Mit sechs Urteilen je vom 26. Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht [1] entschieden, dass das in § 217 StGB [2] normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gegen das Grundgesetz verstößt und nichtig ist. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verletzt nach Auffassung des Gerichts das grundgesetzlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) [3] von zur Selbsttötung entschlossenen Menschen in seiner Ausprägung als Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

1. Strafnorm contra Grundgesetz

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht [3] gewährleistet das Recht, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden, denn die Achtung und der Schutz der Menschenwürde und der Freiheit sind grundlegende Prinzipien der Verfassungsordnung, die den Menschen als eine zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähige Person begreift.

Der Senat führt hierzu aus: „Die selbstbestimmte Wahrung der eigenen Persönlichkeit setzt voraus, dass der Mensch über sich nach eigenen Maßstäben verfügen kann und nicht in Lebensformen gedrängt wird, die in unauflösbarem Widerspruch zum eigenen Selbstbild und Selbstverständnis stehen. Die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, ist von existenzieller Bedeutung für die Persönlichkeit eines Menschen. Welchen Sinn der Einzelne in seinem Leben sieht und ob und aus welchen Gründen er sich vorstellen kann, sein Leben selbst zu beenden, unterliegt höchstpersönlichen Vorstellungen und Überzeugungen. Der Entschluss zur Selbsttötung betrifft Grundfragen menschlichen Daseins und berührt wie keine andere Entscheidung Identität und Individualität des Menschen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst deshalb nicht nur das Recht, nach freiem Willen lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen. Es erstreckt sich auch auf die Entscheidung des Einzelnen, sein Leben eigenhändig zu beenden.“

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben – so der Senat weiter – sei nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Es bestehe in jeder Phase menschlicher Existenz. Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, entziehe sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit. Sie bedürfe keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung, sondern sei im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.

2. Suizid mithilfe Dritter ausdrücklich zulässig

Das Recht, sich selbst zu töten, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das Grundgesetz gewährleistet die Entfaltung der Persönlichkeit im Austausch mit Dritten, die ihrerseits in Freiheit handeln. Ist die Wahrnehmung eines Grundrechts von der Einbeziehung Dritter abhängig und hängt die freie Persönlichkeitsentfaltung an der Mitwirkung eines anderen, schützt das Grundrecht auch davor, dass es nicht durch ein Verbot gegenüber Dritten, im Rahmen ihrer Freiheit Unterstützung anzubieten, beschränkt wird.

§ 217 StGB greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Sterbewilliger ein. Das in der Norm strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung entfaltet objektiv eine die Freiheit zum Suizid einschränkende Wirkung. Es macht es dem Einzelnen faktisch weitgehend unmöglich, Suizidhilfe zu erhalten. Der Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet seine Grenze dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird. Die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Hilfe dazu steht als Ausdruck der verfassungsrechtlich gebotenen Anerkennung individueller Selbstbestimmung nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers.

3. Kein Anspruch auf Suizidhilfe an die Ärzteschaft

Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe ist der Einzelne maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzuwirken. Von einer solchen individuellen ärztlichen Bereitschaft wird man bei realistischer Betrachtungsweise nur im Ausnahmefall ausgehen können. Ärzte zeigen bislang eine geringe Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, und können hierzu auch nicht verpflichtet werden; aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leitet sich kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab. Zudem setzt das ärztliche Berufsrecht der Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, weitere Grenzen. Der Senat weiter: „Die in den Berufsordnungen der meisten Landesärztekammern festgeschriebenen berufsrechtlichen Verbote ärztlicher Suizidhilfe unterstellen die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Einzelnen nicht nur geografischen Zufälligkeiten, sondern wirken zumindest faktisch handlungsleitend. Der Zugang zu Möglichkeiten der assistierten Selbsttötung darf aber nicht davon abhängen, dass Ärzte sich bereit zeigen, ihr Handeln nicht am geschriebenen Recht auszurichten, sondern sich unter Berufung auf ihre eigene verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit eigenmächtig darüber hinwegsetzen. Solange diese Situation fortbesteht, schafft sie einen tatsächlichen Bedarf nach geschäftsmäßigen Angeboten der Suizidhilfe. Eine Pflicht zur Inanspruchnahme palliativmedizinischer Behandlung besteht nicht. Die Entscheidung für die Beendigung des eigenen Lebens umfasst zugleich die Entscheidung gegen bestehende Alternativen und ist auch insoweit als Akt autonomer Selbstbestimmung zu akzeptieren.“

4. Suizidhilfe durch staatliche Regelung?

§ 217 StGB ist wegen der festgestellten Verfassungsverstöße nichtig. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Gesetzgeber die Suizidhilfe nicht regulieren darf. Eine solche Regelung muss sich aber an der Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen ausrichten, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten. Das Recht auf Selbsttötung verbietet es aber, die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung von Kriterien wie etwa dem Vorliegen einer unheilbaren Krankheit abhängig zu machen. Dennoch können je nach Lebenssituation unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens gestellt werden.

Allerdings muss dem Recht des Einzelnen, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, auch faktisch hinreichender Raum zur Entfaltung und Umsetzung belassen werden. Das erfordere – so das Gericht – nicht nur eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker, sondern möglicherweise auch Anpassungen des Betäubungsmittelrechts. Dies schließe nicht aus, die im Bereich des Arzneimittel- und des Betäubungsmittelrechts verankerten Elemente des Verbraucher- und des Missbrauchsschutzes aufrechtzuerhalten und in ein Schutzkonzept zur Suizidhilfe einzubinden.

Fazit

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Die Zulässigkeit der Hilfe zur Selbsttötung darf dabei nicht von Kriterien, wie etwa dem Vorliegen einer unheilbaren Krankheit, abhängig gemacht werden. Ärztinnen und Ärzte sind jedoch nicht verpflichtet, die Hilfe zum assistierten Suizid zu leisten.

Dr. jur. Thomas K. Heinz, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, E-Mail: dr.tkheinz@freenet.de

[1] BVerfG, Urteile je vom 26.02.2020, Az. 2 BvR 2347/15; 2 BvR 2527/16; 2 BvR 2354/16; 2 BvR 1593/16; 2 BvR 1261/16; 2 BvR 651/16

[2] § 217 StGB (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) bedroht denjenigen mit Strafe, der in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt.

[3] Art. 2 Abs. 1 GG: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Art. 1 Abs. 1 GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.