Vor Keimen haben Patienten in Deutschland mehr Angst als vor Behandlungsfehlern, wenn man einer Umfrage der Unternehmensberatung PwC aus 11/12 2018 Glauben schenken darf [1]. Mehr als zwei Drittel der Teilnehmer (70 %) machen sich demnach Sorgen um mangelnde Hygiene und die daraus folgende Ansteckungsgefahr. Einen ärztlichen Fehler fürchtet dagegen etwa die Hälfte (49 %) und mehr als ein Viertel (28 %) hat Angst vor einem Ausfall der technischen Geräte. Mit der steigenden Anzahl von Infektionen haben vor allem Haftungsfragen an Bedeutung gewonnen. Doch damit nicht genug: Hygienemängel können noch zu weiteren Sanktionen führen, bis hin zum Verlust der Vergütungsansprüche auf Behandlerseite.

1. Hygienemängel und zivilrechtliche Haftung

Nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Diskussion in den Medien einerseits und der Bestimmung des § 630a Abs. 1 BGB mit Beweislastumkehr andererseits sehen sich Ärzte und Kliniken vermehrt dem Vorwurf einer Haftung aufgrund Hygienemängeln und einer dadurch bedingten Infektion ausgesetzt. Hierbei muss der Patient zunächst das Vorliegen eines vorwerfbaren Behandlungsfehlers des Arztes und anschließend einen auf diesem Behandlungsfehler unmittelbar kausal beruhenden Gesundheitsschaden darlegen und beweisen. Für eine Haftung fordert § 630a Abs. 2 BGB, dass der zum Zeitpunkt der Behandlung bestehende, allgemein bekannte fachärztliche Standard verletzt worden sein muss. Dieser leitet sich ab aus den allgemein anerkannten Sorgfaltspflichten und den speziell für den Bereich der Hygiene geschaffenen Vorschriften, vor allem dem IfSG, das die Sorgfaltsanforderungen an Hygiene im Krankenhaus maßgeblich prägt. Hier zu nennen sind vor allem die von der beim Robert-Koch-Institut (RKI) eingerichteten Kommissionen für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) herausgegebenen Empfehlungen und die der Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (ART). Werden diese Empfehlungen eingehalten, so wird die Einhaltung des Standards der medizinischen Wissenschaft vermutet (§ 23 Abs. 3 Satz 2 IfSG).

Patienten obliegt auch bei Hygienemängeln die Beweispflicht, eine solche Verletzung des allgemeinen bekannten fachärztlichen Standards darzulegen und zu beweisen. Dies ist oft schwierig, da ihnen die medizinischen Fachkenntnisse und Einblicke in die Behandlungsabläufe fehlen. Aus diesem Grund wird von Patientenvertretern gefordert, dass schon allein die Infektion an sich ein „voll beherrschbares Risiko“ [2] sei und in § 630a Abs. 1 BGB eine Beweislastumkehr zulasten der Ärzteschaft gesetzlich normiert ist, mit der Folge, dass bereits bei Vorliegen eines Hygienemangels der behandelnde Arzt bzw. der Krankenhausträger darzulegen und zu beweisen habe, dass ihn kein Verschulden treffe.

1.1. Wer muss was beweisen?

Allgemein anerkannten Grundsätzen folgend muss der Patient im Fall eines Hygienefehlers neben diesem auch dessen Ursächlichkeit für den eingetretenen Schaden beweisen. Doch aufgrund seiner fehlenden medizinischen Sachkunde ist er insoweit in einer ausgesprochen schwachen Position. Um dieses Ungleichgewicht auszugleichen, hat die Rechtsprechung für bestimmte Fallgruppen Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr vorgesehen. Diese Judikatur griff das Patientenrechtegesetz 2013 auf und goss sie mit der Schaffung des § 630h BGB in Gesetzesform. Liegt ein grober Behandlungsfehler vor „und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war“ (§ 630h Abs. 5 Satz 1 BGB). Ein grober Behandlungsfehler wird etwa angenommen im Fall des Unterlassens von Desinfektionsmaßnahmen oder wegen fehlender Vorsichtsmaßnahmen beim Wechseln einer Infusion. Weitere Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten sieht § 630h Abs. 1 BGB vor. Danach wird ein Behandlungsfehler „vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.“ Bei Hygienemängeln geht es schwerpunktmäßig genau um eben diese voll beherrschbaren Risiken.

1.2. Definition: „Voll beherrschbares Risiko“

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt, dass Infektionen, die sich trotz Einhaltung der gebotenen hygienischen Vorkehrungen ereignen, zum entschädigungslos hinzunehmenden Krankheitsrisiko des Patienten gehören [3]. Das heißt, allein die Tatsache, dass sich ein Patient mit einem Keim infiziert, reicht nicht, um eine Haftung zu begründen. Aber wann liegt bei einer Infektion ein Risiko vor, das die Behandlungsseite voll hätte beherrschen können und müssen? Laut Rechtsprechung kennzeichnen sich voll beherrschbare Risiken dadurch, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden und bei ordnungsgemäßer Gestaltung ausgeschlossen werden können und müssen. Im Bereich der Hygiene zählen dazu z. B. die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittels [4] der die Sterilität von Behandlungsbesteck [5] oder Infusionsflüssigkeit [6]. Dies gilt auch für vermeidbare Keimübertragungen durch an der Behandlung beteiligte Personen bis hin durch Ansteckung durch Mitpatienten [7].

1.3. Keine Umkehr der Beweislast bei unklarer Infektionsquelle

Ist unklar, wo und wann sich der Patient infiziert hat, etwa weil es sich um einen Keim handelt, der bei jedem Menschen vorzufinden ist, kommen die Grundsätze über das voll beherrschbare Risiko nicht zur Anwendung, d. h. es findet keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zugunsten des Patienten statt [8]. Stehen Träger des Keims und Übertragungsweg hingegen fest, ist es an der Behandlungsseite, den Beweis für eine fehlende Sorgfaltspflichtverletzung und fehlendes Verschulden zu erbringen [9]. Arzt wie Krankenhaus haften in Fällen voll beherrschbarer Risiken folglich nicht, wenn sie beweisen können, dass sämtliche Vorkehrungen gegen vom Personal oder Mitpatienten ausgehende Keimübertragungen getroffen wurden. Dem Patienten obliegt sodann allerdings noch der Beweis der Kausalität zwischen Sorgfaltsmangel und eingetretenem Schaden.

1.4.: Sekundäre Darlegungslast des Krankenhausträgers

Kommt es nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach § 630h Abs. 1 BGB, reicht es allerdings, dass der Patient konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß vorträgt. So entschied es der BGH im Fall einer MRSA-Infektion im Jahr 2016 [10]. Der betroffene Patient war nach der OP zusammen mit einem anderen Patienten in einem Zimmer untergebracht worden, der unter einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wunde, einem „offenen Knie“ litt. Er zeigte es Anwesenden bei einem Verbandswechsel und klagte darüber, dass man den Keim nicht „in den Griff“ bekomme. Zudem hatte ein Sachverständiger erklärt, dass die gemeinsame Unterbringung nicht zu beanstanden sei, wenn die Empfehlungen des RKI eingehalten würden. Diesen Vortrag hatte sich der Patient zu eigen gemacht. Alles dies, so der BGH, genüge, um eine erweiterte Darlegungslast des beklagten Krankenhauses auszulösen. Es war nun an der Klinik, die Einhaltung der Hygienestandards zu beweisen.

2. Hygienemängel und Strafrecht

Die zivilrechtliche Haftung von niedergelassenem Arzt, Klinikträger und Krankenhauspersonal wird flankiert von einer Reihe von Straftatbeständen, die bei Vorliegen eines Hygienemangels erfüllt sein können. Zu denken ist vornehmlich an die Delikte der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) bzw. fahrlässigen Körperverletzung (§§ 223, 229 StGB). Kernpunkt fahrlässigen Verhaltens ist das Vorliegen einer Pflichtverletzung. Ein solcher Sorgfaltspflichtverstoß kann auch durch Unterlassen (Stichwort: Organisationsverschulden) begangen werden. An dieser Stelle weist der Blick wieder zu § 23 Abs. 3 Satz 2 IfSG und die dort verankerte gesetzliche Vermutung. Hinzu kommen die Anforderungen der auf Länderebene erlassenen Hygieneverordnungen, die es seitens der Krankenhäuser zu beachten gilt. Doch nicht nur das Strafgesetzbuch greift. Vielmehr enthält auch das IfSG selbst Strafvorschriften (§§ 74, 75 IfSG), die zum Teil Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vorsehen. Die zahlreichen der dort genannten Tatbestände entsprechen den Regelungen im früheren Bundesseuchengesetz, das 2001 vom IfSG abgelöst und außer Kraft getreten ist.

3. Hygienemängel und Vergütungsanspruch

Wie oben dargestellt, gehört die Einhaltung der fachlichen Standards durch den Behandelnden zu den vertragstypischen Pflichten des Behandlungsvertrags (§ 630a Abs. 2 BGB). Geht es um die Behandlung von GKV-Patienten, ist diese Regelung in Verbindung mit § 2 SGB V zu sehen. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die Leistungen – also z. B. auch Krankenhausbehandlung – zur Verfügung, die ihrerseits hinsichtlich Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen müssen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [11] ist der hier heranzuziehende Qualitätsstandard der anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts, der nach den Stellungnahmen der medizinischen Fachgesellschaften, namentlich deren Leitlinien und Empfehlungen zu konkretisieren ist. Hinzu kommen weitere Anforderungen, insbesondere solche nach den §§ 135 ff. SGB V, z.B. in Form von GBA-Richtlinien gemäß §§ 136a, 136 SGB V speziell zum Thema Hygiene. Daraus folgt: werden die gesetzlichen Hygieneanforderungen nicht erfüllt, liegt ein Qualitätsmangel vor. Eine mit diesem Mangel behaftete Leistung ist keine Leistung der GKV und wird folglich nicht finanziert (§ 2 SGB V), d.h. Verstöße gegen das Qualitätsgebot führen zum Verlust des Vergütungsanspruchs auf der Seite des Krankenhauses.

Fazit

Die rechtlichen Konsequenzen mangelnder Hygiene sind gravierend und in Fragen der Haftung nimmt die Rechtsprechung die Behandler spätestens über das Instrument der sekundären Darlegungslast in die Pflicht, wenn der Patient hinreichende Anhaltspunkte für einen Hygienefehler vortragen kann. Umso dringlicher ist es, die Risiken rechtlicher Inanspruchnahme zu minimieren. Hygienepläne sind allen betroffenen Mitarbeitern bekannt zu machen und von ihnen einzuhalten. Dazu bedarf es entsprechender Einweisung und Schulung der Sprechstundenhilfen und des Krankenhauspersonals und der regelmäßigen Überwachung der Handlungsabläufe. Alle diese Vorkehrungen müssen unter Umständen bewiesen werden können. Eine sorgfältige Dokumentation der Standards und ihrer Kontrolle ist daher unerlässlich.

Dr. jur. Thomas K. Heinz, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, E-Mail: dr.tkheinz@freenet.de

Die Literaturhinweise finden Sie in der PDF-Version der aktuellen Ausgabe auf unserer Website unter https://www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/2020/mai-2020