Eigenständige Diagnose und Symptom einer anderen Erkrankung

VNR: 2760602020238880006

Dipl. Psych. Markus B. Specht, Prof. Dr. med. Richard Schulz, MHBA

Einleitung

Die Leitsymptome beim nicht erholsamen Schlaf bzw. Schlafstörungen sind zum einen die Insomnie in Gestalt von Ein- und/oder Durchschlafstörungen und zum anderen die Hypersomnie in Form von Tagesschläfrigkeit [9]. Hierbei gilt es zu beachten, dass Insomnie und Hypersomnie nicht nur als Symptom einer Schlafstörung oder einer organischen oder psychischen Erkrankung auftreten können, sondern sich auch als selbstständige Diagnose mit hohem Krankheitswert herauszukristallisieren vermögen. Die Bedeutung beider Symptome bzw. Entitäten für die Schlafmedizin ist von anderer Seite sehr prägnant mit folgenden Worten zusammengefasst worden: „Insomnie und Hypersomnie sind die gemeinsamen Endstrecken beim nicht-erholsamen Schlaf. Deren Kenntnis und Unterscheidung sind wiederum die Voraussetzung für eine rationale Therapie“ [14].

Hypersomnie

Die auch als „Schlafsucht“ bezeichnete Hypersomnie tritt als Tagesschläfrigkeit in Erscheinung. Gemeint ist damit einerseits ein teilweise ausgeprägter Einschlafdrang, andererseits auch eine Reduktion zentralnervöser Aktivierung, die sich in einer Verminderung von Wachheit oder Daueraufmerksamkeit äußert. Es kommt zu unerwünschtem Einschlafen in reizarmen Situationen z. B. bei monotonen Tätigkeiten wie beim Lesen, Fernsehen oder Autofahren. Ebenfalls tritt eine Verlängerung der Schlafdauer auf sowie erschwerte Erweckbarkeit.

Die Hypersomnie ist vor allem ein unspezifisches Symptom und stärker ausgeprägt als bei gesunden Menschen, die zu schlecht oder zu wenig geschlafen haben. Andererseits sind die (objektiv gemessene) Schlafqualität als gut und die Schlafdauer als ausreichend zu bewerten, können somit als Ursache für die berichtete übermäßige Schläfrigkeit ausgeschlossen werden.

Häufigkeit und Verlauf

Mindestens 5 % der Bevölkerung leidet an exzessiver Tagesschläfrigkeit (excessive daytime sleepiness, EDS, [13]). Die Häufigkeit einer als eigenständige Diagnose zu wertenden Hypersomnie in der deutschen Bevölkerung ist geringer und liegt bei < 1 %. Erste Symptome einer krankhaft gesteigerten Tagesschläfrigkeit beginnen meist zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr und bestehen in der Regel das restliche Leben.

Tagesschläfrigkeit vs. Tagesmüdigkeit

Abzugrenzen von der Tagesschläfrigkeit ist die Müdigkeit. Diese zeigt sich in Mattigkeit und Erschöpfung und ist auch abhängig vom Ausmaß der aktuellen Anforderung. Zudem tritt bei Müdigkeit in anspruchsarmen Situationen, in denen Schlaf sogar erwünscht sein kann, dieser aber nicht ein; ganz im Gegensatz zur Tagesschläfrigkeit. Ein weiterer Unterschied betrifft die Tagesrhythmik. Im Vergleich zur Schläfrigkeit besitzt die Müdigkeit keine ausgeprägte Tagesrhythmik. Müdigkeit wird als weitreichendes subjektives Empfinden verstanden, das mit „Schlappheit, Mangel an Energie, Erschöpfung, früher Ermüdbarkeit, Einschlafneigung tagsüber“ [9] usw. verbunden ist.

Der Begriff „Fatigue“, als anhaltende subjektive Beschwerde des wahrgenommenen kognitiven und/oder physischen Erschöpftseins, wird zunehmend als Synonym für Müdigkeit verwendet. Die Müdigkeit betrifft u.a. Patienten mit einem Chronic-Fatigue-Syndrom, aber auch Patienten mit Tumorerkrankungen, Infektionskrankheiten, rheumatischen Erkrankungen oder depressiven Störungen [9].

Diagnosesysteme und Diagnosen

Im DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) und der ICSD-3 (International Classification of Sleep Disorders) [1] werden die Störungsgruppen, die die Hypersomnie betreffen, als hypersomnolente Störung bezeichnet. Hierbei wird das Symptom der ausgeprägten Tagesschläfrigkeit durch den Begriff „Hypersomnolenz“ beschrieben, während die einzelnen Störungen als Hypersomnien bezeichnet werden [19].

Im Einzelnen werden in der ICSD-3 die folgenden Störungen unterschieden [1], in Klammern sind die ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) Diagnosen genannt:

  • Narkolepsie Typ I (mit Kataplexie) (G47.4)
  • Narkolepsie Typ II (ohne Kataplexie) (G47.4)
  • Idiopathische Hypersomnie (G47.1)
  • Kleine-Levin-Syndrom (G47.8)
  • Schlafmangelsyndrom (F51.8)
  • Hypersomnie durch körperliche Erkrankung, resp. Medikation/Substanzgebrauch, resp. assoziiert mit psychischer Störung (G47.1 oder F51.1 und Grunderkrankung)

Zudem wird in der ICD-10 noch die Diagnose einer nichtorganischen Hypersomnie (F51.1) aufgeführt. Die Narkolepsie Typ 1 und Typ 2, die idiopathische Hypersomnie und das Kleine-Levin-Syndrom werden im Beitrag von G. Mayer behandelt, S. 543ff. Beim Schlafmangelsyndrom liegt ein gesteigertes Schlafbedürfnis oder die erhöhte Bereitschaft einzuschlafen vor. Die Schlafzeit ist kürzer als im entsprechenden Alter üblich und sollte gut dokumentiert werden, zum Beispiel durch Schlafprotokoll, Anamnese oder Aktigraphie. Die Schlafzeit-Begrenzung durch morgendliches Wecken besteht über mindestens drei Monate. Findet keine morgendliche Weckung (zum Beispiel im Urlaub) statt, verlängert sich die Schlafzeit und führt nach einiger Zeit zur Symptomfreiheit [9].

Sowohl die Hypersomnie durch eine körperliche Erkrankung als auch die Hypersomnie durch Medikamente oder Substanzen sowie die Hypersomnie durch eine psychische Störung müssen mindestens seit drei Monaten bestehen und gehen mit Tagesschläfrigkeit einher [1]. Die Hypersomnie durch körperliche Erkrankung setzt eine der Tagesschläfrigkeit zugrundeliegende organische Erkrankung voraus (Tab. 1).

Tab. 1: Organische Erkrankungen, die zu einer Hypersomnie führen können

Erkrankungen

Beispiele

Tumorerkrankungen

• Hämatoonkologische Erkrankungen (z. B. Leukämien, Lymphome)

• Solide Tumore

Infektionskrankheiten

• HIV/AIDS

• Borreliose

• Afrikanische Trypanosomiasis (sog. Schlafkrankheit)

Endokrinologische Erkrankungen

• Hypothyreose

• Nebenniereninsuffizienz

• Hypophyseninsuffizienz

Andere internistische Erkrankungen

• Herzinsuffizienz

• Niereninsuffizienz

• Leberzirrhose

• rheumatische Erkrankungen

• Anämien

Neurologische Erkrankungen

• Z. n. Apoplex

• M. Parkinson

• multiple Sklerose

Eine Hypersomnie durch Medikamente oder Substanzen kann entweder durch das Medikament oder die Substanz induziert werden, oder aber auch als Effekt beim Absetzen eines Stimulanz. In Tab. 2 sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit in Frage kommende Medikamente zusammengestellt. Genussmittel und Drogen (Alkohol, Koffein, Amphetamine, Cannabis, Kokain, Heroin usw.) sind hier ebenfalls zu berücksichtigen.

Bei der Hypersomnie bei einer psychischen Störung muss das Symptom der Tagesschläfrigkeit, nicht Tagesmüdigkeit (siehe unten), parallel zur psychischen Erkrankung bestehen (Tab. 3).

Differenzialdiagnose

Bei der Hypersomnie kommt der Differenzialdiagnostik eine besondere Bedeutung zu, vor allem weil die Tagesschläfrigkeit neben der eigenständigen Erkrankung ein unspezifisches Symptom ist und bei einer Vielzahl von seelischen und körperlichen Störungen auftreten kann.

Als Ursachen für die Hypersomnie sollten zunächst andere Schlafstörungen, wie zum Beispiel eine Schlafapnoe (siehe Beitrag Schulz et al., S. 532ff) oder ein Restless-Legs-Syndrom in Erwägung gezogen werden. Zudem sollten internistische Erkrankungen wie Herz-, Nieren- oder Leberinsuffizienz, Hypothyreose, Infektionskrankheiten oder Tumore ausgeschlossen werden. Ebenso sollten neurologische Erkrankungen wie Insult, Parkinson, Demenz oder neuromuskuläre Erkrankungen (zum Beispiel Muskeldystrophien), aber auch Epilepsie und multiple Sklerose berücksichtigt werden [5]. Aber auch an eine genetische Störung wie beispielsweise das Prader-Willi-Syndrom oder das Niemann-Pick-Syndrom kann gedacht werden [9].

Zudem sollten Erkrankungen wie eine Depression oder Angststörung in Erwägung gezogen werden. Zu beachten ist hierbei, dass Tagesmüdigkeit häufig ein Hauptsymptom bei psychiatrischen Erkrankungen darstellen kann [5].

In Abgrenzung zur Tagesschläfrigkeit kann dazu die Müdigkeit zum Beispiel mit der Fatigue Severity Scale (FSS) erfasst werden [21]. Auch ist eine ausführliche Medikamentenanamnese notwendig. Abschließend empfiehlt sich in der Regel eine laborchemische Basisuntersuchung (zum Beispiel Blutbild, Schilddrüsenfunktion). Abhängig von der dann gestellten Verdachtsdiagnose ist die Abklärung in einem interdisziplinär arbeitenden Schlaflabor, das die Schlafstörungen zum Beispiel sowohl aus neurologischer, pneumologischer, psychologisch/psychiatrischer als auch HNO-Perspektive betrachtet, indiziert [5].

Messung

Erhöhte Tagesschläfrigkeit führt zu einer Verschlechterung der Vigilanz (vigilantia, „Wachsamkeit“) und Daueraufmerksamkeit (dauerhafte und gebündelte Aufmerksamkeit für einen längeren Zeitraum) am Tag und kann zu Monotonieintoleranz wie zum Beispiel Sekundenschlaf beim Autofahren führen. Sowohl für die Vigilanz als auch für Daueraufmerksamkeit liegen viele Messmethoden vor.

Als einfache und schnelle Methode hat sich die Epworth Sleepiness Scale (ESS) [7] etabliert. Hierbei bewerten die Betroffenen 8 Situationen bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass sie in dieser einnicken. Für jede Frage werden 0–3 Punkte vergeben, ein Gesamtscore von ≥ 11 Punkten spricht dann für das Vorhandensein von Tagesschläfrigkeit.

Zur Anwendung kommen aber auch nichtapparative Leistungstests, die die Aufmerksamkeit erfassen sollen, wie zum Beispiel der d2-Test oder der Konzentrationsleistungstest (KLT-R) [9].

Eine besondere Bedeutung haben aber die apparativen Verfahren. Hier sind vor allem der Multiple Schlaflatenztest (MSLT) und der Multiple Wachbleibetest (MWT) zu nennen [9], die auch bei der Diagnose einer Narkolepsie eine entscheidende Rolle spielen. Grundlage dieser beiden Tests sind mehrere somnographische Ableitungen von EEG, EMG und EOG am Tage.

Fahrtauglichkeit

Bei ausgeprägter Tagesschläfrigkeit ist die Fahrtüchtigkeit nachvollziehbar nicht gegeben bzw. eingeschränkt. Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung von 2019 [2] geben an unterschiedlichen Stellen (zum Beispiel zum Thema Schlafapnoe) Hinweise hierzu. Vergleichend hierzu ist die Tagesschläfrigkeit auch bei anderen Erkrankungen zu bewerten [8]. Da sich aber, unabhängig von der zugrunde liegenden Diagnose, die Ausprägung der Tagesschläfrigkeit zwischen den Patienten unterscheidet [5], ist eine individuelle Beurteilung der Fahrtauglichkeit notwendig. Hierzu reicht eines der oben genannten Messverfahren alleine nicht aus. Die in manchen Fällen notwendige (gutachterliche) Beurteilung der Fahrtauglichkeit erfolgt in Deutschland durch entsprechend verkehrsmedizinisch qualifizierte Ärztinnen und Ärzte.

Therapie

Basierend auf einem guten differenzialdiagnostischen Prozess kann das jeweilige therapeutische Vorgehen bei Hypersomnie unterschiedlich sein. Dies kann von einer nächtlichen Überdruck-Therapie (CPAP), über Medikamente bis hin zu konkreten Veränderungen im Lebensalltag oder einer Psychotherapie führen. Bei Narkolepsie und idiopathischer Hypersomnie werden vor allem Medikamente eingesetzt. Bei Hypersomnie durch eine körperliche Erkrankung sowie bei der Hypersomnie durch Medikamente oder Substanzen ist vorrangig die Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung und bei Bedarf auch eine Reevaluation der Dauermedikation zu empfehlen [5].

Bei Hypersomnie durch eine psychische Störung sind eine engmaschige psychiatrische Anbindung sowie die Gabe von „weckenden“ Antidepressiva, vor allem aber Psychotherapie bzw. Verhaltenstherapie zielführend [5]. Beim Schlafmangelsyndrom sind Veränderungen der Lebens- und damit auch der Schlafgewohnheiten therapeutisch wirksam. Generell sind Maßnahmen zur Einhaltung der Schlafhygiene, wie zum Beispiel regelmäßige Schlafenszeiten, unterstützend wirksam.

Wann ins Schlaflabor bei Hypersomnie?

Beim Verdacht auf eine Narkolepsie ist eine Untersuchung (PSG und MSLT) im Schlaflabor indiziert. Gleiches gilt beim Verdacht auf eine idiopathische Hypersomnie. Darüber hinaus ist eine Vorstellung im Schlaflabor dann angeraten, wenn die bisherigen Maßnahmen zur Behandlung einer Hypersomnie sich als nicht ausreichend effektiv erwiesen haben oder der Verdacht auf eine andere Schlafstörung gestellt wird.

Insomnie

Wie bereits erwähnt, können insomnische Beschwerden sowohl als Symptom einer Erkrankung als auch als eigenständige Diagnose mit relevantem Krankheitswert auftreten. Die Übergänge können jedoch verschwimmen. Im Weiteren soll es vor allem um die Insomnie als selbstständige Diagnose gehen.

Betroffene einer Insomnie klagen über Ein- oder Durchschlafstörungen oder Früherwachen oder einer Kombination aus diesen, wodurch Leistungsfähigkeit am Tag und Tagesbefindlichkeit beeinträchtigt werden [17]. Insomnie ist gekennzeichnet durch deutlich verkürzte subjektive Schlafdauer und/oder verlängerte Einschlaflatenz und/oder längere nächtliche Wachphasen sowie Früherwachen, aber auch stark ausgeprägte Müdigkeit am Tage sowie über Wachheit, wenn man sich zum Schlafen hingelegt hat [3]. Der Schlaf wird nicht als ausreichend oder erholsam empfunden [3]. Charakteristisch für eine eigenständig zu behandelnde Insomnie ist es, wenn sich Besorgnis wegen des Schlafs und der antizipierten negativen Folgen der Schlafstörung bei den Betroffenen einstellt.

Patienten, die unter einer solchen chronischen Insomnie leiden, schlafen weniger als Gesunde. Sie unterschätzen jedoch ihre tatsächliche Schlafdauer teilweise um zwei bis drei Stunden und überschätzen dadurch die nächtliche Wachzeit und Einschlaflatenz. Zudem zeigen sie Symptome eines ganztägig vorliegenden sogenannten Hyperarousals [10].

Ergänzend zu diesen Kernsymptomen ist die chronische Insomnie durch dysfunktionale Verhaltensweisen charakterisiert, wie zum Beispiel zu lange Bettzeiten, sozialer Rückzug sowie pessimistisches und katastrophisierendes Denken. Die Symptomatik wird zudem nicht alleine durch andere körperliche oder psychiatrische Störungen verursacht [3].

Häufigkeit

Die Prävalenz der Insomnien liegt in Deutschland bei ca. 6 %   (Europa: 6–19 %). Die Häufigkeit steigt mit zunehmendem Alter. Frauen sind zudem häufiger davon betroffen [3, 10].

Diagnosesysteme

Im ersten Klassifikationssystem für Schlafstörungen von 1979 wurde erstmals zwischen 14 Formen der Insomnie unterschieden, wie zum Beispiel mangelnde Schlafhygiene, idiopathische Insomnie usw. Die am häufigsten vorkommende psychophysiologische Insomnie gilt mittlerweile als Prototyp der chronischen Insomnie [3]. Das Krankheitsmodell dieser Insomnieform (Abb. 1 sowie [17]) hat letztlich zur Entwicklung der unten näher beschriebenen insomniespezifischen kognitiven Verhaltenstherapie (KVT-I) geführt.

In der ICD-10 wurde dann zwischen einer organischen (G47.0) und einer nichtorganischen Form (F51.0) der Insomnie unterschieden [3]. Im DSM-5 und der ICSD-3 sowie der ab 2022 gültigen ICD-11 wird nun zwischen der akuten und chronischen Form unterschieden. Das Konzept der primären (organischen) und sekundären (nichtorganischen) Insomnie ist dem der Komorbidität gewichen [3].

Akute Insomnie

Die akute Insomnie (nicht länger als drei Monate) wird oft assoziiert mit kritischen Lebensereignissen oder Änderungen der Schlafenszeit (zum Beispiel Jet Lag oder Schichtarbeit). Meist remittieren die Schlafstörungen, sobald das auslösende Ereignis nachgelassen bzw. aufgehört hat [10]. Unabhängig von akuten Auslösern sollten Patienten regelmäßig zu Schlafproblemen befragt werden. Als Kriterien werden vorgeschlagen: mittlere Schlaflatenz von 30 Minuten, Wachheit nach Schlafbeginn > 30 Min., Schlafeffizienz < 85 % oder totale Schlafzeit < 6,5 Stunden [10]. Zu beachten ist, dass sich eine akute Insomnie sehr schnell chronifizieren kann.

Chronische Insomnie

Die ICSD-3-Diagnosekriterien der chronischen Insomnie sind:

  1. (1) Berichten über Einschlaf- bzw. Durchschlafstörungen oder Früherwachen,
  2. (2) angemessene Möglichkeiten und Umstände um einzuschlafen,
  3. (3) Folgen für den Tag (Tagesmüdigkeit, Konzentrationsprobleme usw.).

Diese müssen länger als drei Monate und mindestens dreimal pro Woche vorliegen [1].

Messung

Eine Insomnie lässt sich eher anamnestisch durch Schlaffragebögen als durch objektive Laborbefunde diagnostizieren [3]. Häufig genutzte Fragebögen sind zum Beispiel der Pittsburgh Sleep Quality Index, der Insomnia Severity Index oder die Regensburger Insomnie Skala [17]. Ergänzt werden kann die Diagnostik durch Schlaftagebücher [10]. Außerdem sollten körperliche und psychische Erkrankungen abgeklärt werden.

Differenzialdiagnose

Die Insomnie ist abzugrenzen von Depressionen (da sich die Symptome teilweise überschneiden), von schlafbezogenen Atmungsstörungen oder vom Syndrom der nächtlichen periodischen Beinbewegungen. Die Symptome können auch durch Stress, Schichtarbeit, (Flug-)Lärm oder bestimmte Medikamente (Tab. 2) ausgelöst werden [3]. In Bezug auf Kontrazeptiva zeigte sich in einer Studie [22] eine Erhöhung der Körpertemperatur, die wiederum zur Entwicklung von Schlafstörungen beitragen kann. Organische Erkrankungen können ebenfalls zu insomnischen Beschwerden führen, zum Beispiel Asthma oder endokrine Überfunktionen wie Hyperthyreose sowie Morbus Cushing und chronische Schmerzen.

Tab. 2: Medikamente, deren Einnahme zu einer Insomnie oder Hypersomnie führen kann

Medikamentengruppe

Insomnie

Hypersomnie

Neuroleptika (Melperon, Pipamperon)

Hypnotika (Benzodiazepine)

antriebssteigernde Antidepressiva (z. B. Desipramin)

dämpfende Antidepressiva (z. B. Doxepin)

Antiparkinson-Medikamente (z. B. L-Dopa)

Antibiotika (z. B. Gyrasehemmer)

Asthma-Medikamente (Theophyllin)

H1-Antihistaminika

Antihypertensiva (ß-Blocker; ɑ2-Agonisten)

Diuretika

Lipidsenker (Statine)

Hormonpräparate (Thyroxin, Corticosteroide, orale Kontrazeptiva)

Cave: Zunächst als Begleitproblematik auftretende insomnische Beschwerden können sich „verselbstständigen“ und so zu einer eigenständig zu behandelnden chronischen Insomnie werden. Hier ist das Komorbiditätsprinzip entscheidend, nach dem dann sowohl auslösende Grunderkrankung (siehe auch Tab. 3) als auch daraus entstandene chronische Insomnie parallel behandelt werden müssen.

Tab. 3: Schlafstörungen bei psychischen Störungen (nach [17])

Erkrankung

Insomnie

Hypersomnie

Affektive Störungen

•••

Angsterkrankungen

/

Alkoholabhängigkeit

/

Borderline-Störung

/

demenzielle Erkrankungen

•••

Essstörungen

/

psychotische Störungen

•••

••• : bei fast allen Patienten; •• : bei ca. 50 % der Patienten; • : bei 10–20 % aller Patienten; / : bislang nicht beschrieben

Gesundheitsrisiken und deren Kosten

Durch Meta-Analysen konnte gezeigt werden, dass Insomnien als unabhängiger Risikofaktor das Risiko für Bluthochdruck, Herzinfarkte und Herzinsuffizienz langfristig erhöhen und einen Risikofaktor für Diabetes darstellen. Es liegen eindeutige Daten für den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Insomnien und psychischen Erkrankungen (Depression, Angststörungen, Substanzmissbrauch) vor. Insomnien erhöhen das Risiko, häufiger krankgeschrieben zu sein und mehr Unfälle am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr zu haben [17]. Eine europaweite Untersuchung stellte 2010 fest, dass Insomnien insgesamt den 9. Platz aller neuropsychiatrischen Erkrankungen im Gesundheitssystem einnehmen. Direkte Kosten betreffen Medikamente und Psychotherapie, indirekte Kosten Fehltage und verminderte Arbeitsfähigkeit oder Frühberentung [17].

Pharmakotherapie

Nach aktueller Leitlinie sollte eine medikamentöse Behandlung der Insomnie nur dann erfolgen, wenn eine KVT-I nicht verfügbar oder wirksam war [15, 17].

Zur Kurzzeitbehandlung können Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten oder aber auch sedierende Antidepressiva angewendet werden, vor allem wenn es um kurzfristige Reduktion von Leidensdruck geht oder um Anwendung innerhalb eines therapeutischen Gesamtkonzepts. Benzodiazepine werden u. a. wegen Entwicklung einer Abhängigkeit nicht für eine Langzeitanwendung empfohlen. Ähnliches gilt wegen unzureichender Datenlage auch für Antipsychotika, Melatonin, Phytopharmaka sowie andere Präparate [15].

Kognitive Verhaltenstherapie bei Insomnie

Mittlerweile hat sich die KVT-I als das nicht-medikamentöse Therapieverfahren bei Erwachsenen etabliert. Bei dieser multimodalen Therapie wird der psychotherapeutische Behandlungsfokus auf den Schlaf gelegt. Laut Metaanalysen ist eine KVT-I effektiv und zeigt langanhaltende Effekte [3].

Sie ist vor allem wirksam, weil es um die Bearbeitung der dysfunktionalen Einstellungen und Verhaltensweisen geht, die die insomnische Störung aufrechterhalten. Ziel ist eine aktive Verhaltens- und Bewertungsveränderung, die einen natürlichen Schlaf wieder ermöglicht. Die Behandlung kann in Einzel- oder Gruppentherapie erfolgen. Die Dauer einer KVT-I bei chronischer Insomnie (ohne weitere Komorbidität) liegt bei vier bis acht Sitzungen und somit deutlich kürzer als bei anderen Störungsbildern [15].

Ein Teil ist die Psychoedukation rund um das Thema Schlaf. Diese soll Hintergrundwissen für das Umsetzen der verhaltensbezogenen Empfehlungen liefern, zum Beispiel Informationen über Schlafregulation und Schlafhygiene sowie Aufdecken dysfunktionaler Einstellungen.

Weitere Bestandteile sind Entspannungsverfahren wie Atemtechnik oder Achtsamkeit. Relevant sind die Techniken der Bettzeitenrestriktion, hier sollen Patienten die Bettzeiten so verkürzen, dass keine überflüssigen Wachzeiten mehr auftreten, und der Stimuluskontrolle, bei der es zur Löschung der Verbindung „Bett = Wach/Kampf mit dem Schlaf“ und zur Wieder- verknüpfung von „Bett = Schlaf“ kommt [3, 15]. Mittlerweile gibt es einige Angebote zur fachlichen Weiterqualifikation in Bezug auf die KVT-I. Außerdem liegen derzeit sowohl eine Vielzahl von Handbüchern und Manualen für die psychotherapeutisch Tätigen [11, 20, 6, 16] als auch Ratgeber zur Selbsthilfe für Betroffene [18, 12] vor.

Wann ins Schlaflabor bei Insomnie?

Ist die ambulante Therapie der Insomnie nicht wirksam, empfiehlt sich eine stationäre Untersuchung durch ein Schlaflabor. Hier können mithilfe der Untersuchungsergebnisse und der klinischen Symptome auch noch andere Schlafstörungen diagnostiziert oder ausgeschlossen sowie eine Behandlung eingeleitet werden [4]. Die Indikation hierfür ist nach Leitlinie zum Beispiel dann gegeben, wenn die Schlafstörungen oder die schlafbezogenen Ängste persistieren oder es zu einer Zunahme von negativem Grübeln während der nächtlichen Wachzeiten kommt.

Praxis-Tipp

Wenn Betroffene gleichzeitig über hypersomnische und insomnische Beschwerden klagen, so ist vor allem auch an eine Schlaf-Wach-Rhythmusstörung zu denken. Hierbei laufen die „innere Uhr“ und die „soziale Uhr“ nicht synchron. Probleme bekommt deshalb zum Beispiel ein „Abendtyp“ dann, wenn er morgens zur Frühschicht aufstehen muss, und umgekehrt ein „Morgentyp“, wenn er zur Nachtschicht muss.

Dipl.-Psych. Markus B. Specht, Leiter Zentrum für interdisziplinäre Schlafmedizin, sychologischer Psychotherapeut, Vorsitzender der Gesellschaft für Schlafmedizin in Hessen e. V., DKD Helios Klinik Wiesbaden, E-Mail: markus.specht@helios-gesundheit.de

Prof. Dr. med. Richard Schulz, MHBA, Lungenzentrum Wiesbaden, Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken

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