In jüngster Zeit haben sich nicht nur die Ärzteschaft, sondern auch Teile der Öffentlichkeit mit Fragen der Triagierung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie beschäftigt. Uns allen – ob als Arzt oder als Patient – wünsche ich von Herzen, bei einem Mangel von Beatmungsplätzen nicht über die Zuteilung dieser Plätze und damit gleichzeitig auch die Nicht-Zuteilung eines solchen Platzes entscheiden zu müssen. Dennoch müssen wir uns als Ärztinnen und Ärzte mit dieser Problematik auseinandersetzen und keine Vogel-Strauß-Politik verfolgen. Sollte der Entscheidungsfall eintreten, ist es dafür zu spät. Wir müssen die Verantwortung auch dann übernehmen, wenn die Entscheidung aus einem ethischen Dilemma heraus getroffen werden muss. Die Entscheidung selbst ist wohlgemerkt in Abhängigkeit von der Versorgungssituation und den vorhandenen Ressourcen immer eine individuelle Entscheidung. Keine Entscheidung zu treffen, ist jedoch keine Alternative.

Soll diese Entscheidung dem Gesetzgeber überlassen werden, vielleicht sogar in einem „Triagegesetz“? Das kann und will ich mir nicht vorstellen. In seiner Ad-Hoc-Empfehlung sagte der Deutsche Ethikrat zu Recht: „Der Staat darf menschliches Leben nicht bewerten und deshalb auch nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation vorrangig zu retten ist.“

Das muss auch so bleiben und bedeutet gleichzeitig, dass Ärztinnen und Ärzte in dieser Situation eine ethisch und medizinisch begründete Entscheidung treffen müssen. Dafür brauchen sie die juristische Sicherheit, dass diese Entscheidung, die in einer tragischen Extremsituation getroffen wird, nicht nur keine juristischen Sanktionen nach sich ziehen darf, sondern vielmehr als rechtmäßig bewertet wird. Hier sollte der Gesetzgeber die entsprechende Grundlage schaffen, damit die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte im Zweifelsfall nicht im juristischen Regen stehen.

Neu ist das Problem mangelnder Ressourcen ja keineswegs, denn in der Transplantationsmedizin kennen wir den Versorgungsmangel leider schon sehr lange. Dort werden die Grundprinzipien medizinische Dringlichkeit und Erfolgsaussicht auf der Grundlage belastbarer medizinischer Kriterien in einem Algorithmus zusammengefasst. Ein starrer Algorithmus ist bei der Allokation medizinischer Ressourcen im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie jedoch nicht adäquat, da hier zu viele Variable aufeinandertreffen würden.

Patienten, die beispielsweise eine Beatmung in einer Vorsorgevollmacht abgelehnt haben, sollen gar nicht erst stationär aufgenommen werden, sondern zum Beispiel in der jeweiligen Pflegeeinrichtung palliativ behandelt werden. Hier gibt es jedoch ein großes Problem, denn Pflegeheime dürfen im Gegensatz zu Hospizen keine medikamentösen Notfalldepots vorhalten. Wie aber soll Atemnot mit einem Opioid gelindert werden, wenn das Heim keinen Vorrat besitzt und der Notarzt kein Btm-Rezept mitbringen kann? Der Gesetzgeber muss hier umgehend die gesetzliche Grundlage für eine legale Bevorratung schaffen. Bei allem wohlmeinendem Schutz der Pflegeheimbewohner oder anderer Risikopatienten darf das bundesverfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid) nicht außer Acht gelassen werden. Quasi vollständige Isolation und Menschenwürde sind nicht miteinander vereinbar. Gutgemeinter Schutz durch einen von der Heimleitung angeordneten, medizinisch unbegründbaren Zimmerarrest ist eine Form der Freiheitsberaubung. Einen solchen Fall habe ich selbst erlebt und nur durch massives Einschreiten unter Aufzeigen der juristischen Konsequenzen abstellen können.

Während ich diese Zeilen schreibe, wird bereits über die teilweise Wiederaufnahme des Normalbetriebs in den Krankenhäusern diskutiert, weil sich unsere Behandlungskapazitäten bislang zum Glück als ausreichend erwiesen haben. Hoffentlich bleibt das auch so. Denn unter diesen Umständen reichen die Ressourcen aus und eine Triage wird nicht notwendig. Wenn der Ernstfall dennoch eintritt, sollten wir als verfasste Ärzteschaft vorbereitet sein. Deshalb hat der Vorstand der Bundesärztekammer eine entsprechende Orientierungshilfe zur Allokation medizinischer Ressourcen am Beispiel der SARS-CoV-2-Pandemie im Falle eines Kapazitätsmangels erarbeitet (https://www.bundesaerztekammer.de/presse/pressemitteilungen/news-detail/entscheidungen-an-indikation-patientenwillen-und-erfolgsaussicht-ausrichten/).

Auch in dieser für uns alle sehr ungewöhnlichen Zeit geht es dennoch mit der neuen Weiterbildungsordnung voran, die am 1. Juli 2020 in Kraft treten wird. Nähere Informationen erhalten Sie in dieser Ausgabe auf den Seiten 326/327 und 370. Wegen des Umfangs wird die vollständige Weiterbildungsordnung nicht als Sonderdruck, sondern ausschließlich online als Sonderausgabe auf der Kammerwebsite https://www.laekh.de/fuer-aerztinnen-und-aerzte/weiterbildung veröffentlicht.

Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident