Der Tote liegt auf der Bahre. Doch plötzlich bewegt er die rechte Hand. – Nach zwei Jahren unermüdlicher Forschung, zurückgezogen im Labor, den Kontakt zur Verlobten, zu Freunden und Familie nahezu abgebrochen, die eigene Gesundheit sträflich vernachlässigt, ist ihm endlich der Durchbruch gelungen. Dr. Frankenstein hat einen toten Körper zum Leben erweckt. Doch wie ist ihm dies gelungen?

Was Mary Shelley in ihrem 1818 erschienen Roman noch streng als Geheimnis gehütet hatte, deutet sie in der Einleitung der dritten Ausgabe des Textes aus dem Jahre 1831 an: „Vielleicht könnte ein Leichnam reanimiert werden; der Galvanismus hat in diese Richtung Zeichen gesetzt“. Das Rätsel wird gut 100 Jahre später in der berühmten Verfilmung von 1931 mit Boris Karloff als Monster gelöst. Gebannt konnten die Kinobesucher verfolgen, wie Dr. Frankenstein in seinem Labor allerlei Geräte aufgebaut hatte, um die elektrische Energie, die in einer stürmischen Gewitternacht durch Blitz und Donner auf die Erde niederging, einzufangen und in den toten Körper der aus Leichenteilen zusammengesetzten Kreatur zu leiten. Das gewaltige Labor ähnelt einer Kathedrale. Es scheint, als sollen im Grenzbereich zwischen Leben und Tod mit Hilfe der Wissenschaft höhere Mächte angerufen werden. Zwar galten Blitze und Gewitter lange Zeit als Zeichen göttlichen Zorns, doch sie hatten ihre Bedrohung durch die Erfindung des Blitzableiters verloren. Die zerstörerische Energie der Natur wird beherrschbar und sogar instrumentalisiert, wobei sie gefährlich bleibt.

Aus heutiger Sicht mag es nicht mehr verwundern, dass in den Frankenstein-Filmen Elektrizität benutzt wurde, um ein Herz in einem toten Körper wieder zum Schlagen zu bringen. Vor 60 Jahren war dieser Versuch nachts um 2 Uhr in der Notaufnahme des Johns Hopkins Hospitals in den USA mit einer großen elektrischen Maschine erstmals gelungen. Doch vor 200 Jahren ist die „Lebensenergie“ von magisch-mystischen Vorstellungen umgeben. Mary Shelley ließ den Leser damals im Unklaren, wie dies genau erfolgen konnte. Sie hatte in ihrem Roman nur davon gesprochen, dass der Wissenschaftler Viktor Frankenstein in einer tristen Novembernacht die „lebensspendenden Apparate“ in Position gebracht hatte, um einen „Funken des Seins“ in einen leblosen Körper zu bringen. Mehr erfahren wir nicht. Wie dies genau geschah und welche „Energie“ dafür verantwortlich war, blieb im Dunkeln. Ganz anders die Theaterstücke und Filme, die die enorme Wirkung des Stoffes erkannten und die Szene der Belebung als dramatischen Höhepunkt überaus effektvoll inszenierten.

Allerdings musste auch 1931 dem Kinopublikum das Rätsel der lebensspendenden Energie noch erklärt werden. Frankenstein, so heißt es im Film, war lange Zeit den Forschungsansätzen seines Lehrers und Mentors Prof. Waldmann gefolgt, der der „ultravioletten Strahlung“ die größte Bedeutung für die Erforschung des Geheimnisses des Lebens zumaß. Nun kann der aufstrebende Wissenschaftler zeigen, dass Waldmann sich getäuscht hatte, denn er hat die wahren „Strahlungen“ entdeckt, durch die zum ersten Mal Leben in die Welt gekommen ist. Frankensteins Forschungen auf dem Gebiet des „chemischen Galvanismus und der Elektrobiologie“ haben ihn zuerst Experimente an toten Tieren durchführen lassen, dann sei es ihm gelungen, ein menschliches Herz drei Wochen lang schlagen zu lassen. Jetzt gelang es ihm einen toten Körper zum Leben zu erwecken und dafür die Kraft des Gewitters zu nutzen, denn das Gewitter berge alle Geheimnisse des Lebens in sich. In einer späteren Verfilmung („Frankenstein kehrt wieder“, USA 1942) wird der Laborgehilfe Igor zum Monster sagen: „Dein Vater war Frankenstein, aber Deine Mutter war das Gewitter“. Als ewiges Symbol für die lebenserweckende Energie trägt das Geschöpf zwei Metallelektroden, die an seinem Hals herausragen. Wie der kantige Schädel und die vielen Narben, so bezeugen auch die Elektroden seine nicht-natürliche Entstehung und „männliche Zeugung“.

Animalische Elektrizität

Es wäre nicht verwunderlich, wenn Mary Shelley in der Urfassung des Romans elektrische Kräfte als geheimnisvolle Quelle des Lebens direkt angegeben hätte, denn die mutmaßliche Entdeckung der „animalischen Elektrizität“ beschäftigte die Wissenschaft im 18. Jahrhundert. Einige vermuten, dass Mary Shelley in ihrer Erzählung, in der viele den ersten Science-Fiction Roman sehen, die Elektrizität deshalb nicht erwähnt hat, um nicht zu nahe an der Realität zu sein. Damals war der Anatomieprofessor Luigi Galvani den biologischen Zusammenhängen nachgegangen; er entwickelte 1780 sein eigenes Forschungsprogramm an Fröschen und stellte die These einer „animalischen Elektrizität“ auf, die er später mit Alessandro Volta kontrovers diskutierte. Experimente mit elektrischen Strömen ließen (unkontrollierte) Muskelkontraktionen sichtbar werden. Dass diese Forschung in Europa fasziniert aufgenommen wurde und viele Nacheiferer fand, die diese Versuche selbst durchführen wollten, zeigt der zeitweilige Engpass an Fröschen („shortage of frogs“), der aus dieser Zeit berichtet wurde. Die Bedeutung der Kontroverse zwischen Galvani und Volta, die 1791 begann, kann nicht eindringlich genug betont werden und wurde auch Jahre später in der Villa Diodati am Genfer See von Lord Byron, Percy Shelley und den anwesenden Gästen diskutiert, als diese sich im Laufe eines verregneten Sommers mit selbsterfundenen Schauergeschichten die Zeit vertrieben und unter anderem der Frankenstein-Roman entstand. Im Jahre 1897 erhielt Alessandro Volta die höchste Auszeichnung, die ein Physiker erhalten kann: Sein Name „Volt“ wurde als Maßeinheit für die elektrische Spannung eingeführt.

Die Kraft der Elektrizität wurde im Laufe der Geschichte immer besser verstanden und beherrscht. Die Entwicklung des Blitzableiters in den 1750er Jahren durch Benjamin Franklin hat letztlich das soziale Zusammenleben tiefgreifend verändert, da es die Angst vor der Unberechenbarkeit der Naturkräfte entscheidend mildern konnte. So steht Mary Shelleys „Frankenstein“ auch für den Übergang zur Nutzung seiner lebensspendenden Kräfte. In der medizinischen Fachzeitschrift „Lancet“ berichtet Dr. Kirk aus Middlesbrough (Nord-Yorkshire) im Jahr 1853 über ein Kind, das von seinem Vater eine beträchtliche Dosis Laudanum erhalten und kurze Zeit später einen Herz-Kreislaufzusammenbruch erlitt. Die Anwendung des Galvanismus war hier erfolgreich. Das Kind überlebte. Bemerkenswert ist die Platzierung der Elektroden: eine über dem Epigastrium, eine andere tief im Rachenraum [Kirk G. Poisoning by laudanum in an infant, effects of Galvanism. Lancet 1853; I: 80].

Im Jahr 1872 berichtet Dr. Green aus Bristol über die Anwendung des Galvanismus bei sieben Patienten, bei denen es im Rahmen der medizinischen Anwendung von Chloroform zu Herz-Kreislaufzusammenbrüchen gekommen war. Fünf der sieben Patienten überlebten! Auch hier interessant die Angabe zur Platzierung der Elektroden: „One pole should be applied to the neck (wie bei der Kreatur in der Filmversion von 1842!), and the other over the lower ribs at the left side“ [Green T. On death from chloroform: its prevention by Galvanism. BMJ 1872, May 25: 551–553].

Der erste vollständig in den menschlichen Körper eingebettete Herzschrittmacher wurde am 8. Oktober 1958 von dem Arzt Åke Senning und dem Ingenieur der Firma Siemens Elema, Rune Elmqvist, im Karolinska-Krankenhaus in Stockholm dem Patienten Arne Larsson implantiert. [Larsson B et al. Lessons From the First Patient with an Implanted Pacemaker: 1958–2001. Pace 2003; 26: 114–118]. Bei der ersten Herztransplantation am Menschen im Jahr 1967 im Groote Schuur Krankenhaus in Kapstadt gibt Christiaan Barnard dem verpflanzten Herz mittels elektrischer Impulse eine Art „Starthilfe“, damit es im Körper des Empfängers zu schlagen beginnt.

Elektrische Impulse sorgen heute bei vielen Menschen mit implantierten Herzschrittmachern dafür, dass ihr Herz im richtigen Takt schlägt. Ihre größte Bedeutung erfährt Elektrizität jedoch beim Kammerflimmern, dem „klinischen Tod“ eines Menschen, bei dem das Herz aus seiner gesunden Harmonie herausgefallen ist und nur noch unkoordiniert fibrilliert. Werden jetzt nicht innerhalb weniger Minuten die starken elektrischen Impulse eines Defibrillators eingesetzt, damit die chaotische elektrische Aktivität des Herzens durch einen Stromschlag wieder in einen geordneten Rhythmus überführt wird, stirbt das Herz. Mit erfolgreicher Defibrillation kann der Mensch das Reich zwischen Leben und Tod wieder verlassen. Er wird reanimiert, lateinisch für „wiederbeseelt“. Eine magisch-mystische Vorstellung schwingt also auch hier noch mit.

Dr. theol. Kurt W. Schmidt, Prof. Dr. med. Klaus Lewandowski

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Dr. Kurt W. Schmidt, Zentrum für Ethik in der Medizin am Agaplesion Markus Krankenhaus, Wilhelm-Epstein-Str. 4, 60431 Frankfurt/Main, E-Mail: ZEMmarkus@aol.com