Berufsgruppen-übergreifende Herausforderungen in der Pandemie 2020

PD Dr. med. Lutz Ph. Breitling, PD Dr. med. Christian Keller, Prof. Dr. med. Stephan Becker, Dr. med. Andreas Jerrentrup, Dr. med. Björn Beutel, Prof. Dr. med. Dipl.-Umw. Frank Günther, Prof. Dr. med. Thomas M. Gress

Einleitung

Die weltweite Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 begann Ende 2019 in Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei [1]. Die Erkrankung verläuft asymptomatisch bis tödlich. In Deutschland bedürfen etwa 10 % der gemeldeten Fälle einer stationären Versorgung [2].

Die Integration der Versorgung von Patienten mit SARS-CoV-2 in den Klinikalltag stellt eine große und ausgesprochen interdisziplinäre Herausforderung dar. Ein erster Leitfaden zur Intensivtherapie wurde frühzeitig formuliert [3]. Im Folgenden werden Erfahrungen aus dem Normalstationsmanagement beschrieben und zur Diskussion gestellt.

Virusnachweis und Differentialdiagnostik

In den ersten Wochen der SARS-CoV-2-Ausbreitung in Deutschland war mit Hilfe weniger Fragen nach Risikokontakten und Reisen nach China/Hubei, Norditalien oder Tirol eine recht spezifische Triage von SARS-CoV-2-Verdachtspatienten möglich. Da jedoch rasch Fälle mit unklarer Infektionsquelle auftraten, musste der Verdacht auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion in der Zentralen Notaufnahme zunehmend großzügig gestellt werden. Bis zum Ausschluss einer Infektion notwendige Hygiene- und Isolationsmaßnahmen erhöhen den Versorgungsaufwand und können Diagnostik und Therapie SARS-CoV-2-unabhängiger Erkrankungen deutlich verzögern. Es wird eine ständige Herausforderung bleiben, die Screening-Algorithmen jeweils an Veränderungen in der regionalen SARS-CoV-2-Situation anzupassen.

Bei Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion erfolgt der Versuch des Erregernachweises. Am Institut für Virologie der Philipps-Universität Marburg wurden hierfür seit Januar 2020 verschiedene PCRs etabliert und verglichen, bevor kommerzielle Verfahren verfügbar waren. Als Untersuchungsmaterial dient primär der tiefe Nasenrachen-Abstrich mit flexiblem Tupfer. Die begrenzten Daten zur Virusdynamik lassen vermuten, dass diese Methode in der ersten Erkrankungswoche einen guten Kompromiss zwischen Nachweisempfindlichkeit, Aufwand und Belastung der Patienten darstellt [4, 5]. In der praktischen Anwendung wichtig ist eine ausreichende Schulung des abstreichenden Personals, um die korrekte Durchführung und adäquate Präanalytik sicherzustellen. Im Verlauf der Pandemie wurde deutlich, dass der Erregernachweis ab der zweiten Krankheitswoche bei einigen Patienten nur in tiefen Atemwegsmaterialien gelingt.

Neben dem Virusnachweis sollte auch eine initiale Differentialdiagnostik bereits in der Notaufnahme angestrebt werden. Hierdurch werden spätere Patiententransporte und somit Infektionsgefahren vermieden. Neben der internistischen Untersuchung mit EKG und üblichem Aufnahmelabor inklusive Herzinsuffizienzmarker und Procalcitonin sollten erfolgen:

  • großzügige Indikationsstellung zum hochauflösenden low-dose-Thorax-CT,
  • Entnahme von mindestens zwei Paar Blutkulturen,
  • Legionellen-Antigen im Urin,
  • Urinstatus und Urinkultur,
  • mikrobiologische Stuhluntersuchung (bei Durchfällen),
  • Abdomen-Sonographie,
  • Sauerstoffsättigung.

In der Notaufnahme sollte in jedem Fall bewusst die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Lungenembolie evaluiert werden, damit gegebenenfalls ein Kontrastmittel-CT erfolgen kann. Hierbei ist die Aussagekraft eines CT ohne Kontrastmittel bezüglich Zeichen einer viralen Pneumonie allerdings deutlich besser.

Wenn der Nasenrachen-Abstrich negativ bleibt, eine SARS-CoV-2-Erkrankung jedoch weiter vermutet wird, scheint es empfehlenswert, den zweiten Nachweis in provoziertem Sputum oder abgesaugtem Bronchialsekret zu versuchen, insbesondere ab der zweiten Erkrankungswoche. Eine bronchoalveoläre Lavage erreicht vermutlich eine noch höhere Sensitivität [5], sollte aufgrund der Invasivität aber nur in Einzelfällen angestrebt werden.

Ein weiter fortbestehender Verdacht ergibt sich zumeist aus den radiologischen Befunden. Die Befundinterpretation muss immer die aktuelle epidemiologische Lage berücksichtigen [6,7]. Auch sollte in dieser Situation nach alternativen viralen Erregern gefahndet werden. So diagnostizierten wir in den vergangenen Wochen unter anderem Pneumonien durch Influenzaviren, Respiratorisches Synzytial-Virus sowie Humanes Metapneumovirus.

Die Testung auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 hat sich zur Diagnosestellung im Klinikalltag bislang nicht bewährt. In der ersten Krankheitswoche fallen die meisten serologischen Tests noch negativ aus, und die Interpretation wird durch falsch-positive Ergebnisse erschwert. In der Spätphase können serologische Verfahren aber die Diagnose stützen.

Behandlung und Monitoring

Die Therapie der SARS-CoV-2-Infektion ist bislang supportiv. Im Vordergrund steht die bedarfsweise Sauerstoffgabe. In Ermangelung spezifischer Evidenz scheinen konservative Sättigungsziele von > 94 % bei Lungengesunden sowie > 90 % bei Vorliegen einer COPD sinnvoll [8]. Das Volumenmanagement sollte eher restriktiv gehandhabt werden [3]. Da inzwischen gezeigt werden konnte, dass die SARS-CoV-2-Erkrankung zu einer Gerinnungsaktivierung und vermehrt zu thromboembolischen Ereignissen führen kann, sollte die Indikation zur Thromboseprophylaxe bzw. Antikoagulation großzügig gestellt werden [9], gegebenenfalls auch über die Zeit der Hospitalisierung hinaus.

Zum laborchemischen Monitoring hat sich ein herkömmliches Routinelabor bewährt (siehe Abb. 1)

.

Abb. 1: Verlauf ausgewählter Laborparameter bei fünf SARS-CoV-2-Patienten auf Normalstation. Blau und violett: verhältnismäßig unauffällige Werte bei zwei initial stabilen Patienten, die kurz darauf invasiv beatmet werden mussten.

Dieses sollte regelmäßig um Procalcitonin und kardiale Marker ergänzt werden, um Superinfektionen beziehungsweise kardiovaskuläre Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Bei Diabetes erfolgt regelmäßig ein Blutzuckertagesprofil. Weitere Laborparameter, die sich zur Verlaufsbeurteilung als hilfreich erwiesen haben, da Korrelationen zum Schweregrad der SARS-CoV-2-Erkrankung erkennbar waren, sind LDH, Ferritin, IL-6 sowie D-Dimere. Letztere werden als Ausdruck eines erhöhten Thromboserisikos gewertet [10].

Nach eigenen Erfahrungen kommt es bei etwa 10 % der SARS-CoV-2-Patienten auf Normalstation im Verlauf zur Intensivpflichtigkeit. Ein engmaschiges klinisches Monitoring mit Erhebung und Dokumentation der Vitalparameter einschließlich Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz mindestens dreimal täglich stellt die wichtigste Maßnahme zur rechtzeitigen Erkennung einer Verschlechterung dar. Kostengünstige Fingeroxymeter können im Patientenzimmer verbleiben und die Umsetzung sehr erleichtern. Der 30-Meter-Gehtest (Messung des Abfalls der Sauerstoffsättigung nach 30m Gehen) ist hilfreich, um die klinische Stabilität bzw. Entlassbarkeit zu beurteilen.

Persönliche Schutzausrüstung

Die empfohlenen Hygienemaßnahmen bei SARS-CoV-2-Patienten und Verdachtsfällen unterscheiden sich nicht grundlegend von anderen aerogen übertragbaren Atemwegsinfektionen. Die beispiellose Dynamik der SARS-CoV-2-Ausbreitung führte jedoch selbst in relativ wenig betroffenen Gebieten zu Engpässen in der Versorgung insbesondere mit FFP2-Masken. Mehrere Mechanismen wurden zur Senkung des Ressourcenverbrauchs etabliert:

  • FFP2-Masken werden bereichsweise zentral gelagert und von einer Leitungsperson dokumentiert ausgegeben,
  • vorbehaltlich Durchfeuchtung und Beschädigung werden FFP2-Masken mehrfach verwendet,
  • durch zusätzliche Benutzung desinfizierbarer Vollgesichtsvisiere, die die FFP2-Masken überdecken, kann eine FFP2-Maske auch in verschiedenen Patientenzimmern benutzt werden (siehe Abb. 2).

Die richtige Verwendung, insbesondere das kontaminationsfreie An- und Ablegen der Schutzausrüstung wurde mit Hilfe von Schulungsvideos klinikumsweit vermittelt.

Entscheidungen und Anweisungen in diesem Bereich müssen sorgfältig kommuniziert werden, um Verunsicherung beim Personal zu vermeiden. Mit steigender Verfügbarkeit wurde die Verwendung von Atemschutzmasken sukzessive auf weitere Risikobereiche und -tätigkeiten mit intensivem Patientenkontakt ausgeweitet. Somit konnte das Sicherheitsniveau der Mitarbeiter auch bei primär unbekannten Expositionsrisiken zusätzlich erhöht werden.

Entlass- und Verlegungsmanagement

Das Vorgehen bei Entlassung klinisch stabiler Patienten mit SARS-CoV-2-Nachweis orientiert sich an den jeweils geltenden Vorgaben des Robert-Koch-Instituts. Die enge Abstimmung mit dem zuständigen Gesundheitsamt ist vordringlich, eine mindestens tägliche Besprechung der hospitalisierten Patienten hat sich bewährt. So können auch oft notwendige Einzelfallentscheidungen zeitgerecht erfolgen.

Die Verlegung auf Nicht-Isolationsstationen sollte – bei ausreichenden Kapazitäten – nur nach SARS-CoV-2-Ausschluss notwendig sein. Dabei können PCRs von respiratorischen Abstrichen bis zu 6 Wochen nach Beginn der Infektion positiv ausfallen und sind in dieser Konstellation als Normalbefund in der Rekonvaleszenz zu interpretieren. Negativ abgestrichene Patienten mit unauffälliger Radiologie, ohne Atemwegsbeschwerden und mit klarer Alternativdiagnose können ohne Isolation verlegt werden. Bei radiologischem Verdacht auf eine Viruspneumonie sollten mindestens zwei negative SARS-CoV-2-Testergebnisse dokumentiert werden. Es hat sich bewährt, in dieser Situation weiterhin krankenhauspflichtige Patienten routinemäßig für weitere drei Tage isoliert zu verlegen. So kann reibungslos auf eventuell ausstehende Befunde und den weiteren klinischen Verlauf reagiert werden.

Die Erfahrungen zeigen, dass die Beendigung von Virusdiagnostik und Isolationsmaßnahmen häufig interdisziplinäre Einzelfallentscheidungen erfordert. Dies kann andererseits auch bedeuten, dass in Zusammenschau aller typischen Befunde an der Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion festgehalten wird, auch wenn die Virusdiagnostik negativ bleibt.

Fazit

Das Management von Patienten mit SARS-CoV-2 auf der Normalstation bedarf insbesondere ausreichender pflegerischer Kapazitäten. Ein kliniknahes virologisches Labor verbessert die Abläufe in der Patientenversorgung signifikant. Es fehlen verlässliche Prädiktoren für einen schweren Verlauf, so dass ein engmaschiges klinisches Monitoring unverzichtbar bleibt. Auch darf die Abklärung und Therapie von Begleiterkrankungen nicht vernachlässigt werden.

Die Differenzialdiagnose SARS-CoV-2 wird langfristig eine große Rolle spielen. Dies erfordert besonnenes Handeln aller Akteure im Gesundheitswesen, vor allem aber ein Fortbestehen des kooperativen Geistes, der sich in der gemeinsamen Pandemieerfahrung über Disziplinen und Berufsgruppen hinweg herausgebildet hat.

PD Dr. med. Lutz Ph. Breitling, Prof. Dr. med. Thomas M. Gress, Klinik für Gastroenterologie, Endokrinologie und Infektiologie

PD Dr. med. Christian Keller, Prof. Dr. med. Stephan Becker, Institut für Virologie

Dr. med. Andreas Jerrentrup, Zentrum für Notfallmedizin

Dr. med. Björn Beutel, Klinik für Pneumologie

Prof. Dr. med. Dipl.-Umw. Frank Günther, Krankenhaushygiene

Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg

Die Literaturhinweise finden Sie in der PDF-Version der aktuellen Ausgabe auf unserer Website unter https://www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/2020/juli-august-2020