Von der Arzthelferin zur MFA bis zur Aufstiegsfortbildung: Gespräch mit Dr. med. Michael Weidenfeld und der Auszubildenden Anna Schmitt

Dr. med. Michael Weidenfeld, niedergelassener Facharzt für Urologie und Vorsitzender der Bezirksärztekammer Wiesbaden, bildet in seiner Praxis junge Menschen zu Medizinischen Fachangestellten aus. Für besonders wichtig hält er die Ausbildungsberater als Anlaufstelle, an die sich Auszubildende bei Fragen und Problemen wenden können.

Seit wann bilden Sie Medizinische Fachangestellte aus und was motiviert Sie dazu?

Dr. med. Michael Weidenfeld: Lassen Sie mich kurz überlegen: Es sind tatsächlich schon rund zwanzig Jahre, in denen ich ausbilde. Aktuell haben wir zwei Auszubildende in der Praxis; hinzu kommt eine weitere, die im Laufe des Jahres bei uns anfangen wird. Meine Motivation ist ganz klar: Es ist unbedingt wichtig, jungen Menschen Perspektiven zu geben und ihnen einen Ausbildungsplatz zu bieten.

Welche Voraussetzungen müssen junge Leute mitbringen, die sich für eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten interessieren?

Weidenfeld:Grundsätzlich sollten junge Frauen und Männer, die diesen Berufsweg einschlagen wollen, Interesse an Medizin mitbringen und Freude am Umgang mit Menschen haben. Sie sollten teamfähig sein und strukturiert arbeiten können. In den ersten Jahren hatte ich auch junge Leute mit Hauptschulabschluss als Auszubildende eingestellt, doch die Anforderungen an Medizinische Fachangestellte haben sich inzwischen so gewandelt, dass ich inzwischen zumindest einen Realschulabschluss voraussetze.

Gibt es auch Voraussetzungen, die auszubildende Ärztinnen und Ärzte erfüllen sollten?Weidenfeld: Jeder Kollege und jede Kollegin sollte wissen, dass Auszubildende keine billigen Arbeitskräfte sind. Man muss sich mit ihnen beschäftigen und Zeit investieren, um angemessen die Ausbildungsinhalte vermitteln zu können. Das ist natürlich in einer Einzelpraxis viel, viel schwieriger als in einer Praxisgemeinschaft oder in einem Facharztzentrum wie dem Medicum Wiesbaden. Bei uns arbeiten mehr als 60 Fachärzte aus 16 Fachgebieten. Die enge interne Vernetzung macht es möglich, dass Auszubildende, die bei uns in der urologischen Praxis tätig sind, über den Tellerrand schauen und Erfahrungen etwa in der Gynäkologie, Dermatologie oder in der Gastroenterologie und so weiter sammeln.

Ist die Ausbildung in erster Linie Aufgabe der Ärztin bzw. des Arztes – oder können auch erfahrene Medizinische Fachangestellte dies mit übernehmen?

Weidenfeld: Ich kann beides mit Ja beantworten. Natürlich ist es so, dass sich die Auszubildenden unter den Ärzten eine Kontaktperson aussuchen, mit der oder dem sie besonders gut zurechtkommen. Wenn ich das nicht bin, können sie sich an eine Kollegin oder einen Kollegen von mir wenden. Außerdem stehen erfahrene Medizinische Fachangestellte als Ansprechpartnerinnen für Fragen zur Verfügung und es gibt auch eine Beauftragte, die sich um die Auszubildenden kümmern soll.

Welche Aufgaben hat eine Medizinische Fachangestellte in der Praxis? Was hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren geändert?

Weidenfeld: Wenn ich zurückblicke, erinnere ich mich daran, dass die Auszubildende oder auch die fertige Arzthelferin vorne am Tresen gesessen, die Patienten in Empfang genommen und in das Arztzimmer begleitet hat. Sie war Ansprechpartnerin, wenn es um Termine ging oder wenn Karteikarten geordnet und herausgesucht werden mussten. Das war mehr eine administrative und helfende Tätigkeit – das steckt ja auch in dem Begriff Arzthelferin.

Heute ist das völlig anders. Der oder die Medizinische Fachangestellte ist hoch qualifiziert ausgebildet und muss nicht nur administrative Aufgaben erfüllen, sondern auch medizinische. So werden in unserer Praxis viele Tätigkeiten, die früher ausschließlich Ärzten vorbehalten waren, heute von Medizinischen Fachangestellten ausgeübt. Dazu gehören in der urologischen Praxis beispielsweise Katheterwechsel, suprapubischer Blasenkatheterwechsel, Injektionen und Infusionen. Alles das macht heute eine Medizinische Fachangestellte.

Auch in großen Hausarztpraxen fallen viele eigenständige Arbeiten für Medizinische Fachangestellte an, die auch in den Prüfungen beherrscht werden müssen: EKG anlegen, Blutdruck und Blutzucker messen, nach der Temperatur des Patienten schauen und Blut abnehmen: Medizinische Fachangestellte bereiten den Patienten komplett vor, so dass der Arzt nur noch die fachärztlichen Untersuchungen vornehmen und Befunde zusammenführen muss. Die administrativen Aufgaben der Helferin von früher erledigen heute die Computer.

Zusammenfassend gesagt, halte ich den Beruf des oder der Medizinischen Fachangestellten für einen sehr spezialisierten, sehr wichtigen Berufszweig. Wir haben in den vergangenen Jahren einige ganz tolle junge Leute ausgebildet, die heute in ganz unterschiedlichen Bereichen in anspruchsvoller Position tätig sind: sei es im OP, sei es in der Palliativmedizin, sei es in der Praxisorganisation. Insofern war der Schritt vom Hauptschüler zu – mindestens – dem Realschüler zwingend notwendig.

Obwohl wir schon seit einem Jahr in der Pandemie leben und Praxisinhaber besonders gefordert sind, sind die Ausbildungszahlen der Medizinischen Fachangestellten nicht dramatisch zurückgegangen. Worauf führen Sie das zurück?Weidenfeld: Wir Ärztinnen und Ärzte werden immer älter und wir werden immer weniger. Das bedeutet, dass wir in Zukunft immer größere Schwierigkeiten haben werden, Arztstellen zu besetzen. Also brauchen wir sehr gut ausgebildete, qualifizierte Medizinische Fachangestellte, die Aufgaben wie etwa Hausbesuche übernehmen können. Die fahren dann mit dem iPad durch die Gegend, gucken sich die Patienten an und halten Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt. Der Beruf wird sich also noch weiter qualifizieren.

Ist das Risiko groß, dass Medizinische Fachangestellte gerade wegen der besseren finanziellen Möglichkeiten in die Kliniken abwandern?

Weidenfeld: Ein ganz klares Ja. Gerade große Krankenhausketten können ganz andere Gehälter zahlen als niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Gerade deshalb müssen wir, die die jungen Leute ja ausbilden, diese mit attraktiven Arbeitsbedingungen und -inhalten von den Vorteilen einer Tätigkeit in der Praxis überzeugen.

Im Dezember 2020 ist eine Tariferhöhung für Medizinische Fachangestellte erfolgt. Sehen Sie darin eine Aufwertung des Berufs?

Weidenfeld: Wenn Sie mich als Praxisinhaber fragen, bin ich natürlich zunächst tief erschüttert, dass ich die Tarife wieder erhöhen muss. Immerhin 12 % in drei Jahren. Aber andererseits ist es natürlich eine notwendige Aufwertung dieses Berufes. Wir haben die Tariferhöhung daher sehr gerne umgesetzt.

Frau Schmitt, warum haben Sie sich zu der Ausbildung als Medizinische Fachangestellte entschieden? Und worin liegt für Sie der Vorteil, in einer niedergelassenen Praxis zu arbeiten?

Anna Schmitt: Ich habe mich dafür entschieden, weil ich mich für den medizinischen Bereich interessiere und gerne mit Menschen zu tun habe. Ich bin jetzt im dritten Ausbildungsjahr und in dieser Zeit drei Tage in der Praxis und zwei Tage in der Berufsschule.

Ein großer Vorteil in der niedergelassenen Praxis ist, dass man viel persönlichen Kontakt zu den Patienten hat. Man sieht dieselben Patienten öfter als beispielsweise im Krankenhaus, kennt deren Namen und entwickelt häufig auch eine Bindung zu ihnen. Auch die Kollegen kennt man untereinander besser als auf einer Krankenhausstation und arbeitet dann anders miteinander, als wenn man immer mit neuen Leuten zusammenkommt. Ein weiterer Vorteil sind natürlich auch die vielfältigen Aufgaben in einer Praxis, in die man Einblick bekommt.

Wie organisieren Sie die MFA-Ausbildung in Ihrer Praxis, Herr Dr. Weidenfeld?

Weidenfeld: In der heutigen Zeit ist Ausbildung ein Projekt, das aufgeteilt wird. Eine Praxis wie unsere ist ein Unternehmen, in dem wir, fünf Kolleginnen und Kollegen, zusätzlich zu den medizinischen Leistungen ganz unterschiedliche Aufgaben innerhalb der Praxis erfüllen. Ich kann mir heute kaum mehr vorstellen, wie alle Anforderungen, die heute auf niedergelassene Praxen zukommen – angefangen von Praxisorganisation bis hin zu Personal- und Budgetverantwortung und verantwortungsbewusster Ausbildung – in einer Einzelpraxis geschultert werden können.

Was die Ausbildung im niedergelassenen Bereich angeht, bin ich absoluter Fan einer Verbundausbildung, in der die Auszubildenden in die unterschiedlichen Bereiche geschickt werden. In Hessen haben wir mit der Carl-Oelemann-Schule ein gutes Angebot der Fort- und Überbetrieblichen Ausbildung, aber ich kann mir dennoch vorstellen, dass wir noch Einiges bei der Ausbildung verbessern könnten. Dafür brauchen wir natürlich auch die Kritik der Auszubildenden, die uns sagen, was wir verbessern müssen.

Damit geht die nächste Frage wieder an Sie, Frau Schmitt. Wo gibt es aus Ihrer Sicht Probleme bei der Ausbildung, was müsste verbessert werden?

Anna Schmitt: Inhaltlich finde ich es gut, dass man die Abwechslung zwischen Schule und praktischer Tätigkeit hat. Die Tage reichen von der Aufteilung her völlig aus; ich habe auch die Möglichkeit, in der Praxis etwas für die Schule vorzubereiten und Berichtshefte zu schreiben, falls erforderlich. Einmal im Jahr findet dann die Überbetriebliche Ausbildung an fünf Tagen in der Carl-Oelemann-Schule statt.

In der Schule habe ich mitbekommen, dass einige Mitschülerinnen nur vier Tage während der ganzen Ausbildung hospitieren können. Auch weiß ich von einer Auszubildenden bei einem Augenarzt, die bisher nur einmal Blut abgenommen hat; andere haben noch nie ein EKG gemacht oder höchstens ein Mal: alles Dinge, die man aber bei der Prüfung beherrschen muss.

Da haben wir im Facharztzentrum ganz andere Möglichkeiten; wir können immer hospitieren, wenn wir möchten: Ich war schon in der Gynäkologischen Praxis und konnte mir dort viele Dinge anschauen. Im Mai habe ich Prüfung und werde vor meiner praktischen Prüfung noch in anderen Fachrichtungen hospitieren, um weitere Kenntnisse zu erwerben. In der Carl-Oelemann-Schule würde ich mir wünschen, mit neuen Lernmaterialien zu arbeiten, denn wir arbeiten in der Praxis ja auch mit neuen Dingen – modernen Sonogeräten zum Beispiel.

Weidenfeld: Auch sollte im Zeitalter von Computern und Druckern in der Prüfung nicht viel Zeit für das Ausfüllen von Karteikarten draufgehen. Und was die Ausbildung in der Praxis angeht: Ein Friseur, der ausbildet, muss, soviel ich weiß, Meister sein und wird ja wohl seine Lehrfähigkeit nachgewiesen haben. Wir Ärztinnen und Ärzte müssen das aber nicht. Überwachung oder Förderung des Ausbilders und der Qualität der Ausbildung machen daher Sinn. Dazu könnte dann auch eine Ausbildungsvergütung des ausbildenden Arztes gehören. Wichtig ist auf jeden Fall, dass man sich als Ärztin oder Arzt fragt: Habe ich die Zeit und die Möglichkeit, junge Leute qualifiziert auszubilden? Da sollte auch die Kammer noch genauer hinschauen.

Abschließend noch eine Frage an Frau Schmitt: Wie sehen Ihre beruflichen Perspektiven nach der Prüfung aus?

Anna Schmitt: Ich möchte im medizinischen Bereich bleiben und würde auch gerne mal in einer Klinik arbeiten, um dort Erfahrungen zu sammeln. Aber danach kann ich mir vorstellen, zurück in die Praxis zu gehen.

Gut finde ich außerdem, dass ich mich weiterbilden kann, zum Beispiel zur Nicht-ärztlichen Praxisassistentin (NäPa), oder dass ich die Möglichkeit habe, nach der Ausbildung zu studieren und den Fachwirt zu machen. Die MFA-Ausbildung bietet wirklich viele interessante Möglichkeiten.

Interview: Katja Möhrle

Die von der Landesärztekammer Hessen bereitgestellten Ausbildungsberaterinnen und -berater finden sich im Internet unter: www.laekh.de/fuer-mfa/berufsausbildung/ausbildungsberatung-quabb