Prof. Brit Mollenhauer gehört zu den meistzitierten Wissenschaftlern weltweit

Prof. Dr. med. Brit Mollenhauer, Fachärztin für Neurologie, ist Oberärztin sowie leitende Studienkoordinatorin an der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel und hat eine Stiftungsprofessur von den Paracelsus Kliniken Deutschland an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) inne. Die Expertin für Morbus Parkinson ist außerdem Beraterin im Gremium der Michael-J.-Fox-Stiftung für Parkinson-Forschung in New York. 2013 wurde sie mit dem Robert-Wartenberg-Preis der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ausgezeichnet.

Frau Prof. Mollenhauer, zum zweiten Mal in Folge zählten Sie 2020 zu den meistzitierten Wissenschaftler/-innen weltweit.1 Welchen Einfluss hat dieses Ranking auf Ihre Arbeit?

Prof. Dr. med. Brit Mollenhauer: Klar ist es schon toll. Von der Uni Göttingen sind insgesamt fünf Wissenschaftler auf diese Liste gekommen – darunter bin ich mit Abstand die Jüngste und auch die einzige Frau. Aber im Endeffekt ist diese Auszeichnung wichtig, weil sie zeigt: Was ich schreibe, ist forschungsrelevant und wird gelesen.

2013 wurde Ihnen der Robert-Wartenberg-Preis der Deutschen Gesellschaft für Neurologie verliehen: für Ihre wissenschaftliche Arbeit zur Bedeutung von Biomarkern für die Frühdiagnose des M. Parkinson. Ist dies immer noch das Kerngebiet Ihrer Forschung?

Mollenhauer:Das ist immer noch mein Kerngebiet. Das Ganze geht mir persönlich etwas zu langsam, da der große Durchbruch noch nicht geschafft ist. Aber es konnten doch einige Puzzleteile zusammengefügt werden: So haben wir gelernt, dass Parkinson nicht gleich Parkinson ist, sondern dass viele verschiedene Formen des Parkinsons eine Rolle spielen. Und auch, dass der Verlauf der Krankheit extrem unterschiedlich ist und durch ganz andere Erkrankungen beeinflusst wird: etwa durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und metabolische Faktoren.

Und wir wissen jetzt, dass wir viel früher beginnen müssen mit Therapie und Diagnostik. Die Diagnose Parkinson wird zu spät gestellt. Um den Parkinson zu stoppen, müssen wir viel mehr Risikopersonen untersuchen und viel mehr in Richtung Prävention gehen.

Wie lassen sich diese Risikopersonen ausmachen?

Mollenhauer:Wenn wir Neurologen Parkinson diagnostizieren, besteht die Krankheit im Körper der Betroffenen schon seit 20–30 Jahren. Diese Jahre sind definiert durch sog. nicht-motorische Symptome – im Gegensatz zu den motorischen Symptomen, von denen wir sprechen, sobald der Parkinson ausgebrochen ist. Die davor auftauchenden nicht-motorischen Symptome sind zum Teil sehr unspezifisch, wie Obstipation, Riechstörung oder Depression. Aber wenn von diesen unspezifischen Symptomen zwei oder drei gleichzeitig auftreten, wird das Ganze schon spezifischer.

Auch gibt es ein ganz spezifisches nicht-motorisches Symptom: die isolierte REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Im REM (rapid eye movement)-Schlaf bewegen sich normalerweise die Augen ganz schnell und man träumt, liegt dabei aber unbeweglich im Bett. Im Frühstadium des Parkinsons kommt es jedoch zu einer Entkoppelung von den motorischen Kernen im Hirnstamm. Dies führt dazu, dass die Betroffenen sich im REM-Schlaf bewegen und die Träume ausleben – etwa indem sie in Albträumen kämpfen. Dieses Frühsymptom für Parkinson machen wir uns jetzt zunutze, indem wir Kohorten bilden mit Personen, die diese REM-Schlaf-Verhaltensstörung haben und dann in unserem Schlaflabor genauer untersucht werden müssen.

Problematisch ist natürlich, dass viele wegen einer solchen Schlafstörung nicht zum Arzt gehen. Generell schieben Menschen altersassoziierte Erkrankungen oft in die Nische und denken im mittleren Lebensalter nicht daran. Hier liegt jedoch genau der Fehler.

Sie sind 2007 von Harvard nach Kassel gewechselt, um an der renommierten Parkinson-Fachklinik Paracelsus-Elena-Klinik die Krankheit noch intensiver zu erforschen. Bietet Ihnen Kassel bessere Forschungsbedingungen?

Mollenhauer: Ganz ehrlich: Die zwei Jahre in Harvard waren großartig. Es gab viel Spaß, viel Arbeit – alle haben an einem Strang gezogen. Auch war es sehr stimulierend, sich täglich auf höchstem wissenschaftlichen Niveau auszutauschen. Aber für mich als Neurologin war der Wechsel von einer reinen Wissenschaftsumgebung konsequent: Ich wollte ja wieder mit Patienten arbeiten. Für die translationale, patientennahe Forschung, die ich betreibe, gibt es kaum eine bessere Klinik. Und zusätzlich muss ich die Chefärztin Claudia Trenkwalder2 erwähnen, die diese Forschungsumgebung befördert hat.

Sie behandeln Patienten, forschen und lehren an der Universität Göttingen und sind Beraterin im Gremium der Michael-J.-Fox-Stiftung für Parkinson-Forschung in New York. Haben Sie ein Geheimrezept, um all das, inklusive Familie, zu bewältigen?

Mollenhauer: Ich glaube, im Endeffekt hatte ich sehr gute weibliche Vorbilder: meine Doktormutter Sigrid Poser3 damals in Göttingen, und jetzt auch Claudia Trenkwalder. In den USA wiederum schaut man noch viel mehr auf das Fachliche; und ich habe mit meinem Forschungsgebiet und dem Zugang zu so vielen Patienten auch eine gewisse – auch internationale – Nische. Und was die Familie angeht: Wir haben zwei Jungs. Das wäre ohne meinen Mann überhaupt nicht gegangen, der viele Jahre zu Hause geblieben ist.

Auch wenn die Medizin in vielen Jahrgängen bereits „weiblich“ ist, sind die leitenden Funktionen an Kliniken und im Wissenschaftsbetrieb nach wie vor vor allem männlich besetzt. Benachteiligt das gegenwärtige Gesundheits- und Wissenschaftssystem Frauen?

Mollenhauer: Wir Frauen sind klar im Nachteil. Das betrifft nicht nur die leitenden Funktionen an Kliniken, sondern auch in den Ordinariaten. Solange die meisten in den Entscheidungsgremien Männer sind, haben wir Frauen keine Chance. Daher unterstütze ich eindeutig die Einführung einer Quote. Das Thema ist mir ein großes Anliegen. Im Rahmen der DGN (Deutschen Gesellschaft für Neurologie) sind wir gemeinsam mit Christine Klein4, der früheren Präsidentin der DGN, dabei, die „DGN Gender Task Force“ auf die Beine zu stellen. Diese soll Bestandsaufnahmen und Analysen vom Ist-Zustand festhalten und dann gute, praktikable Ideen entwickeln, um innerhalb der DGN/Neurologie in Deutschland Dinge grundlegend zu ändern.

Gerade sind wir im zweiten Corona-Jahr. Wie hat sich die Pandemie bisher auf Ihren Alltag und Ihre Forschung ausgewirkt?

Mollenhauer: Wir haben in der Klinik weniger Patienten zu betreuen. Zwar haben wir die Forschungsprojekte weiterlaufen lassen, aber im Moment machen wir keine Ambulanz in persona, sondern nur per Telefon oder Video. All das stellt für den Klinikalltag und dafür, dass ich für meine Forschung auf Patienten angewiesen bin, ein gewisses Hindernis dar.

Auch wenn der persönliche wissenschaftliche Austausch derzeit viel zu kurz kommt, ist das wissenschaftliche System durch viele Video-Konferenzen gleichzeitig durch die Pandemie eher beschleunigt worden.

Speziell die Paracelsus-Elena-Klinik ist historisch eng mit einer anderen Pandemie verbunden: Sie wurde 1937 gegründet, um viele Jahre nach der Spanischen Grippe die sog. Enzephalitis lethargica, eine späte Folge der Infektion, zu erforschen und den Betroffenen, deren Symptome denen des M. Parkinson ähnelten, zu helfen. Unsere Klinik basiert also auf einer Pandemie.

Mit dieser Geschichte im Hinterkopf fragen wir uns immer häufiger, ob die Zahl der Parkinson-Patienten in Zukunft nicht zunehmen wird? Hier komme ich noch auf einen anderen Aspekt, der sich im Rahmen von Corona in meiner Forschung geändert hat: Ich forsche nicht mehr „nur“ zu Biomarkern, sondern nutze diese inzwischen auch, um die Entstehungsmechanismen von Krankheiten wie Par­kinson zu verstehen. Und es ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen, dass Parkinson z. B. durch ein Virus ausgelöst wird. Für das Virus gäbe es mehrere Eintrittspforten, wie etwa den Darm. Eine weitere Eintrittspforte für ein Virus wäre die Nase bzw. der Riechkortex. Ein Teil der unspezifischen nicht-motorischen Symptome aus der Frühphase des Parkinsons könnte also auf eine Virusinfektion über den Darm (Obstipation), aber auch über die Nase (Hyposmie) zurückgehen. Ausschließen lässt sich dies aktuell nicht – eine spannende Hypothese.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Parkinson-Forschung?

Mollenhauer: Ich wünsche mir mitzuerleben, dass wir Parkinson heilen oder zumindest präventiv behandeln können. Aber erst einmal hoffe ich, dass es uns gelingen wird, die sog. altersassoziierten Erkrankungen aus der Nische zu führen. Das würde das Bewusstsein dafür stärken, mitten im Leben gegen einen schweren Verlauf im Alter selbst aktiv werden zu können. Bislang steht uns noch kein Medikament gegen Parkinson zur Verfügung, um den Prozess zu stoppen. Studien laufen, doch verfügen wir bereits jetzt über zielführende präventive Strategien. Einen Hauptbaustein davon bildet die Bewegung – zur Verhinderung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und des metabolischen Syndroms. Den zweiten Baustein bildet die Ernährung. Dazu machen wir gerade größere Studien zusammen mit Andreas Michalsen5 von der Berliner Charité. Dort versuchen wir zu ergründen, inwieweit wir mit gezieltem Fasten den Verlauf des M. Parkinson verbessern und die Entzündung aus dem Körper rausholen können, die ja meistens das Altern triggert. Mit den Studien versuchen wir nachzuweisen, dass sich mit den Phasen des Fastens Entzündungen reduzieren, der Alterungsprozess verlangsamen und auch altersassoziierte Erkrankungen positiv beeinflussen lassen. Allein mit Prävention lässt sich schon vieles erreichen!

Interview: Alla Soumm

1 Gemäß dem aktuellen Ranking „Highly Cited Researchers“ („Am häufigsten zitierte Wissenschaftler/-innen“) von 2020 (https://recognition.webofscience.com/awards/highly-cited/2020/). Erstellt wird das Ranking von dem US-amerikanischen Unternehmen Clarivate Analytics durch die Auswertung der unternehmenseigenen Datenbank „Web of Science“ („Wissenschaftsnetz“). Diese erfasst wissenschaftliche Publikationen aus 21 Disziplinen der Natur-, Lebens- und Sozialwissenschaften.

2 Univ.-Prof. Dr. med. Claudia Trenkwalder.

3 Prof. Dr. med. Sigrid Poser (1941–2004), Neurologin, Forschungsschwerpunkte: MS, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

4 Prof. Dr. med. Christine Klein.

5 Prof. Dr. med. Andreas Michalsen, Chefarzt am Immanuel-Krankenhaus und Inhaber der Stiftungsprofessur Naturheilkunde an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Abteilung für Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus, Berlin.