Bei niedrigen und – trotz einer Unmenge an Antigen- und PCR-Tests auf SARS-CoV-2 – weiter rückläufigen „Inzidenzen“ steht uns ein hoffentlich schöner Sommer bevor. Wir müssen diese Zeit aber unbedingt nutzen, um erneut drohende erhebliche Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens im Herbst zu vermeiden. Dazu gehört eine datenbasierte, realistische Einschätzung und eine nüchterne Bewertung der Situation und der möglichen und geeigneten Maßnahmen zu deren Bewältigung. Angst und Lagerdenken sind hier keine guten Berater.

Kinder und SARS-CoV-2

Kaum ein Thema ist derzeit so intensiv diskutiert, wie die Frage Kinder und SARS-CoV-2 und ob und unter welchen Bedingungen im Herbst wieder ein Schul- und Kitabesuch möglich sein wird. Das „Narrativ“, dass asymptomatisch infizierte Kinder häufig die Viren unerkannt übertragen und so die Erreger verbreiten und dadurch ggf. auch schwere Erkrankungen bei vulnerablen Personen verursachen, hält sich hartnäckig. Aber es gibt keine Daten, die diese Befürchtungen jemals belastbar bestätigt haben.

Bei repräsentativen Bevölkerungsstudien (PCR-Test und Antikörpertests) waren Kinder stets seltener als Erwachsene von SARS-Cov-2 betroffen [1, 2]. Studien zu Übertragungswegen zeigten, dass Kinder – auch im Familienkreis – sehr viel häufiger von Erwachsenen infiziert werden als umgekehrt [3].

Kitas und Schulen ...

In Kitas und Schulen wurden bei Tausenden von Untersuchungen enger Kontaktpersonen stets nur wenige Fälle positiv getestet – wobei meist nicht erwiesen werden konnte, dass eine Übertragung in der Schule oder Kita stattgefunden hatte [4, 5, 6]. Im Gegenteil, Kinder stecken sich häufig im familiären oder Freizeitumfeld an; dies zeigten die Daten nach den Osterferien 2021 eindrücklich [7, 8].

Eine landesweite Erhebung aus allen Schulen und Kitas in Rheinland-Pfalz bis Ende Dezember 2020 (also damals ohne Antigen-Testpflicht) zeigte, dass es nur bei jedem sechsten Indexfall zu Übertragungen kam: Waren Lehrer die Indexperson, kam es dreimal häufiger zu Transmissionen verglichen mit Kindern als Indexpersonen. Lehrer verursachten viermal mehr Sekundärfälle als Kinder – und dies häufig bedingt durch Kontakte zwischen Lehrern, vgl. Tab. 1 nur in der Online-Version [9]. Auch in England waren in mehr als der Hälfte der Ausbrüche in Schulen Mitarbeiter und keine Schüler betroffen [10].

Tabelle 1: Kontaktpersonenuntersuchungen in Schulen und Kitas in Rheinland-Pfalz – 35.-53. Kalenderwoche 2020 (aus [9])

Die Auswertung der Ausbruchsdaten aus ganz Bayern zeigte, dass in Schulen fast keine Ausbrüche vorkommen – im Gegensatz zu anderen Arbeitsstätten, dem Krankenhaus und insbesondere den Senioreneinrichtungen. Vgl. Abb. 1; man beachte die unterschiedliche Spreizung der Ordinate in Abb. 1a; in Abb. 1b sind alle Einrichtungen im gleichen Maßstab vertreten. In Senioreneinrichtungen kam es zu den meisten und größten Ausbrüchen mit bis zu ca. 3.000 Fällen/Woche kurz vor Weihnachten 2020 – und immer noch ca. 100 Fällen/Woche bis zur KW 19/2021. Das heißt trotz Impfung in den Senioreneinrichtungen kommt es dort weiterhin zu mehr SARS-CoV-2-Ausbrüchen als in den Schulen [11].

Abb. 1a. SARS-CoV-2-Ausbrüche in Bayern: Anzahl der Infektionen bei Ausbrüchen an den Ausbruchsorten Schule, Arbeitsplatz, Krankenhaus und Senioreneinrichtungen über die Zeit (Kalenderwochen).

Abb. 1b. SARS-CoV-2-Ausbrüche in Bayern: Anzahl der Infektionen bei Ausbrüchen an den Ausbruchsorten Schule, Arbeitsplatz, Krankenhaus und Senioreneinrichtungen über die Zeit (Kalenderwochen) – dargestellt in einer Abbildung.

Grafiken: [11 Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren]

Daten des RKI bestätigen das für ganz Deutschland: In Kindergemeinschaftseinrichtungen ereignen sich eher selten und wenn dann kleine Ausbrüche im Vergleich beispielsweise mit Krankenhäusern oder Senioreneinrichtungen [12, 13]. Hinzu kommt, dass diese kleinen Ausbrüche von den öffentlichen Gesundheitsbehörden allesamt gut bekämpft werden können, da sie praktisch nie auf eine kritische Größe anwachsen. Darüber hinaus erkranken Mitarbeiter und Betreute in Schulen und Kitas selten schwer: 1,6 % der positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Mitarbeiter und 0,9% der Kinder bedürfen einer Krankenhausbehandlung, Todesfälle wurden nur vereinzelt beschrieben. Im Vergleich dazu wurden 15,6 % der Bewohner von Altenpflegeheimen hospitalisiert und 19,2 % verstarben [14].

Unser Fazit daraus: Kindergemeinschaftseinrichtungen sind keine Risikobereiche. Mit einer guten Hygiene (AHA L-Regeln) waren Einträge in Kindergemeinschaftseinrichtungen gut zu beherrschen – im Präsenzunterricht ohne Antigentestpflicht – selbst bei hohen Inzidenzen in der Gesamtbevölkerung.

Vor diesem Hintergrund der zunehmenden Impfrate der vulnerablen Gruppen und nicht zuletzt angesichts der erheblichen Effekte des Lockdowns auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder [15, 16] sollte aus unserer Sicht im Herbst 2021 ein normaler Betrieb der Kindergemeinschaftseinrichtungen stattfinden – mit guter Hygiene (Husten- und Niesetikette, Händehygiene) ohne Test- und Maskenpflicht.*

*Auch ohne die absurde, in den letzten Wochen breit diskutierte, inzwischen aber auch von der Politik abgelehnte Forderung der Impfung für Kinder als Voraussetzung für den Schul- und Kitabesuch im Herbst. Die Politik hat durch ihr Agieren ihre wissenschaftliche Fachkommission, die STIKO, schwer beschädigt. Erfreulich ist, dass die AWMF und viele wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften die STIKO und ihre klare wissenschaftliche Haltung unterstützen [19].

… und weitere gesellschaftliche Bereiche

Angesichts der zunehmenden Impfungen in der Bevölkerung kann dies – unter Beachtung des Schutzes vulnerabler Gruppen – auf alle Bereiche der Gesellschaft übertragen werden, u. a. auch auf kulturelle Einrichtungen, Sportveranstaltungen, Freizeiteinrichtungen.

Wir müssen den Sommer nutzen, uns wieder auf bewährte Vorgehensweisen zu besinnen und von dem Test-, Überwachungs- und Regelungswahn im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 wegkommen. Keine anlasslosen, d. h. nicht medizinisch indizierten Tests mehr bei asymptomatischen gesunden Menschen. Keine umfangreichen Isolierungs- und Quarantänisierungsmaßnahmen aufgrund fragwürdiger Tests, zu denen die Gesundheitsämter entgegen besserem (aber von der Politik konsequent ignoriertem) Wissen verpflichtet waren (in Einzelfällen können sie durchaus erforderlich bleiben). Keine umfassenden einschränkenden Maßnahmen aufgrund immer wieder neuer „Inzidenzen“ bzw. ohne Datengrundlage und ohne differenziertes Abwägen von deren Nutzen und Risiken (mildestes Mittel).

Wir können und müssen aus dieser und vorherigen Pandemien Lehren ziehen. Wesentlich ist, den Alarmismus endlich zu verlassen und Wissen statt Angst zu verbreiten. Nötig ist eine gute Risikokommunikation, die die Risiken durch SARS-CoV-2 in Beziehung setzt zu anderen – allgemein akzeptierten – Risiken. Nur eine nüchterne Betrachtung (nicht Verharmlosung!) der Risiken von SARS-CoV-2 ermöglicht die Ableitung angemessener Schutzmaßnahmen (z. B. Impfung, Masken, Hygiene).

Vor einem Jahr haben wir eine gesamtgesellschaftliche Diskussion angeregt über Ziele und Mittel der Pandemiebekämpfung [17, 18]. Da wir überzeugt sind, dass nur so im Herbst unnötige einschränkende Maßnahmen verhindert werden können, erneuern wir diese Anregung.

Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, ehem. stellv. Leiterin des Gesundheitsamtes Frankfurt am Main

Prof. Dr. Dr. med. René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamtes Frankfurt am Main

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Hinweis: Die Bad Nauheimer Gespräche laden für den 9.7.2021 um 19 Uhr ein zur Veranstaltung: „Corona-Pandemie – Aufarbeitung, Zwischenbilanz und Ausblick“. Weitere Infos dazu unter www.bad-nauheimer-gespraeche.de.