Die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus hat Maßnahmen verursacht, die zuvor undenkbar waren. Zunächst lag der Fokus auf der Verlangsamung der Ausbreitung und dem Aufbau der intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten. Die Bewohner von Pflegeeinrichtungen sollten besonders geschützt werden, da es die Menschen im Alter von und über 80 Jahren sind, die im Falle einer Infektion eine besonders hohe Sterblichkeit aufwiesen, woran auch eine Intensivtherapie nichts ändert. Zudem führt eine Infektion in einer Pflegeeinrichtung ohne besondere Hygienemaßnahmen zu einer schnellen Infektion vieler Bewohner mit verheerenden Folgen.

Unter den Patienten der Autoren verstarben bislang rund 50 % der über 80-jährigen Infizierten.

Soziale Isolation, Besuchssperren, Quarantäne

In den vergangenen Jahrzehnten konnten Lebensqualität, seelische und körperliche Gesundheit hochaltriger Bewohner von Pflegeeinrichtungen erheblich verbessert werden. Dies wurde möglich durch viele Projekte, die soziale Kontakte „von außen“ und die Interaktionen innerhalb der Einrichtung förderten und so körperlicher wie geistiger Immobilität entgegenwirkten.

Die drastische Reduktion unmittelbarer zwischenmenschlicher Kontakte führte zu einer sehr effektiven Reduktion der Erkrankungszahlen. Es zeigen sich nun die Nebenwirkungen. Die mangelnde Teilhabe beeinflusst Leben, seelische und körperliche Gesundheit älterer und alter Menschen besonders stark, insbesondere, wenn kognitive Einschränkungen bei demenziellen Syndromen vorliegen.

Die Bewohner unter Quarantäne sind angehalten, sich weitestgehend in ihren Zimmern aufzuhalten, Interaktionen werden eher verhindert als gefördert, Verwandtenbesuche oftmals selbst in der Sterbephase völlig unterbunden. Sogar Arztbesuche werden so weit wie möglich auf das absolut dringende Maß beschränkt. Ebenso wird das Pflegepersonal in den infizierten Wohnbereichen und Einrichtungen in der Zahl, so gut es geht, reduziert, um deren Gefährdung gering zu halten.

Noch vor wenigen Wochen entschied das Bundesverfassungsgericht zur Begründung der Verfassungswidrigkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB a.F.), dass die persönliche Freiheit im Leben und Sterben hohes und schützenswertes Gut sei, auch wenn durch die Gewährung dieser maximalen Freiheit andere Menschen zu Schaden kommen könnten. Der Schutz der vulnerablen Gruppen sei deshalb nachrangig.

All das wird nun geradezu auf den Kopf gestellt: Menschen jeglicher Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit – vor allem alte Menschen – werden gutmeinend in eine Isolation verbannt, ohne dass die Folgen angemessen diskutiert werden. Formal gibt man Bedenken zu Protokoll, inhaltlich folgen bislang keine Taten. Argumentativ wird versucht, das Problem schwerer Schäden des bevormundenden Schutzes vor Selbstgefährdung dadurch zu umgehen, dass man es als Akt des Schutzes gegenüber Dritten darstellt. Der Selbstgefährder ist dann kein solcher, sondern einer, der andere in Gefahr bringt.

Mit der Achtung der Freiheit des Menschen oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)– um es einmal grundrechtlich zu wenden – hat das alles nichts mehr zu tun.

Die Exekutive muss hier deutlich ihre ersten Entscheidungen anpassen, und die Abgeordneten praktisch aller deutschen Parlamente sind nun aufgefordert, ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive nachkommen.

Konkrete Überlegungen für Pflegeeinrichtungen

In Projekten zur Verbesserung der Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen wurden (vor Corona) als häufige Probleme in der Versorgungspraxis stets benannt:

  • Die medikamentöse Verordnung erfolgt oft ohne ausreichende Abstimmung.
  • Insbesondere in nicht-palliativen Versorgungssituationen bestehen große Unsicherheiten bei gesundheitlichen Verschlechterungen.
  • Es erfolgt keine dokumentierte Therapiezieländerung bei nahendem Lebensende.
  • Maßnahmen für die Überwachung, Dokumentation, Medikation bei finaler Versorgung fehlen.
  • Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sind zu unklar oder nicht vorhanden.
  • Gesetzliche Betreuer sind oft schlecht über die Patienten informiert und im Notfall nicht erreichbar.
  • Angehörige können oftmals in ihrer Begleitung nicht ausreichend unterstützt werden.
  • Ein zuständiger Heimarzt wäre von Mitarbeitern und Verwaltung sehr erwünscht.
  • Der ärztliche Notdienst hat zu oft keine Betäubungsmittelrezepte und dazu auch keine ausreichende Erfahrung in rechtlichen Rahmenbedingungen der Symptomkontrolle und des Sterben-Zulassens und ganz besonders keine ausreichende Befähigung aus palliativmedizinisch fachlicher Sicht in Symptomkontrolle bis zum Lebensende.
  • Im Krisenfall steht kein qualifizierter Ansprechpartner zur Verfügung.
  • Es findet kein regelhaftes Angebot für die Reflexion und Supervision statt.
  • Muss der ärztliche Notdienst gerufen werden, wird die Patientin bzw. der Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Krankenhaus eingewiesen.

Die wichtigsten ad-hoc-Forderungen für die Verbesserung der medizinischen Versorgung von Corona-Patienten in Pflegeeinrichtungen sind:

  1. Rechtskonforme Möglichkeit, einen Pool an Notfallmedikamenten mit Betäubungsmitteln und nicht-BtM vorzuhalten.
  2. Patientenverfügungen aktiv bewerben und in Kurzform am Bewohnerbett verfügbar machen, damit Behandlungswünsche für den Notfall bekannt sind.

Beides gemeinsam würde die Versorgungssicherheit und Leidminderung wesentlich verbessern.

Kooperationen tun Not

Die enge Zusammenarbeit der behandelnden Hausärzte mit Einrichtungen und Behörden ist unerlässlich. Kommt es zu einer Infektionswelle in einer Pflegeeinrichtung, so haben die betroffenen Bewohner in der Regel eine große Zahl verschiedener Hausärzte. Würden diese die Bewohner im Fall der Erkrankung mit hohem Fieber, respiratorischer Insuffizienz usw. täglich visitieren, stiege das Risiko einer Infektionsverbreitung deutlich an.

Sinnvoll ist dann ein einrichtungsbezogener Arzt, wie es vom Gesundheitsamt angeordnet werden kann. Dieser visitiert alle Patienten und arbeitet den Hausärzten zu. Die Hausärzte beraten weiterhin telemedizinisch und vermitteln als Lotsen und Kümmerer zwischen Angehörigen, Einrichtungen usw.

Technisch und rechtlich sind ein sicheres Medikamentenmanagement mit Vorhaltung notwendiger Medikamente für die Palliativversorgung zwingend notwendig. Teils unübliche Medikamente zur Symptomkontrolle führen in Pflegeeinrichtungen zu einem großen Zugewinn an Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und größerer Handlungskompetenz.

Wissen über die natürlichen Vorgänge der letzten Lebensphase muss besser verankert werden. Dieses ist gerade jetzt in der Krise notwendig und unter anderem durch kurze und prägnante Online-Schulungen möglich.

Zu den üblichen Ursachen von unvermeidbaren Einweisungen gehören Atemnot, die Folgen schwerer Stürze bei palliativen wie nicht palliativen Bewohnern, Nierenversagen, Infektionen wie Pneumonien und zerebrale Ischämien, wenn eine weitere Lebenserhaltung oder -verlängerung noch gewünscht wird, nicht jedoch bei fehlendem Behandlungswillen der Bewohner.

Eine stationäre Einweisung eines Hochbetagten bei SARS-CoV-2-Pneumonie zur Intensivtherapie führt fast immer zu Überversorgung und vermeidbarem Leid, da die Sterblichkeit dann selbst unter der Intensivtherapie extrem ist.

Die bessere Schulung des Personals kann dabei die Einschätzung von Krisensituationen bei allen Bewohnern deutlich verbessern.

In Sondierungsgesprächen von Studien und Projekten der jüngeren Zeit wurde stets ein sehr hoher Beratungs- und Unterstützungsbedarf von allen Mitarbeitern gesehen. Dies zieht sich als roter Faden durch wirklich alle Berufsgruppen und Tätigkeitsfelder. Hier sind kluge Lösungen gefordert, beispielsweise in Form von 24/7-Expertenhotlines für Pflegende und Ärzte!

Patientenwillen statt Triage: Verfügung und Palliativ-Ampel

Gängige Patientenverfügungen berücksichtigen Situationen von relativer Todesnähe oder schwersten kognitiven Dysfunktionen, nicht aber Situationen wie eine vermutlich häufig tödliche SARS-CoV-2-Pneumonie bei Hochaltrigen. Die Deutsche PalliativStiftung hat deswegen die Vorlage ihrer Patientenverfügung in zwei wesentlichen Punkten ergänzt. Einerseits gibt es die ausdrückliche Option zu verfügen, dass sie gerade auch schon in der jetzigen Situation gelten soll. Andererseits gibt es die konkrete Entscheidungsoption, dass keinerlei Klinikeinweisungen mehr gewünscht sind.

Unabhängig von Corona, aber auf SARS-CoV-2-Pneumonie bei Hochaltrigen exzellent anwendbar, wurde ein eigenes Ampelsystem mit den beteiligten Einrichtungen entwickelt, das in Notsituationen erlaubt, auch bei den den Beteiligten relativ unbekannten Bewohnern doch schnell und effektiv die Hilfe und die Maßnahmen zukommen zu lassen, die diese wünschen.

Ampeln haben eindeutigen Symbolcharakter. Rot bedeutet „Halt“, grün „Freie Fahrt“. Wobei jedem Führerscheininhaber klar sein sollte, dass man auch bei Grün darauf achten muss, dass kein anderer widerrechtlich die Vorfahrt nimmt und es zu einem für sich schuldlosen Unfall kommen kann.

Im Notfall kann man bei jedem auch unbekannten Patienten auf einen Blick die notwendigen, bzw. erwünschten Erstmaßnahmen erfassen. Von Grün für Freie Fahrt oder „Volles Programm“ über Gelb, „erst Handeln, dann schnell orientieren“, was gewünscht ist, bis Rot „Keine Klinikeinweisung, Ziel ist die reine Linderung“.

Dr. jur. utr. Carsten Schütz, Direktor des Sozialgerichts Fulda und Stiftungsrat der Deutschen PalliativStiftung

Dr. med. Thomas Sitte, Palliativmediziner für Kinder und Erwachsene, Vorstandsvorsitzender der Deutschen PalliativStiftung. Er versorgt hochaltrige SARS-CoV-2-Infizierte sowohl in Pflegeheimen als auch zu Hause.

Kontakt zu den Autoren: E-Mail: thomas.sitte@me.com

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