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Bücher

Gaunergeschichte in New York

Ein Lächeln, das so falsch ist wie die Zwanziger in den Gesäßtaschen. Steuerberater, die mit Schlupflöchern prahlen, oder ein imposanter Tank, der auf zierlichen Füßen „zehenspitzt“: Mit einer zwischen Lässigkeit und augenzwinkerndem Humor changierenden Sprache versetzt Colson Whiteheads neuer Roman „Harlem Shuffle“ – Familienerzählung und Ganovenstück in einem – in das schillernde schwarze Harlem der 1960er-Jahre. Ebenso schwungvoll wie schonungslos schildert der zweifache Pulitzer-Preisträger, wie sein in einfachsten Verhältnissen großgewordener Romanheld Ray Carney versucht, ehrlich aufzusteigen und doch immer wieder auf die schiefe Bahn gerät. Ein spannend geschriebenes literarisches und gesellschaftliches Portrait New Yorks.

Colson Whitehead: Harlem Shuffle, Übersetzt von Nikolaus Stingl, Hanser Verlag 2021, 381 Seiten, 25 €

Am Scheideweg zur Freiheit

Noch ein Werk eines US-amerikanischen Autors. Als „spirituelles Gegenstück“ zu seinem 2001 erschienen Roman „Die Korrekturen“, der den National Book Award gewann, bezeichnet die Neue Zürcher Zeitung Jonathan Franzens Familienroman „Crossroads“: Auftakt einer Trilogie über drei Generationen aus dem Mittleren Westen und virtuos in der Tradition der Great American Novel geschrieben. In der US-Gesellschaft der 1970er-Jahre kreisen die Hauptfiguren – fünf Mitglieder der Familie Hildebrandt – um Fragen von Identität, Moral, Lügen und Rivalität. Alle stehen am persönlichen Scheideweg und suchen eine Freiheit, die von den anderen durchkreuzt zu werden droht.

Jonathan Franzen: Crossroads, Übersetzt von Bettina Abarbanell, Rowohlt Verlag 2021, 832 Seiten, 28 €

Liebespaare als Zeitzeugen

Als Lektüre an den Feiertagen empfiehlt sich auch Florian Illies’ Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“, in dem er die späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts durch die Augen großer Liebespaare betrachtet und neu erzählt. Atemlos wie Filmsequenzen kommen die Geschichten daher. Man schaut Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir beim Käsekuchen-Essen in Berlin zu, ist dabei, wenn Walter Benjamin auf Ibiza nach Liebe sucht und Haschisch findet, oder wird Zeuge, wie F. Scott und Zelda Fitzgerald an der Côte d’Azur ihre Ehe aufs Spiel setzen. Spielarten der Liebe, die Leidenschaft, Freiheitsdurst, aber auch Ungewissheit spiegeln. Parallel spitzt sich die politische Lage zu und die Kultur erlebt nach ihrem Höhenflug den Absturz.

Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses, S. Fischer 2021, 432 Seiten, 24 €

Ausstellung

Paula Modersohn-Becker

Zeitgenossen fiel der Zugang zu ihrem Werk schwer. Reduziert und radikal anders als die Arbeiten der Künstler ihrer Epoche muten die Gemälde und Zeichnungen Paula Modersohn-Beckers (1876–1907) an. Während der Malerin zeitlebens äußere Anerkennung und Erfolg verwehrt blieben, wurden bereits wenige Jahre nach ihrem frühen Tod Wanderausstellungen durch mehrere deutsche Museen organisiert. Längst gilt sie als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der klassischen Moderne.

Mit rund 120 Gemälden und Zeichnungen aus allen Schaffensphasen widmet sich die Frankfurter Kunsthalle Schirn dem Gesamtwerk Modersohn-Beckers in einer umfassenden Retrospektive. Ihre eigenständige künstlerische Entwicklung, der außergewöhnliche Malduktus und die früh einsetzende, anhaltende Rezeption stehen im Zentrum der Präsentation.

Einen besonderen Schwerpunkt im Repertoire der Künstlerin stellen Portraits und Selbstportraits mit flächigen, oft derben Gesichtern dar. Weitere zentrale Werkkomplexe sind Kinderbildnisse, Darstellungen von Mutter mit Kind, Bäuerinnen und Bauern, Akte, Landschaften in Worpswede und Paris sowie Stillleben. Die Retrospektive zeigt, wie sich Modersohn-Becker über gesellschaftliche und künstlerische Konventionen ihrer Zeit hinwegsetzte und in ihrem Werk zentrale Tendenzen der Moderne vorwegnahm.

Schirn Kunsthalle Frankfurt, Ausstellung bis 6. Februar 2022, www.schirn.de

Paula Modersohn-Becker, Mädchenakt mit Blumenvasen, 1906/1907, Öltempera auf Leinwand, 47,5 x 52 cm, Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Foto: Von der Heydt-Museum Wuppertal

Katja Möhrle