Wie jedes Jahr im Dezember finden Sie in Parlando wieder Anregungen für Wunschzettel und Feiertagsgestaltung. Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten, Gesundheit und alles Gute für 2021.

Bücher

Es gibt viele gute Gründe dafür, dass Menschen lesen: zum Vergnügen, zur Erweiterung des Horizonts, zur eigenen Verortung und zur Sinnfindung. Gerade jetzt in der Jahrhundertkrise, die uns nicht verreisen lässt, vorübergehend sogar Theater- und Museumsbesuche unmöglich macht und den persönlichen Austausch mit anderen auf ein Minimum beschränkt, sind Bücher eine wunderbare Alternative. Sie können unterhalten, zerstreuen, Nähe zu fiktiven Charakteren herstellen, bilden und trösten. Um zum Freund der Leserin oder des Lesers zu werden, müssen sie jedoch vor allem berühren können.

Tröstliche Freundschaft zwischen Mensch und Riesendogge

Ein solches Buch ist – nomen est omen – „Der Freund“ der US-amerikanischen Schriftstellerin Sigrid Nunez. Ein Freund, der an langen Winterabenden dazu anregt, über das Dasein nachzudenken, über Freundschaft, Trauer und über das Schreiben. Der 2018 mit dem National Book Award ausgezeichnete, zwischen Autofiktion und Essay oszillierende Roman beginnt mit einem Trauerfall: Der engste Freund der Ich-Erzählerin, einer in New York lebenden Schriftstellerin, hat sich das Leben genommen, ohne einen Abschiedsbrief zu hinterlassen. In die Trauer über seinen Tod mischt sich ein überraschendes Erbe: Apollo, die riesige, achtzig Kilo wiegende Dogge des Verstorbenen, landet bei der Erzählerin, obwohl deren Apartment viel zu klein und Hundehaltung laut Hausordnung verboten ist. Auch Apollo trauert; zugleich macht es seine Gegenwart der Erzählerin möglich, die Verbindung zu dem toten Freund – ebenfalls Schriftsteller – auf einer anderen, tröstlichen Ebene weiterzuführen. Über die freundschaftliche Beziehung zwischen Mensch und Hund zeichnet der Roman den Weg zurück ins Leben nach.

Sigrid Nunez: Der Freund. Übersetzerin: Anette Grube, Aufbau Verlag 2020, 20 €

Düster und raffiniert: Kurzgeschichten von Patricia Highsmith

Sie war unbequem, rüde in ihren Umgangsformen, vernichtend in ihren Urteilen und, wie Zeitgenossen behaupteten, auch paranoid. Doch die Bücher von Patricia Highsmith – vor allem psychologische Kriminal- sowie zeitgenössische Romane – waren von unnachahmlicher Luzidität. Messerscharf zeichnet sie Charaktere und lässt deren Bild mit wenigen Details vor dem inneren Auge der Leser entstehen. So steht in dem Roman „Der talentierte Mr. Ripley“ nicht die Aufklärung eines Verbrechens im Mittelpunkt, vielmehr kommt es auf die Umstände und Motive an, die einen Durchschnittsmenschen zum Kriminellen werden lassen. Highsmith selbst bezeichnete die Faszination von der Amoral des Helden als treibende Kraft beim Schreiben.

Bevor Highsmith mit ihren Romanen bekannt wurde, verfasste sie etliche, in Schul- und Frauenmagazinen erscheinende Kurzgeschichten. Mit „Ladies“ hat der Diogenes Verlag nun eine Sammlung ihrer frühen, ebenso düsteren wie raffinierten Stories herausgebracht, die von Diebstahl, Ehebruch und Mord handeln und doch mit einer feinen Prise Humor gewürzt sind. Wie in ihren späteren Werken seziert die Autorin das Innere ihrer zumeist traurigen Figuren. Entwurzelte Einwanderer, tapfere Liebende, kluge kleine Mädchen und Jungen sowie vom Leben gebeutelte Frauen und Männer kämpfen sich vor der Kulisse der USA der 1940er-Jahre durch die Geschichten.

Patricia Highsmith: Ladies –frühe Stories. Diogenes Verlag, Hardcover Leinen, 320 Seiten, 24 €

Piratenschiff auf Rübenacker: Erzählungen voll Witz und Melancholie

Richard Barham Middletons Leben bot Stoff für einen Roman: 1882 geboren, arbeitete der Engländer tagsüber als Angestellter für eine Londoner Bank. Nachts führte er das Leben eines Bohemiens, das Arthur Ransome in „Bohemia in London“ literarisch beschrieben hat. Schließlich kündigte Middleton sein Angestelltendasein und schrieb als freier Schriftsteller Erzählungen, Essays und Gedichte. Nach seinem Selbstmord im Jahr 1911 lebte sein literarisches Werk in Anthologien fort.

Nun sind Middletons elegant geschriebene Geschichten von Landstreichern, überforderten Polizisten oder Sargverkäufern in der Reihe Steidl Nocturne erschienen. Die Zeit zwischen den Jahren eignet sich vortrefflich, um den Autor zu entdecken und in seine Erzählungen einzutauchen, die von der existenziellen Einsamkeit von Außenseitern handeln. In die melancholische Grundstimmung mischen sich trockener Witz und fantastische Elemente.

So in der Geschichte jenes irgendwo zwischen dem Meer und London gelegenen Dörfchens Fairfield, dem nach einem Wirbelsturm etwas höchst Verwunderliches widerfährt: Mitten im Rübenacker des örtlichen Gastwirts ankert ein Piratenschiff. Dies allein ist schon fantastisch genug, doch der Autor legt noch eine Schippe drauf: An Bord des Kahns befinden sich nicht etwa blutrünstige Piraten, sondern gutmütige Gestalten. Es gibt nur ein Problem – und dies ist der exquisite Rum, der auf dem Schiff großzügig ausgeschenkt wird. Er führt die Gespenster des Ortes in Versuchung, so dass der Dorfpfarrer sich gezwungen sieht, in die turbulenten Entwicklungen einzugreifen.

Richard Middleton: Das Geisterschiff – Dreizehn Stories. Steidl Verlag, Göttingen 2020. Gebunden, 128 Seiten, 18 €

Museumsbesuch

Das Jüdische Museum Frankfurt öffnete Ende Oktober nach rund fünf Jahren Bauzeit die Türen seines Neubaus und des sanierten Rothschild-Palais für die Besucherinnen und Besucher.

Die Skulptur von Ariel Schlesinger „Untitled“ verbindet Alt und Neu.

Jüdisches Museum Frankfurt: Die Verbindung von Alt und Neu als Leitmotiv

Leuchtend weiße Fassaden, zweitausend Quadratmeter Ausstellungsfläche, eine öffentliche Bibliothek: Das jüdische Museum Frankfurt ist konzeptuell und architektonisch ein Highlight in der Museumslandschaft der Stadt. Nachdem das Haus vor fünf Jahren die Pforten geschlossen hatte, um seine Dependance im Palais zu renovieren, wurde es am 21. Oktober 2020 in doppelter Größe wieder eröffnet.

Der neue Museumskomplex besteht aus dem restaurierten Rothschild-Palais und, über ein Treppenhaus damit verbunden, einem hellen Neubau – Lichtbau genannt – des Berliner Büros Staab Architekten.

Die Verbindung von Alt und Neu, von Geschichte und Gegenwart der Juden in Frankfurt ist Leitmotiv des Museums, das ein „Museum ohne Mauern“ sein will.

Über drei Stockwerke erstreckt sich die Dauerausstellung im Rothschild-Palais und erzählt die Geschichte jüdischen Lebens von der Aufklärung und Emanzipation bis zur Gegenwart. Eingebettet in persönliche Geschichten erfahren die Besucher, wie Jüdinnen und Juden die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt prägten. Auch jüdische Erfahrungen von Exil, Gewalt und Gegenwehr werden thematisiert.

Der neue Lichtbau des Museums birgt die eingangs erwähnte öffentliche Bibliothek, eine Literaturhandlung und ein milchig-koscheres Café. Außerdem bietet das lichtdurchflutete Gebäude Raum für Veranstaltungen und Wechselausstellungen wie aktuell „Die weibliche Seite Gottes“.

Verbinden und Zusammenführen ist auch das Leitmotiv der elf Meter hohen Baum-skulptur, die der israelische Künstler Ariel Schlesinger entworfen hat: Zwei in Aluminium gegossene Bäume, von denen der eine den anderen in der Krone trägt. Mit der Skulptur öffnet sich der neu angelegte Bertha-Pappenheim-Platz, die Adresse des Jüdischen Museums, zur Stadt.

Während die Ausstellungen im Jüdischen Museum und im Museum Judengasse derzeit geschlossen sind (Stand November), bleiben das digitale Museum (digitale Sammlung sowie Social Media-Kanäle) und der Lichtbau weiterhin geöffnet.

Informationen im Internet: www.juedischesmuseum.de

Katja Möhrle