„Wir müssen digital dazulernen“

Ein Stück Italien in Frankfurt: Die 1966 in Frankfurt am Main aus privater Initiative gegründete Deutsch-Italienische Vereinigung e.V. (DIV) sieht ihre Aufgabe darin, die „kulturellen, wissenschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Italien zu fördern und zu vertiefen“. Neben italienischen Sprachkursen zählen Vorträge über deutsche und italienische Themen, Lesungen und Konzerte zum Programmangebot. Außerdem gibt die DIV die von der Frankfurter „Italienstiftung“ maßgeblich geförderte Zeitschrift Italienisch heraus. Die der Vereinigung angeschlossene Frankfurter Westend Galerie zeigt Ausstellungen italienischer Künstler sowie deutscher Künstler mit einer engen Verbindung zu Italien. Mit Dr. Caroline Lüderssen, Vorstandsvorsitzender der DIV, haben wir über die Herausforderungen der freien Kultureinrichtung in Zeiten von Corona gesprochen.

Nach wie vor hält Corona die Welt in Atem. In Europa ist Italien eines der bisher am schlimmsten von der Pandemie betroffenen Länder. Die Deutsch-Italienische Vereinigung steht in engem Kontakt mit italienischen Künstlern und Kulturschaffenden. Wie haben Sie den Beginn der Krise erlebt?

Dr. Caroline Lüderssen: Sozusagen hautnah: Eigentlich wollte die Deutsch-Italienische Vereinigung in diesem Jahr das 50-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft zwischen Mailand und Frankfurt mit Veranstaltungen und Ausstellungen feiern. Da wir ein Austauschprojekt zwischen der Accademia di Belle Arti di Brera (dt. Akademie der Schönen Künste) in Mailand und der Frankfurter Städelschule angeregt hatten, flogen Barbara Thurau, Kuratorin der Westend Galerie, und ich am 22. Februar nach Mailand, um uns u.a. mit dem deutschen Generalkonsul und italienischen Künstlern zu treffen. Nach der Landung wurden wir noch am Flughafen auf Fieber getestet.

Am nächsten Tag dann, am 23. Februar, kam, für uns völlig unerwartet, der erste Lockdown in Italien. Nach dem Corona-Ausbruch in Codogno wurden mehrere Städte in der Lombardei und Venetien abgeriegelt. Hätten wir das vorher geahnt, wären wir natürlich nicht nach Italien geflogen, so aber bekamen wir das Geschehen unmittelbar mir. Mit einem Mal war Mailand von der Angst vor dem Virus geprägt. Wir sind weder mit Taxi noch der U-Bahn gefahren und haben alle Wege zu Fuß gemacht. Auch die Termine vor Ort fanden unter veränderten Bedingungen statt. Als wir dann am 24. Februar wieder in Frankfurt landeten, waren wir verblüfft, dass die Gefahr hier ganz weit weg schien: Es gab keine Quarantäne, rein gar nichts.

Wie wirkte sich die weitere Entwicklung auf die Arbeit der Deutsch-Italienischen Vereinigung aus?

Lüderssen: Nach Mailand waren wir alarmiert; dennoch haben wir die Sprachkurse zunächst beginnen lassen. Als die Lage im März aber auch hier zunehmend dramatisch wurde und die Nervosität der Teilnehmer wuchs, hatte ich den Eindruck, die Fortführung der Kurse nicht mehr verantworten zu können. Am 14. März hatten wir noch eine Ausstellung mit wenigen Besuchern eröffnet, um sie am 18., dem Start des Lockdowns, gleich wieder zu schließen. Gleichzeitig unterbrachen wir die Kurse, sagten unsere Mitgliederversammlung ab und schlossen die Vereinigung anschließend für vier Wochen. Wir hatten Sorge, wie diese Entscheidungen aufgenommen würden, aber sie stießen bei allen – Mitgliedern und externen Kursbesuchern gleichermaßen – auf große Akzeptanz und solidarische Unterstützung.

Wie sah die Situation nach der Schließung aus?

Lüderssen: Plötzlich war das Haus ganz still, nur ich kam täglich, da das Administrative weiterlaufen musste. Unsere Mitarbeiterinnen – eine Festangestellte und vier Minijobber – waren im Homeoffice und wir mussten Kurzarbeit beantragen.

Kamen in dieser Zeit alle Aktivitäten der Vereinigung zum Erliegen?

Lüderssen: Nein, nicht ganz. Wir haben versucht, unsere Mitglieder auf andere Weise zu erreichen und auch in der Pandemie eine Begegnungsstätte zwischen Deutschen und Italienern zu bleiben. So haben wir im März die Ausstellung „Leonardo Gambini / Reminiscenze“ virtuell über unsere Website zugänglich gemacht, außerdem Videos italienischer Künstler und kreative Arbeiten unserer Mitglieder online gestellt.

Eine zentrale Rolle nahm und nimmt unser Newsletter „L`arte non si ferma“ (dt. Kunst steht nicht still) ein. Darin berichten wir, wie italienische Künstlerinnen und Künstler während des Lockdowns arbeiteten oder auch teilweise nicht arbeiten konnten. Die ganze Zeit über haben wir sehr, sehr engen Kontakt zu ihnen gehalten und via Mail, Skype oder Telefon Bewegendes miterlebt. In Italien ging ja gar nichts mehr; an gemeinsame Aktionen – Veranstaltungen und Ausstellungen – war überhaupt nicht zu denken. Dass gleichzeitig in den Medien von einer Abkühlung des deutsch-italienischen Verhältnisses die Rede war, hat uns betroffen gemacht.

Hat sich das Deutschlandbild der Italiener und umgekehrt das Bild der Deutschen von Italien tatsächlich in der Krise gewandelt?

Lüderssen: So haben wir es nicht erlebt, weder bei unseren italienischen noch bei unseren deutschen Freunden, Bekannten oder Kollegen. Ein Problem war allerdings, dass Medien in Italien und Deutschland wechselseitig negativ berichtet hatten. Für uns war die Stimmungsmache auf beiden Seiten äußerst schmerzhaft, denn das deutsch-italienische Verhältnis ist unser Thema. Erfreulicherweise scheint sich die Stimmung zwischen beiden Ländern wieder gebessert zu haben.

Wie können Sie die Funktion der Deutsch -Italienischen Vereinigung als Begegnungsstätte in Zeiten von Abstandsregeln und Angst vor Ansteckung aufrechterhalten?

Lüderssen: Die Idee der Begegnung ist unter den aktuellen Bedingungen tatsächlich nicht einfach umzusetzen. Nicht nur, weil so viele Veranstaltungen abgesagt, oder – wie der Austausch zwischen Städelschule und Accademia di Brera sowie die damit verbundene Ausstellung im Frankfurter Museum Giersch – auf 2021 verschoben werden mussten, sondern auch wegen der Neuorganisation der Sprachkurse. Wir bieten diese seit dem 4. Mai wieder an, und zwar in stark verkleinerten Gruppen von maximal 5 Personen oder online via Zoom. Bei 120 Schülern eine organisatorische Herausforderung. Diejenigen, die kommen, sind glücklich, wieder hier zu sein, und das ist schön, denn es geht bei uns ja um Begegnung. Wir sind optimistisch, im September die Ausstellung von Manuela Toselli – „Albero del sale - Baum der Wüste“– eröffnen zu können.

Welche Rolle spielen digitale Möglichkeiten für die weiteren Planungen?

Lüderssen: Die Digitalisierung – Videokonferenzen, Streaming von Vorträgen etc.– ist für uns auf jeden Fall ein Thema, auch wenn sie die persönlichen Kontakte nicht ersetzen kann. Sehr gefreut haben wir uns, dass unserem Antrag auf Soforthilfe stattgegeben wurde. Die vor uns liegende Sommerzeit werden wir für die Programmplanung und die Entwicklung neuer Formate für Unterricht und Veranstaltungen nutzen. Ich würde nie sagen, dass die Krise eine Chance ist, aber sie hat uns gezeigt, dass wir als kulturvermittelnder Verein digital dazulernen müssen. Informationen unter https://www.div-web.de/

Interview: Katja Möhrle