Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, Prof. Dr. med. René Gottschalk

Seit Beginn der Corona-Pandemie werden die Bürgerinnen und Bürger täglich mit den aktuellsten Zahlen und ständig neuen Verordnungen und Gesetzen überschüttet. Doch erhalten sie damit sinnvolle und nützliche Informationen? Was bedeuten die täglich steigenden Infektionszahlen? Was bedeutet das für die Infizierten? Wie schwer erkranken sie? Wie sicher sind die Tests? Sind die positiv Getesteten wirklich infiziert und infektiös? Oder sind es – bei niedriger Prävalenz – häufig falsch positive Tests und es werden falsch positiv Getestete isoliert, ihre Kontaktpersonen quarantänisiert?

Die Meldedaten in Frankfurt

Die Auswertung der Meldedaten in Frankfurt am Main – mit 750.000 Einwohnern – zeigen:

  • Meldezahlen: Nach einer Phase sehr vieler Erkrankungen im April 2020 nahm die Zahl der Meldungen rasch ab und blieb von Mai bis Ende Juli stabil niedrig. Einzelne höhere Zahlen an bestimmten Tagen waren auf Testungen im Zusammenhang mit Ausbrüchen in einer Kirchengemeinde respektive in Unterkünften für Geflüchtete zurückzuführen. Ab August sind wieder – insbesondere im Zusammenhang mit größeren privaten Feiern und bei Reise-rückkehrern aus Risikogebieten – sehr hohe Meldezahlen erkennbar (Abb. 1).
  • Hospitalisierungund schwere Krankheitsverläufe: Immer weniger Covid- 19-Infizierte müssen in ein Krankenhaus aufgenommen werden (Abb. 2) – dies trotz der Zunahme gemeldeter Fälle im August; seit vielen Wochen nehmen schwere Krankheitsverläufe ab; schwere Atemwegssymptome und Beatmungspflicht treten nur noch sehr selten auf. Eventuelle mittel- oder längerfristige Symptome werden in den Meldedaten allerdings nicht abgebildet.

  • Todesfälle: Die Zahl und der Anteil der an bzw. mit Covid-19-Verstorbenen nahm ab und stieg auch mit Zunahme der Meldungen im August nicht an. Seit Mai werden 0–3 Todesfälle pro Monat gemeldet – bei ca. 600 Todesfällen pro Monat in Frankfurt am Main (Abb. 3).

  • Schulen und Kitas: Es gibt keine Hinweise, dass die schrittweise Wiedereröffnung der Schulen zu einer erkennbaren Zunahme an Infektionen bei Kindern und Schulpersonal geführt hat – obwohl wegen Ängsten und Sorgen von Schulgemeinden viele Tests vorgenommen wurden. Mit dem Ende der Ferien nahm auch die Zahl positiv getesteter Schüler und Lehrer (Reiserückkehrer) zu.
  • Altenpflegeheime: Zu Beginn der Pandemie Anfang April ereigneten sich in drei (von 48) Altenpflegeheimen Ausbrüche; alleine in einem Heim erkrankten 67 Bewohner und 29 Mitarbeiter; 22 Bewohner verstarben. Seit Mitte April kam es zwar wiederholt zu SARS-CoV-2-Einträgen in 20 Heimen, durch die ergriffenen Maßnahmen konnte eine Weiterverbreitung gut verhütet werden; Todesfälle waren nicht zu beklagen. Die jüngste Meldung eines infizierten Bewohners erfolgte am 19.06.2020 (Stand 25.08.2020).

Weitere Daten

Weitere Daten aus Frankfurt im Vergleich zu den Vorjahren:

  • Krankenhaus-Belastung: Mittels Interdisziplinären Versorgungsnachweises (IVENA) [1] können die Rettungstransporte und Aufnahmen in Krankenhäuser in Echtzeit dokumentiert werden; die Krankenhäuser haben die Möglichkeit, bei Überlastung einzelne Bereiche für eine gewisse Zeit abzumelden. Der Vergleich des ersten Halbjahres 2020 mit den ersten Halbjahren der vorangegangenen Jahre zeigt keine auffälligen Abmeldungen des Bereichs Innere Medizin (ambulant, Notaufnahme und stationär), siehe Abb. 4.

  • Mortalität: Die Sterbestatistik (tägliche Sterbefälle) zeigt im ersten Halbjahr 2020 keine Auffälligkeiten – im Gegensatz zu erkennbar höheren Sterbezahlen während der Influenza-Zeiten 2017 und 2018 sowie während der Hitzeperiode im Juli 2018, siehe Abb. 5.

  • Mortalität der Bewohner in Altenpflegeheimen: 30 Heime (inklusive die Heime mit Ausbrüchen und Todesfällen) haben dem Amt auf freiwilliger Basis die Zahl der seit 2018 Verstorbenen pro Quartal mitgeteilt: Auch in der Hoch-Risikogruppe der Altenpflegeheimbewohner ist im Jahr 2020 keine auffällige Sterblichkeit zu erkennen (Abb. 6).

Bundesweiter Vergleich

Bundesweit sind die Meldedaten vergleichbar. Aus den kumulierten Daten der Situationsberichte des Robert Koch-Instituts (RKI) wurden die täglichen Daten der Meldungen und Todesfälle extrahiert [5]. Aus den seit dem 29. April 2020 publizierten detaillierten Daten der Covid-19-Fälle nach Tätigkeit oder Betreuung in Einrichtungen mit besonderer Relevanz für die Transmission von Infektionskrankheiten inklusive der Fälle ohne solche Tätigkeiten wurde die tägliche Anzahl der Hospitalisierten errechnet.

  • Meldungen: Auch in Deutschland insgesamt gab es von Mai bis Juli im Vergleich zu April 2020 wenige Meldungen. Diese steigen im August an. Der Anstieg ist allerdings nicht so ausgeprägt wie in Frankfurt am Main, siehe Abb. 7.

  • Hospitalisierungen: Die Hospitalisierungen nahmen in Deutschland insgesamt etwas verzögerter ab als in Frankfurt. Sie bleiben im Juli und August stabil niedrig – trotz der Zunahme der Meldungen insgesamt, siehe Abb. 8.

  • Verstorbene: Bei den Verstorbenen zeigt sich auch in Deutschland insgesamt ein rascher Abfall im Mai – der trotz der steigenden Meldungen im August weiterhin stabil niedrig bleibt, siehe Abb. 9.

  • Testungen und Anteil positiv getesteter Proben: Einmal pro Woche veröffentlicht das RKI die Anzahl der wöchentlichen Testungen, die von ca. 180 Laboren gemeldet werden. Auch die Anzahl und der Anteil der positiv getesteten Proben wird angegeben. Die Anzahl der wöchentlichen Testungen wurde von April bis Juli deutlich gesteigert – mit einer nochmals erheblichen Zunahme im August um mehr als 70 % im Vergleich zu Ende Juli (987.423 vergl. 578.099). Die Positivenrate lag im April bei bis 9 % und hat im weiteren Verlauf auf unter 1 % abgenommen. Im Juli lag sie bei ca. 0,6 %, im August bei knapp unter 1 %, siehe Abb. 10.

  • Mortalitätsstatistik: Das Statistische Bundesamt veröffentlicht die Sterbedaten der Bevölkerung in Deutschland – alle Ursachen – auf seiner Website [7]. Abb. 11 zeigt den üblichen Jahresgang mit höheren Sterberaten im Winter als im Sommer. Gut ist auch die Übersterblichkeit in den Grippewellen im Winter 2017 und 2018 erkennbar sowie einzelne kurze Peaks im Sommer (Hitzewellen). Im Jahr 2020 ist keine Übersterblichkeit erkennbar.

Corona-Testergebnisse

Was sagen die Testergebnisse bei der derzeitigen Teststrategie aus?

  • Bei niedriger Prävalenz in der Bevölkerung und umfangreicher Testung von asymptomatischen Personen wird man selbst bei angenommener hoher Sensitivität und Spezifität des Tests falsch positive Befunde erhalten [2, 3].
  • Der PCR-Test detektiert Genabschnitte von SARS-CoV-2; er sagt nichts darüber aus, ob es sich um infektionsfähige Viren oder um Virusreste nach durchgemachter Infektion handelt. Hierzu wäre eine Erregeranzucht erforderlich. Analog hat die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beispielsweise in ihrer MRSA-Richtlinie PCR-basierte Verfahren allenfalls als vorläufige Grundlage anerkannt – wegen des Vorteils einer erheblichen Zeitreduktion bei der Testdurchführung. Als Grundlage für abzuleitende krankenhaushygienische Konsequenzen und zur Kontrolle von MRSA-Dekolonisierungsmaßnahmen sind jedoch kulturelle Nachweisverfahren gefordert, da die PCR-Verfahren nicht selten falsch positive Ergebnisse liefern [4].

Fazit

Nach anfänglich vielen schweren Covid-19-Verläufen und Todesfällen, die aber nicht zwingend durch SARS-CoV-2 hervorgerufen wurden, werden seit Monaten weniger schwere Erkrankungen mit weniger Krankenhauseinweisungen gemeldet, auch treten Todesfälle seltener auf. Und dies, obwohl die Meldezahlen im August durch die Zunahme an Tests bei Reise-rückkehrern aus Risikogebieten bzw. bei Besuchern von großen Familienfeiern deutlich zugenommen haben und in Frankfurt auf gleichem Niveau wie zu Beginn der Pandemie im April 2020 liegen. Eine Übersterblichkeit ist weder in der Gesamtbevölkerung noch in der Gruppe der Hochrisikopatienten (Bewohner von Altenpflegeheimen) zu verzeichnen.

Auch bei ausreichender Ausstattung der Altenpflegeheime mit Schutzausrüstung für das Personal und Beachtung guter Hygiene können zwar Einträge des Virus in die Heime nicht vollständig vermieden, jedoch kann so einer Weiterverbreitung des Virus in diesen Einrichtungen effektiv vorgebeugt werden.

In Übereinstimmung mit der Literatur gibt es keine Hinweise, dass eine Wiedereröffnung von Schulen und Kindergemeinschaftseinrichtungen – bei Beachtung guter Hygiene – zu einer erkennbaren Zunahme an Infektionen führt.

Bei niedriger Prävalenz sind die PCR-Tests häufig falsch positiv. Ein PCR-Test alleine sagt nichts über eine mögliche Infektiosität des Betroffenen aus.

Daraus ergeben sich Fragen zur Sinnhaftigkeit der derzeitigen Teststrategie und der darauf aufbauenden Maßnahmen.

  • Soll bei auf längere Sicht fehlenden Impfmöglichkeiten weiterhin die Verhütung aller, auch asymptomatischer Infektionen das Ziel bleiben (Containment)?
  • Oder sollte – entsprechend dem nationalen Pandemieplan des RKI – zunehmend die Schutzstrategie für vulnerable Gruppen (Protection) sowie die Folgenminderungsstrategie (Mitigation) in den Fokus genommen werden?

Diese Fragen werden im nachfolgenden Beitrag aufgegriffen.

Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, Prof. Dr. med. René Gottschalk

Zu den Autoren

Prof. Dr. med. René Gottschalk leitet seit 2011 das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt am Main;

Prof. Dr. med. Ursel Heudorf war bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2019 seine Stellvertreterin im Amt. Beide sind Fachärzte für Öffentliches Gesundheitswesen und Träger der Johann Peter Frank-Medaille, der höchsten Auszeichnung des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte für Öffentliches Gesundheitswesen. Sie wurden im Jahr 2018 mit der Ehrenplakette in Silber der Landesärztekammer Hessen ausgezeichnet.