Die Klage gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die auf ihrer Praxiswebsite darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt, setzte in Deutschland erneut eine gesellschaftliche und politische Diskussion zum § 219a StGB in Gang.1 Die Verurteilung von Frau Hänel zu einer Geldstrafe machte einmal mehr deutlich, dass die Informations- und Aufklärungspflicht von Ärztinnen und Ärzten zum Schwangerschaftsabbruch (wie auch die Informationsmöglichkeiten von Frauen) durch das Gesetz erschwert werden. Die Diskussion zeigte außerdem: Im Bereich der ärztlichen Versorgung zum Schwangerschaftsabbruch besteht in vielen Regionen eine dramatische Unterversorgung.

Geregelt ist die Versorgung zum Abbruch durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG). Es sieht in § 13, Absatz 2, vor, dass die Länder ein ausreichendes Angebot an ambulanten und stationären Einrichtungen sicherstellen müssen. Ein Monitoringsystem, welches die Versorgungssituation systematisch erfasst und analysiert, ist jedoch in fast keinem Bundesland installiert. Laut Statistischem Bundesamt ist bundesweit die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die nach geltendem Recht Abbrüche durchführen, in den vergangenen zehn Jahren um 40 Prozent gesunken.

Für die Situation in Hessen sind daher keine validen Daten verfügbar. Die Befragung hessischer Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen ermöglicht jedoch Aussagen zur Versorgungsdichte. Demnach ist einzig den Regionen Frankfurt, Offenbach, Wiesbaden und Kassel ein funktionierendes Versorgungssystem zu attestieren, das heißt, nur hier gibt es eine ausreichende Zahl an Einrichtungen, die Abbrüche vornehmen, sowie die Möglichkeit für Frauen, sich zwischen einem medikamentösen und einem instrumentellen Abbruch zu entscheiden. Bereits in ballungsraumnahen Regionen wie Darmstadt-Dieburg, Limburg, Gießen und Marburg ist die Versorgung von einzelnen Anbietern abhängig. Hier ist das Angebot überhaupt, aber auch die Möglichkeit, die Methode frei zu wählen, überaus fragil. Beides kann in Abhängigkeit vom Anbieter von einem auf den anderen Tag wegfallen.

Als komplett unzureichend muss die Versorgung in vielen ost- und nordhessischen Landkreisen bewertet werden, so etwa in den Regionen Fulda, Vogelsberg, Schwalm-Eder, Werra-Meißner und Waldeck-Frankenberg, in denen es praktisch keine Versorgung für Frauen gibt, einen Abbruch durchführen zu lassen. Für Frauen, die in diesen Regionen leben, folgt daraus ein sehr hoher organisatorischer und zeitlicher Aufwand, häufig verbunden mit hohen Kosten, wenn sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden und für die Behandlung bis zu 100 Kilometer Anreise auf sich nehmen müssen. Die Wahlmöglichkeit für die individuell schonendste und präferierte Abbruchmethode ist zudem an vielen Orten nicht gegeben. In den meisten europäischen Nachbarländern ist dies eine Selbstverständlichkeit.

Die wichtigste Ursache für die beobachteten Versorgungslücken scheint die abnehmende Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten zu sein, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Woran liegt das?

  • Kriminalisierung: Beim Schwangerschaftsabbruch bewegen sich Ärzte unmittelbar unter Beobachtung des Strafgesetzes und sehen sich zunehmend einer Kriminalisierung und Stigmatisierung ausgesetzt. Daneben führt der § 219a StGB dazu, dass Ärztinnen und Ärzte von Abtreibungsgegnern systematisch mit Strafanzeigen überzogen werden, wenn sie fachliche Informationen zum Abbruch bereitstellen. Die Novellierung des § 219a StGB im Februar 2019 hat die Situation eher verschärft.
  • Fehlende Förderung der Ausbildung und des Nachwuchses: Der Schwangerschaftsabbruch ist nur unzureichend in die medizinische Aus-, Fort- und Weiterbildung implementiert, verbindliche Leitlinien als Instrument der Qualitätssicherung sind nicht verfügbar. Es gibt keine zertifizierten Fortbildungen, und die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu Schwangerschaftsabbruchmethoden wird in der zuständigen Fachgesellschaft kaum geführt. Viele der Ärztinnen und Ärzte, die in der Abbruchversorgung tätig sind, werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Schon jetzt wird die Tätigkeit von einigen auch nach Eintritt ins Rentenalter weitergeführt, um die medizinische Versorgung zum Abbruch in der Region aufrechtzuerhalten. Konfessionelle Krankenhäuser lehnen die Durchführung von Abbrüchen zumeist ab und bilden dazu nicht aus, auch wenn sie in anderen medizinischen Bereichen einen gesetzlichen Versorgungsauftrag erfüllen. Durch den Versorgungsmangel wächst der Druck auf diejenigen, die Abbrüche durchführen.
  • Die Regelungen zum Abbruch sind kompliziert und nicht evidenzbasiert: Die WHO hält die obligatorischen Beratung und dreitägigen Wartezeit zwischen Beratung und Abbruch in Deutschland für nicht notwendig, die UN mahnt daher wiederholt die Aufhebung der Regelungen an.
  • Die Vergütung von Schwangerschaftsabbrüchen gilt als kaum kostendeckend, besonders nach einer Umverteilung der Honorare im EBM 2020 zugunsten der Anästhesie.

Um der kritischen Versorgung zu begegnen, wären die Implementierung transparenter Versorgungsangebote und -strukturen sowie eine Behandlungsqualität nach evidenzbasierten Standards erste Schritte, um Entlastung für Frauen, Ärztinnen und Ärzte sowie Beratende zu erreichen.

Dr. med. Ines Thonke, M.Sc.

Christiane von Rauch, Fachärztin für Allgemeinmedizin

Kontakt per E-Mail via: haebl@laekh.de

1 § 219a StGB: § 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft