Immer noch wird – ohne belastbare Daten – die Befürchtung (und Behauptung) geäußert, dass Kinder die Treiber der SARS-CoV-2-Pandemie sind und Schulen besondere Verbreitungsherde darstellen. Dies wird jetzt auch mit den gestiegenen Zahlen im Zusammenhang mit dem Schulstart nach den Osterferien begründet. Es lohnt jedoch ein genauerer Blick auf die Daten und die Begleitumstände.

Abbildungen 1–3 zeigen die sog. 7-Tages-„Inzidenzen“ [1-3] für die Gesamtbevölkerung und die altersbezogenen Inzidenzen der Kinder im Alter von 5–9 und von 10–14 Jahren – für ganz Hessen (Abb. 1), für Frankfurt (Abb. 2) und für den Landkreis Bergstraße (Abb. 3) – letzterer als Beispiel für einen Kreis mit einer vergleichsweise niedrigen sog. 7-Tages-Inzidenz. Die Daten wurden mittels einer SURVStat-Abfrage aus den für jeden zugänglichen Daten des Robert Koch-Instituts erhalten (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/SurvStat/survstat_node.html).

Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass in der 16. Kalenderwoche (KW), d. h. mit dem Schulstart nach den Osterferien, die Inzidenzen in der Bevölkerung deutlich angestiegen sind, (mit-)verursacht durch eine extreme Zunahme der Meldungen von Kindern in der Altersgruppe 5–14 Jahre, die deutlich über den Maximalwerten sogar aus letztem November liegen. In Hessen gesamt zeigt sich eine extreme Zunahme der Inzidenz bei den 5–9- und den 10–14-Jährigen auf 233/100.000 und eine Zunahme der Gesamtinzidenz auf 187/100.000. In Frankfurt nimmt die Inzidenz von KW 15 (2. Woche der Osterferien) auf KW 16 (erste Schulwoche) bei den 5–9-Jährigen von 101 auf 363/100.000 zu, bei den 10–14-Jährigen von 141 auf 360/100.000. Im gleichen Zeitraum steigt die Gesamt-Inzidenz von 173 auf 217/100.000. Auch im Landkreis Bergstraße wurde eine erhebliche Zunahme der Inzidenzen von KW 15 auf KW 16 beobachtet: von 107 auf 329/ 100.000 bei Kindern im Alter von 5–9 Jahren, sowie von 91 auf 227/100.000 bei 10–14 Jahre alten Kindern; in der Gesamtbevölkerung des Landkreises nahm die Inzidenz von 146 auf 168/100.000 zu.

Gemäß § 28 b Infektionsschutzgesetz („Notbremsengesetz“) (https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/IfSG.pdf) musste in den Stadt- und Landkreisen mit einer 7-Tages-Inzidenz über 165/100.000 an drei vorangegangenen Tagen der Präsenzunterricht wieder eingestellt werden. Das traf für viele Kreise in Hessen zu. Mit Wiedereinführung des Distanzunterrichts in der KW 17 sanken auch wieder die Meldezahlen und Inzidenzen bei Kindern dieser Altersgruppe – und in der Gesamtbevölkerung.

Abb. 1–3. SARS-CoV-2: 7-Tages-Inzidenzen nach Kalenderwoche bis Kalenderwoche 17 / 2021 in Hessen (Abb. 1), in Frankfurt am Main (Abb. 2) und im Landkreis Bergstraße (Abb. 3). Grafiken: Gesundheitsamt Frankfurt am Main

Beweisen diese Daten nicht eindeutig, dass die Schule der „Hotspot“ ist? Mitnichten!

Ein Blick auf die näheren Umstände zeigt: Mit Schulstart nach den Osterferien trat für die Vorklassen und die Klassen 1–6 der sog. Wechselunterricht in Kraft; für Kinder ab Klasse 7 galt weiterhin wie bereits vor den Ferien Distanz-Unterricht. Für die Schüler im Wechselunterricht wurde die Schulpflicht mit einer Testpflicht (2x/Woche) verbunden. Das Land Hessen hatte hierfür den Schnelltest für Laien von der Fa. Roche zur Verfügung gestellt, der nach Herstellerangabe eine Sensitivität von 82 % und eine Spezifität von 100 % besitzt [4]. Die Tests mussten vor Beginn des ersten Unterrichtstags nach den Ferien und an einem weiteren Tag der Woche durchgeführt werden. Positive Schnelltests waren durch PCR-Tests nachzuuntersuchen. Nur Kinder mit aktuellem Testergebnis, das nicht älter als 72 Stunden sein durfte, konnten den Präsenzunterricht besuchen.

Was sagen die Daten also wirklich?

  • Erstmals liegt für die Kalenderwoche 16 eine (fast) 100 % Stichprobe der Kinder aus den Vorklassen und den Klassen 1–6 in Hessen vor – abzüglich der Kinder, die beispielsweise wegen Erkrankung die Schule nicht besuchten. Mit dieser Vollerhebung (100% Stichprobe) wurde zum ersten Mal die „Dunkelziffer“ bei dieser Gruppe Kinder ermittelt – mit der o. g. Grenze der Methode. Diese Zunahme an Tests und die erstmalige Erfassung der Dunkelziffer führt zwingend zu einer Zunahme an Meldungen und damit der Inzidenz.
  • Da für keine andere Altersgruppe eine solche Testpflicht existiert, kann aus diesen Daten (hohe Inzidenzen KW 16) nicht geschlossen werden, dass Kinder häufiger mit SARS-CoV-2 infiziert sind als Personen anderer Altersgruppen. Dies wäre nur möglich, wenn die identische Teststrategie auch in den anderen Altersgruppen angewandt worden wäre. Aber nicht nur der direkte Vergleich mit anderen Altersgruppen sondern auch der Vergleich innerhalb der Altersgruppe der Kinder mit anderen Wochen ohne eben diese Testpflicht ist nicht möglich – schon aus methodischen Gründen.
  • Da die Tests in der KW 16 vor Schulbeginn nach 14 Tagen Ferien durchgeführt werden mussten, müssen die SARS-CoV-2 Übertragungen zwingend in den Ferien erfolgt sein und kann die Zunahme der Fälle (Meldungen, Inzidenz) nicht auf den Schulbetrieb selbst zurückgeführt werden oder in der Schule erworben worden sein.
  • In den Stadt- und Landkreisen, in denen bei Überschreitung des 7-Tages-Inzidenzwerts von 165 / 100.000 der Präsenzunterricht wieder ausgesetzt wurde, entfiel auch die Testpflicht, was zwingend zu einer Abnahme der Meldungen in KW 17 führen musste. Diese Abnahme ist also auf die Teststrategie zurückzuführen, nicht auf die Schulschließungen selbst.

Fazit: Die extreme Zunahme der Fallzahlen bei den Schulkindern in der KW 16 nach den Osterferien ist durch eine Änderung der Teststrategie (mit-)bedingt, und die Infektionen sind in den Ferien – im privaten und Freizeitbereich – erworben worden, nicht in der Schule. Die Testpflicht hat nicht das Ziel erreicht, den Unterricht in Schulen sicherer zu machen, sondern sie hat in vielen Kreisen bewirkt, dass die Schulen erneut geschlossen wurden.

Diese Daten bestätigen somit die Erkenntnisse aus vielen Studien, wonach SARS-CoV-2 bei Schülern nicht zwingend im Schulbetrieb, sondern eher im privaten, familiären oder Freizeitbereich erworben wurden. Schulen sind weder „Hotspots“ noch besondere Risikobereiche [5–8]. Zwar können SARS-CoV-2-Einträge in Schulen nicht hundertprozentig verhindert werden, die umfangreichen Untersuchungen z. B. in Frankfurt zeigen aber, dass durch gute Hygienemaßnahmen und differenziertes Kontaktpersonenmanagement größere Ausbrüche verhindert werden konnten – selbst im November und Dezember 2020, als die Schulen im „Präsenzunterricht unter Corona-Bedingungen“ betrieben wurden [8]. Die AHA L-Regeln, die Teststrategie des RKI für Schulen und das Kontaktmanagement haben sich bewährt – auch ohne Schnelltest-Pflicht.

Da die Kinder – wie die o. g. Daten zeigen – Infektionen (mindestens) so häufig außerhalb der Schule erwerben, wie während der Schulzeit mit Präsenzunterricht, entfällt das Argument, die Schulen zu schließen, um Infektionen bei Kindern zu vermeiden, die dann von den Kindern auf vulnerable Gruppen übertragen werden könnten.

Vor dem Hintergrund der o. g. Daten, der Studienlage und der Argumente müssen die Schulen zwingend schnellstmöglich wieder für den Präsenzunterricht geöffnet werden. Ein weiteres Verbot des Präsenzunterrichts ist zwar angesichts des neuen § 28b IfSG rechtlich legal, es ist aber weder legitim, noch geeignet, erforderlich und angemessen, Infektionen bei Kindern oder deren Kontaktpersonen zu verhüten.

Seit vielen Monaten weisen Fachverbände aus Pädiatrie, Krankenhaushygiene und ÖGD auf die schweren Kollateralschäden [z. B. 9] der Aussetzung des Präsenzunterrichts für die Entwicklung und Gesundheit der Kinder hin und fordern – ebenso wie einige Elterverbände [z. B. 10] – dringend die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts [11–15]. Die Bundesregierung hat inzwischen auch die durch die Schulschließungen bedingten Kollateralschäden wahrgenommen, die alle Kinder betrifft, ganz besonders aber Kinder aus eher sozial schwachen oder bildungsferneren Bereichen. Sie plant, ein 2-Milliarden-Projekt zur besonderen Förderung der Kinder aus den sozial schwachen oder bildungsferneren Bereichen aufzulegen.

Anstatt ein 2-Milliarden-Projekt für einen Teil der Kinder in Deutschland zu fordern, das vielleicht irgendwann kommt, kann die Forderung nur lauten: Öffnung der Schulen für alle Kinder – sofort! Da die Schulen kein Risikobereich sind, sollte auch auf die erheblichen Aufwendungen für verpflichtende Schnelltests verzichtet werden, die Gelder könnten anderweilig in den Schulen viel besser eingesetzt werden.

Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, ehem. stellvertretende Leiterin Gesundheitsamt Frankfurt am Main

Prof. Dr. Dr. med. René Gottschalk, Leiter Gesundheitsamt Frankfurt am Main

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