Aus Furcht vor Corona-Ansteckung meiden viele Patienten gerade die Facharztpraxen

Der Hinweis steht seit 23. März auf der Homepage: „Durch die Coronavirus-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen zur Infektionsprävention ist das medizinische Angebot der Medicum-Praxen zum Teil erheblich reduziert.”

Normalerweise können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des großen Wiesbadener Facharztzentrums über mangelnde Arbeit nicht klagen. Doch wie fast überall im Land hat das Virus auch ihren Alltag massiv geändert. Einige Praxen, darunter auch die Urologische Praxis, haben Kurzarbeit für ihre Medizinischen Fachangestellten und auch angestellten Ärzte angemeldet, um den wirtschaftlichen Schaden zu verringern (Stand: Mitte April 2020). „Wir vier Gesellschafter halten den Betrieb jetzt aufrecht und holen uns je nach Bedarf Personal hinzu”, sagt der Urologe Dr. med. Michael Weidenfeld und erläutert den Hauptgrund dafür: „Die Bevölkerung hält sich sehr strikt an das Kontaktverbot.”

In den Medicum-Praxen wurden die Stühle in den Wartebereichen reduziert, Abstände vergrößert, Trennscheiben am Empfang aufgebaut zum Schutz der Angestellten und der Patienten.

Die Praxis mit einer Filiale in Bad Schwalbach bietet das gesamte urologische Spektrum an – inklusive ambulante Operationen. Jetzt finden nahezu ausschließlich die chronisch Kranken und Tumorpatienten den Weg in die reduzierten Sprechstunden, in denen strikt das Abstandsgebot eingehalten wird. Und die Notfälle – auch sie nach telefonischer Anmeldung – werden weiter versorgt. Jedoch ist der Wunsch nach Vorsorge und elektiven Eingriffen so gut wie völlig zum Erliegen gekommen.

„Die Umsätze sind um gut die Hälfte eingebrochen”, sagt der Urologe im Gespräch, das er mit dem Hessischen Ärzteblatt in der ersten Aprilwoche führte. Was für ein Rollenwechsel durch Corona: „Eigentlich sind wir niedergelassenen Ärzte die Speerspitze in der Gesundheitsversorgung. Leere Wartezimmer habe ich in den vergangenen 20 Jahren noch nicht erlebt.“

Noch, sagt der Wiesbadener Arzt, halte sich der wirtschaftliche Schaden in Grenzen – und sei nicht annähernd so hoch wie der des kleinen Einzelhändlers oder Gastronomen um die Ecke. Für die chirurgischen Kollegen sei die Situation allerdings schon ein Desaster. „Die dürfen aktuell nichts machen, der OP ist stillgelegt.” Unterdes laufen die Kosten weiter für Miete, Strom, Personal, Putzdienst, Versicherungen.

Die eine oder andere schlaflose Nacht würden jene Kollegen verbringen, die gerade erst eine Praxis eröffnet haben und jetzt diese Krise erleben. „Die müssen ja ihre Kredite abzahlen.”

Das Medicum ist eines von vielen fachärztlichen Versorgern in Hessen, in denen die Wartezimmer wegen der Corona-Krise ungewöhnlich häufig leer bleiben. Wie viele es sind, ist nicht zu beziffern. Der Bundesanstalt für Arbeit liegen keine Zahlen über Kurzarbeit in der Gesundheitsbranche vor. Es ist die Furcht vor dem Ansteckungsrisiko, die die Menschen dazu bringt, Vorsorgetermine abzusagen, die Leistenhoden-OP des Sohnes oder die eigene Leistenhernien-Operation zu verschieben. Kein Grund zur Panik, sagt Weidenfeld. Aufgeschoben heißt ja nicht aufgehoben: „Ich bin optimistisch, dass sich das nach Ostern reguliert.”

Auch die gesundheitlichen Folgen für seine Patienten, meint der Urologe, seien aktuell noch überschaubar. Wem es richtig schlecht geht, wer seine notwendige Therapie braucht, der melde sich und komme. Mehr Sorgen machen Weidenfeld die Menschen, die jetzt womöglich bei ernsten Symptomen aus Angst vor Ansteckung zum Beispiel den Gang zum Kardiologen scheuen.

Fehlende Schutzausrüstung ist auch im Medicum ein großes Thema. „Besonders problematisch für uns wird es, wenn demnächst die Routine-Hausbesuche in den Wiesbadener Pflegeheimen anstehen, um die Katheter der Bewohner zu wechseln.” Einfache Masken, sagt Weidenfeld, hat er noch genug. Nicht aber den erforderlichen Schutzanzug. „Das ist eine Riesenkatastrophe für die Heime.” Deren Versorgung mit Schutzkleidung sei mangelhaft. Auch fragt sich der Arzt, wo die privaten Krankenkassen in dieser Krise bleiben: „Alle Welt bemüht sich im Kampf gegen das Corona-Virus, nur von denen hört man nichts.”

Das Gespräch mit dem Hessischen Ärzteblatt findet in einer Zwischenphase statt. Noch sind die Fachärzte im Medicum weniger gefragt als normalerweise. Doch das könnte sich ändern, wenn das Virus die Kolleginnen und Kollegen an den Krankenhäusern an ihre Grenzen bringt und darüber hinaus. Sollte Unterstützung notwendig sein, können sie selbstverständlich mit Unterstützung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte rechnen, sagt Weidenfeld.

Jutta Rippegather