsis zur Kooperation über die demokratische Legitimation bis hin zur Beteiligung an Leitlinien. Ein zweiter Beitrag beleuchtet den aktuellen Stand zur Selbsthilfeforschung am Beispiel der Krebs-Selbsthilfe von Lena Binkowski et al. ab S. 172.

Dr. med. Peter Zürner, Verantwortlicher Redakteur

gemeinsam mit Maren Grikscheit, Stv. Leitende Redakteurin, Hessisches Ärzteblatt