Flexible Arbeitszeitmodelle werden immer wichtiger, nicht nur angesichts der aktuellen Lage. Auch schon in den Jahren davor zeichnet sich eine zunehmende Flexibilisierung ab. Wer bei der Dauer und Verteilung seiner Arbeitszeit mitbestimmen kann, arbeitet oft motivierter und damit auch produktiver. Insofern müssen Unternehmen Arbeitszeiten anbieten, die den Menschen eine individuelle Lebensgestaltung und größere Zeitautonomie ermöglichen.

Arbeitsverdichtung und Überlastung sind gerade in Kliniken oft an der Tagesordnung. Aber es gibt sie – die positiven Gegenbeispiele: Best-Practice-Arbeits-(zeit)-modelle in Klinik und Praxis, die es Ärztinnen und Ärzten erlauben, Berufstätigkeit und Privatleben besser miteinander zu vereinbaren. Modelle, die Teilzeit oder flexible Arbeitszeiten ermöglichen und ausreichend Zeit für die Zuwendung zum Patienten bieten.

Wir stellen drei Beispiele vor:

Es berichten Ann-Christin Vielwerth (S. 418–419), Dr. med. Rainer Mathias Dunkel (S. 420–421) und Dr. med. Felix Hoffmann (S. 422).

„Es ist eine Investition in die Zukunft, wenn die Mitarbeiter positiv gestimmt sind“

Ann-Christin Vielwerth ist seit März 2018 Ärztin in Weiterbildung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Vitos Klinik Riedstadt. Sie ist zwischenzeitlich Mutter von Zwillingen geworden und berichtet über ein Arbeitszeitmodell, das ihr sowie ihren Kolleginnen und Kollegen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht: Bedingungen, die auch in der aktuellen Krisensituation auf die Mitarbeiterinnen angepasst werden.

Frau Vielwerth, was für ein Arbeitszeitmodell haben Sie und wie ist es dazu gekommen?

Ann-Christin Vielwerth: Begonnen habe ich im März 2018 in Vollzeit. Für mich war schon immer klar, dass ich nicht bis zum Facharzt warten möchte, bis ich Familie habe. Deshalb war mir bei der Wahl des Arbeitgebers wichtig, dass auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie Wert gelegt und ein flexibles Arbeitszeitmodell ermöglicht wird. Bei meinen Kollegen konnte ich bereits sehen, dass genau dies möglich ist. Mit unserer Klinikdirektorin konnten sie individuelle Vereinbarungen treffen, je nachdem ob sie morgens z. B. noch Kinder in Betreuung geben mussten, alleinerziehend waren oder noch Zeit für die Weiterbildung benötigten. Da wird wirklich viel möglich gemacht. Als ich dann in Mutterschutz und anschließender Elternzeit war, hatte ich währenddessen verschiedene Gespräche, in denen ich Wünsche bezüglich meines Wiedereinstieges äußern konnte. Ich kommunizierte, dass ich natürlich auf jeden Fall wiederkommen möchte, aber in Teilzeit, am liebsten mit 60 Prozent. Ich musste meine Elternzeit dann auch nochmal um zwei Monate verlängern, weil wir erst später als geplant einen Betreuungsplatz bekamen. Auch das war vollkommen ok.

Vor Arbeitsbeginn teilte ich nach Rücksprache mit den Kollegen und Kolleginnen meiner zugeteilten Station unserer Klinikdirektorin die Arbeitszeiten so mit, wie ich sie mir vorstellte, und genau so wurde das dann auch akzeptiert. Ich arbeite seitdem montags und dienstags bis 14 Uhr, mittwochs bis 12 Uhr und donnerstags bis 16:30 Uhr. Freitags habe ich frei.

Da Elternarbeit ein essenzieller Bestandteil unserer Arbeit ist, ist es schon wichtig, dass man es zumindest einmal in der Woche möglich macht, auch am späten Nachmittag zu arbeiten, weil viele Elterngespräche eben dann stattfinden. Ich wechsle mich mit der Abholung unserer Kinder von der Kita mit meinem Mann ab. An meinem langen Tag übernimmt er die Kinder. Ich finde, es ist wichtig, einen Partner zu haben, der unterstützen kann.

Wie wird bei Ihnen mit dem Thema Überstunden umgegangen?

Vielwerth: Seit Herbst 2019 haben wir in der Klinik auch elektronische Zeiterfassung. Das macht vieles einfacher, weil nun wirklich die tatsächliche Zeit auf der Arbeit erfasst wird. Nun haben wir den genauen Überblick über Plus-, aber auch Minusstunden, denn Überstunden kommen natürlich vor, können aber im Rahmen der Gleitzeit abgebaut werden. So kann man z. B. einen Gleittag beantragen oder man kommt mal später, wenn es z. B. mit den Kindern morgens wieder einmal länger dauern sollte. Gerade diese Option finde ich sehr gut, denn mit Zwillingen kann es morgens schon mal stressig werden. Hier wird den Mitarbeitern mit Kindern schon entgegengekommen. Es gab z. B. eine Kollegin, der es aufgrund der Kinderbetreuung und des Wohnortes nicht gelang, pünktlich um 8 Uhr in der Klinik zu sein. Um zu verhindern, dass sie deshalb die Klinik verlassen muss, wurde bereits vor Einführung der elektronischen Zeiterfassung und Gleitzeit gemeinsam mit der Klinikdirektorin ein individueller Plan entwickelt, der es ihr möglich machte, zu verschiedenen Zeiten ihre Arbeit zu beginnen und so Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.

Gibt es darüber hinaus noch weitere Möglichkeiten bei der Gestaltung der Arbeitszeit?

Vielwerth: Je nach Situation und momentaner Besetzung ist es auch möglich, dass man zeitweise Stunden reduziert. Das muss aber natürlich abgesprochen werden und hängt stark von der aktuellen Belegung ab. Wir haben z. B. Psychologen in Ausbildung oder kurz vor der Approbation, die sich vor ihrer Prüfung Lernzeit nehmen und danach dann die Stunden wieder aufstocken. Oder Ärzte in Weiterbildung, die kurz vor der Facharztprüfung stehen und hierfür extra Lernzeit benötigen. Unsere Klinikdirektorin vertritt die Devise, dass es eine Investition in die Zukunft ist, wenn die Mitarbeiter positiv gestimmt sind und man ihnen entgegenkommt. Das macht den Arbeitgeber attraktiv und sorgt für Mitarbeiterbindung. Sie bezeichnet unser Arbeitszeitmodell gerne als „Vorreitermodell“ und setzt sich auch vor der Personalabteilung für möglichst individuelle Modelle ihrer Mitarbeiter ein. Aus ihrer eigenen Weiterbildungszeit weiß sie nämlich noch, wie schwierig es sein kann, den Arbeitgeber von Teilzeitarbeit zu überzeugen.

Aber es scheint ja zu funktionieren, sonst würde sie das ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht möglich machen?

Vielwerth: Es funktioniert auf jeden Fall. Das elektronische Zeiterfassungssystem hat natürlich auch seine Schwächen, das kennt man ja. Da sollte man schon manchmal nachsehen, ob alles so korrekt ist oder etwas falsch erfasst wurde. Und dann gibt es noch verschiedene Rahmen- und Kernarbeitszeiten; wenn man diese nicht in vollem Umfang kennt, wundert man sich eventuell, warum man z. B. Minusstunden hat. Gerade die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist ein wunderbares Fach, mit dem Beruf und Familie vereinbar sind. In anderen Fachbereichen wie Chirurgie oder Innere sieht das oft ganz anders aus.

Gibt es Nachteile aus Ihrer Sicht?

Vielwerth: Wie wahrscheinlich in jedem anderen Fach auch stellen die Bereitschaftsdienste eine große Belastung dar. Das hängt jetzt nicht direkt mit diesem Arbeitszeitmodell zusammen. Es gibt einfach zu wenig Ärzte und zu viele Dienste, die gemacht werden müssen. Wenn das Team – wie bei uns – dann noch größtenteils aus Teilzeitkräften besteht, bleiben noch mehr Dienste übrig. Es wurden kürzlich aber auch neue Ärzte eingestellt und ich hoffe, dass sich die Situation dadurch demnächst entspannt. Die Vorteile des Teilzeitmodells überwiegen meiner Ansicht nach dennoch.

Nehmen denn sowohl Ärztinnen als auch Ärzte die Möglichkeit von Teilzeit wahr?

Vielwerth: Wir haben auch Männer in Teilzeit, aber generell ist bei uns der Frauenanteil höher. Wir haben einen Arzt in Teilzeit, der auch für ein Jahr Elternzeit genommen hatte.

In Zeiten von Corona: Wie hat sich die Arbeitssituation bei Ihnen verändert?

Vielwerth: Wir haben eine Station schließen müssen, unsere Tageskliniken sind geschlossen und die ambulanten Termine wurden auf Telefontermine umgestellt. Das ist natürlich etwas ungewöhnlich, aber man arrangiert sich. Wir haben gefühlt auch mehr Notaufnahmen gehabt in jüngster Zeit. Für viele junge psychisch kranke Menschen bricht durch den Corona-Shutdown ihr soziales Netz weg, was ihnen zuvor Halt gegeben hat. Die Arbeit ist schon fast doppelt so viel geworden, denn man betreut die Patienten am Telefon, die sonst so kommen würden, hat aber gleichzeitig die Patienten auf Station. Dann werden alle Neuaufnahmen vor Betreten der Stationen in einem Sichtungszimmer auf Infektionszeichen untersucht und je nach Anamnese gegebenenfalls isoliert. Wir Ärzte in Weiterbildung teilen uns für diese Zusatzaufgabe täglich ein. Für viele Patienten ist es schwierig, mit den neuen Regelungen umzugehen, insbesondere das Besuchsverbot macht einigen zu schaffen.

Und wie ist es mit der Betreuung ihrer eigenen Kindern derzeit gestellt?

Vielwerth: In der Anfangszeit der „Corona-Krise“ hatte ich noch keinen Anspruch auf Notbetreuung, weil nur ich als systemrelevant eingestuft bin, mein Mann aber nicht. Die ersten Wochen mussten wir dann so managen, haben aus der Familie Hilfe erhalten und abwechselnd Urlaub genommen. Dann wurde die Notbetreuung zum Glück ausgeweitet. Meine zwei Kinder sind die einzigen in der Kita, die darauf Anspruch haben, aber dadurch dass sie zu zweit sind, klappt es erstaunlich gut. Aber wir haben auch Kollegen, bei denen es nicht ganz so einfach ist. Hierfür konnten aber auch wieder in Absprache mit den Kollegen Regelungen gefunden werden, beispielsweise kommt eine Kollegin statt um 8 Uhr jetzt immer schon um 7 Uhr und geht dafür eine Stunde früher, weil sie sich mit ihrem Mann die Kinderbetreuung teilt. Auch in dieser Situation werden die Vorteile dieses Arbeitszeitmodells ganz deutlich.

Interview: Maren Grikscheit

„Wir müssen lernen, uns zu entschleunigen“ - Interview mit Dr. med. Rainer Mathias Dunkel

Im internationalen Vergleich arbeiten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland am meisten. Wie die Ergebnisse des International Health Policy (IHP) Survey von 2019 zeigen, sind 77,3 % der Ärzte hierzulande 45 Wochenstunden und mehr tätig. Dicht gefolgt von ihren französischen (72,9 %) und den norwegischen Kollegen (70, 5 %) Am anderen Ende der Skala stehen Neuseeland (28,3 %) und Australien mit 30 %. Hat die Diskrepanz historische, kulturelle oder soziologische Gründe? Darüber spricht Dr. med. Rainer Mathias Dunkel, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, im Interview und rät zur Entschleunigung des Alltags.

Liegt dem ärztlichen Arbeitseifer in Deutschland möglicherweise ein protestantisches Arbeitsethos zugrunde?

Dr. med. R. Mathias Dunkel: Ganz genau. Es geht um die protestantische Ethik, die einst von Max Weber in seinem gleichnamigen Werk beschrieben wurde und sich besonders in Deutschland und der Schweiz manifestierte. Weber hatte unter anderem die Steuerunterlagen in Baden-Württemberg untersucht und herausgefunden, dass das Steueraufkommen in protestantischen Gegenden besonders hoch war. Dort wurde ganz offensichtlich mehr als anderswo gearbeitet. Durch die Gegenreformation hat der Katholizismus allerdings schon früh aufgeholt.

Ein rigides Arbeitsethos ist jedoch nicht unbedingt ein deutsches, sondern vielmehr ein abendländisches Phänomen. Die Rückschau zeigt, dass Arbeit erst im 19. Jahrhundert „geadelt“ wurde. Seit der Antike war die Arbeit Sklaven und später Bauern und Arbeitern vorbehalten. Nachdem Marx in seinem Kommunistischen Manifest das Recht auf Arbeit postuliert hatte, kam es zu einem Quantensprung! Die nunmehr „geadelte“ Arbeit ergriff alle Schichten und Berufe, last but not least die Ärzte, die damit eine Aufwertung erfuhren. Mit zunehmender Professionalisierung des Arztberufs wurde die ärztliche Arbeit wertvoller, brachte Ansehen und Ehre – und wurde immer besser bezahlt.

Stehen Ehre und Bezahlung in konkretem Zusammenhang?

Dunkel: Das Wort Honorar geht auf honor, lateinisch für „Ehre“, zurück; je höher die Honorierung, umso höher die damit verbundene Ehre und desto höher der Ehrgeiz. Nebenbei gesagt: „Geiz“ gehörte früher übrigens zu den sieben Todsünden. Heute gilt der Ehrgeiz als Tugend, besonders auch im Arztberuf. Seit 1970 gibt es den Numerus Clausus in der Medizin. Ehrgeiz und Fleiß waren und sind bis heute wichtig, um zum Studium zugelassen zu werden und gute Arbeit zu leisten. Tiefenpsychologisch interpretiert haben viele Mediziner ein sehr strenges Gewissen. („Das Über-Ich, das Über-Ich, das kommt andauernd über mich!“) Der Arztberuf genießt hohes Ansehen. Auch die heutigen jungen Ärztinnen und Ärzte haben von vorneherein gelernt, gut Bescheid wissen zu müssen und ehrgeizig zu sein. Im Krankenhauswesen kommt es systemimmanent auf besondere Standfestigkeit und Leistung an.

Wie wirken sich der permanente Leistungsanspruch und Stress auf Ärztinnen und Ärzte aus?

Dunkel: Arbeitsverdichtung, Druck, fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben führen häufig zu Unzufriedenheit bis hin zu einem Gefühl des Ausgebranntseins. Gerade in der gegenwärtigen Corona-Pandemie merken wir, wie stark wir auf Arbeit fixiert sind. Dass viele Praxen und Kliniken in der Krise weniger Arbeit haben, ist eine neue Erfahrung. Wir müssen lernen, uns zu entschleunigen, ja sind jetzt dazu gezwungen. Darin liegt auch eine große Chance. Wir dürfen uns nicht dem massiven Effizienzdruck im Gesundheitswesen, vor allem in den Krankenhäusern, beugen.

Auch von Ärztevertretern werden immer wieder Arbeitszeitverkürzungen und flexiblere Arbeitszeitmodelle gefordert, aber die Forderungen lassen sich oft nur schwer umsetzen. Menschen sind mit ihrer Karriere beschäftigt, Arbeitgeber üben Druck aus und zeigen wenig Verständnis für den Wunsch nach flexibleren Arbeitszeitmodellen – in dieser Spirale befinden sich viele von uns. Mit weitreichenden Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit – von dem Kreuz mit dem Kreuz, also Rückenschmerzen, über das generalisierte myofasziale Schmerzsyndrom bis hin zu Suchterkrankungen, die als Psychosomatosen angesehen werden müssen.

Was raten Sie Kolleginnen und Kollegen, die aus diesem Räderwerk herauskommen wollen?

Dunkel: Heutzutage wird Arbeit als die zentrale Sinnstiftung des Lebens angesehen und zwischen Arbeits- und Freizeit unterschieden. Wichtig ist, Entschleunigung zu lernen. Wir müssen uns Zeit nehmen – für uns selbst, für Sport, kulturelle Interessen, Entspannungstraining, z. B. Meditation, Yoga oder Chi Gong. Dreh- und Angelpunkt für die ärztliche Tätigkeit ist eine gute Lebensbalance. Es geht darum, auf sich zu achten. Auch wegen der ständigen Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod brauchen Ärztinnen und Ärzte eine gute Begleitung, beispielsweise durch Balint-Gruppen oder Supervision. Bei ausgeprägter Beeinträchtigung sollte man psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.

Wie kann das gelingen?

Dunkel: Wenn es gelingt, die innere Haltung zur beruflichen Tätigkeit zu verändern, kann man zu mehr Zufriedenheit und Lebensqualität gelangen. Dabei geht es nicht notwendigerweise um weniger Berufstätigkeit, sondern um eine andere Einstellung und darum, nicht mehr streng zwischen Arbeit und Freizeit zu unterscheiden. Wichtig ist, mit Hilfe der eigenen Vorstellungskraft eine positive spielerischere Einstellung zu jeder Tätigkeit zu entwickeln. Dies bedeutet auch, Berufstätigkeit nicht länger als fremdbestimmt zu begreifen, sondern sich selbst zu motivieren. Wer sich zu seiner Tätigkeit berufen fühlt, weil er sich bewusst dafür entscheiden kann, ist zufriedener. Und wer seine Tätigkeiten spielerisch ausübt, der erfährt mehr Freude und Wohlbefinden im Privatleben und im Beruf.

Das macht es auch leichter, die eigenen Interessen gegenüber Vorgesetzten und Kollegen zu vertreten. Dies gilt sowohl für Klinikärzte als auch für Niedergelassene: Nicht nur nach Effizienzkriterien tätig sein, sondern mehr Pausen machen und mehr delegieren. Auch eine stärkere berufliche Kooperation zwischen somatisch und psychotherapeutisch tätigen Kolleginnen und Kollegen ist aus meiner Sicht sinnvoll – und wäre sowohl für Ärzte als auch für Patienten eine große Chance.

Leben und arbeiten Sie selbst nach diesen Grundsätzen?

Dunkel: Ich habe mich ein Leben lang verausgabt, mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen. Inzwischen habe ich jedoch gelernt, berufliche Tätigkeit und Entspannung in meinen Alltag zu integrieren. Meine Wohnung und Praxis sind miteinander verbunden, ich bin täglich sechs bis acht Stunden beruflich tätig, gehe spazieren und versuche mehr Ruhe in mein Dasein zu bringen. Damit lässt sich ganz gut leben. Trotz meiner bald 76 Jahre bin ich ziemlich fit.

Interview: Katja Möhrle

„Ich habe verschiedene berufliche Schwerpunkte“ - Dr. med. Felix Hoffmann arbeitet in drei Bundesländern

„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben“, zitiert Dr. med. Felix Hoffmann den Forschungsreisenden Alexander von Humboldt auf seiner Internetseite. Reisen haben den 39 Jahre alten Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin, schon rund um den Globus geführt. Auch sein berufliches Engagement verteilt sich auf drei Bundesländer: Hessen, Bremen und Nordrhein-Westfalen.

Sie sind bei Ihrem Arbeitgeber, dem Klinikum Darmstadt, in Teilzeit angestellt. Hatten Sie schon vorher Erfahrungen mit Teilzeitarbeit gesammelt?

Dr. med. Felix Hoffmann: Ich arbeite schon seit einigen Jahren in Teilzeit, da ich auf diese Weise Zeit für mich und andere Projekte gewinne, die mir wichtig sind. So hatte ich bereits während meiner Tätigkeit am BG Klinikum Duisburg, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, meine Arbeitszeit ein Jahr lang auf 75 % reduziert, um berufsbegleitend das Master-Studium „Medizinrecht“ an der Universität Münster absolvieren zu können. Nach beruflichen Stationen am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum und am Evangelischen Krankenhaus Mühlheim bin ich seit 2020 als Leiter der Stabsstelle „Medizinische Prozessentwicklung“ am Klinikum Darmstadt angestellt. Mit meinem Arbeitgeber habe ich vereinbart, wochenweise frei zu haben: Erst jede vierte Woche bei 75 % Teilzeit, aktuell arbeite ich 50 % und habe jede zweite Woche frei.

Warum haben Sie sich für diese Arbeitsform entschieden?

Hoffmann: Das liegt daran, dass ich verschiedene berufliche Schwerpunkte gesetzt habe. So bin ich am Darmstädter Klinikum tätig und habe außerdem zwei Lehraufträge. An der Apollon-Hochschule in Bremen betreue ich die medizinischen Module für Nicht-Mediziner. Am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum unterrichte ich das Wahlpflichtfach Gesundheitswesen im digitalen Wandel. Ein Thema, mit dem ich mich auch wissenschaftlich beschäftige, ist Digitalisierung in der medizinischen Lehre.

Wie gelingt es Ihnen, Ihre unterschiedlichen Tätigkeiten unter einen Hut zu bringen?

Hoffman: Ich arbeite und wohne abwechselnd eine Woche in Darmstadt und in Duisburg, ab Juni in Dortmund. Dass die Lehrtätigkeit größtenteils digital und vom Homeoffice aus erfolgt, ist gerade jetzt in Corona-Zeiten hilfreich. Als ich noch chirurgisch tätig war, ließ sich die Arbeitszeit durch das wochenweise Arbeiten auch reduzieren. Aber die Leitung der Stabsstelle Medizinische Prozessentwicklung in Darmstadt bietet dafür geeignetere Voraussetzungen. Ich habe die Stelle von vorneherein in Teilzeit angetreten; mein Arbeitgeber ist sehr kooperativ.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Strukturierung ärztlicher Arbeit? Schafft sie bessere Bedingungen für Teilzeitarbeit im Krankenhaus?

Hoffmann: Mein Blick gilt den Prozessen, die kaum von der IT trennbar sind. Hier gibt es eine große Schnittstelle. Die Arbeitsabläufe müssen 1:1 digital abgebildet werden; darin sehe ich ein bedeutendes Potenzial für neue Arbeitszeitmodelle. Dennoch wird man auch künftig individuell schauen müssen, ob sich eine Tätigkeit für Teilzeit eignet oder nicht. Ziel der Digitalisierung von Prozessen ist es, mehr Zeit für die eigentliche ärztliche Tätigkeit zu haben. Die Technik soll vor allem Entlastung mit sich bringen.

Welches Verhältnis haben Ihre Studierenden zur digitalen Technik? Wie wollen sie künftig arbeiten?

Hoffmann: Sie sind der Technik gegenüber sehr offen, aber sie wollen Ärztinnen und Ärzte werden, keine Technologen. Die digitale Technik der Zukunft soll intuitiv bedienbar sein und die Arbeit erleichtern. Früher haben Ärzte sehr für ihren Beruf gelebt. Heute möchten junge Menschen Privat- und Berufsleben im Sinne der Work-Life-Balance miteinander in Einklang bringen. Dabei spielen Teilzeit- bzw. flexible Arbeitszeitmodelle in Verbindung mit digitalen Möglichkeiten eine wichtige Rolle.

Sie hatten eingangs erwähnt, dass digitales Arbeiten gerade jetzt in der Corona-Epidemie von besonderer Bedeutung ist. Beeinflusst Corona auch Ihre Tätigkeit?

Hoffmann: Ja, meine Arbeit ist stark davon beeinflusst. Wir haben am Klinikum Darmstadt einen Covid-19-Krisenstab eingerichtet, der das Versorgungsgebiet 6 (Südhessen) koordiniert. Ich habe die Leitung dieser Koordination übernommen.

Interview: Katja Möhrle