In einem historischen Bauwerk feierte der 129. Deutsche Ärztetag seinen Auftakt in Leipzig. Austragungsort der Eröffnungsfeier war die über 800 Jahre alte Nikolaikirche, die im Herbst 1989 Ausgangspunkt der friedlichen Revolution in der DDR mit dem anschließenden Mauerfall war. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. Klaus Reinhardt, adressierte in seiner Eröffnungsrede die aktuellen und zukünftigen Probleme des Gesundheitssystems in Deutschland, vor allem im Hinblick auf den demografischen Wandel. Gerichtet an die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) sagte er, dass die Probleme nur in Zusammenarbeit von Selbstverwaltung und Politik gelöst werden könnten. Die Themen seien nicht nur im Einzelnen hochkomplex, sondern würden auch in der Summe ein bedenkliches Ausmaß annehmen. „Solide in seiner Struktur, solidarisch in seinem Anspruch und getragen von einem belastbaren Vertrauensverhältnis zwischen Politik, Selbstverwaltung und den Menschen, für die wir Verantwortung übernehmen“, sagte Reinhardt. Die Politik solle das Gesundheitswesen nicht nur als bloßen Kostenfaktor sehen, den man auf Effizienz trimmen müsse. Gleichzeitig sollten die Interessenvertreter nicht nur nach mehr finanziellen Mitteln rufen, sondern das Gesundheitswesen so mitgestalten, dass es einerseits qualitativ hochwertig sei und andererseits für die jungen und kommenden Generationen bezahlbar bleibe.
Mehr Vertrauen
Leider habe es in der Vergangenheit an Vertrauen der Politik zum Personal im Gesundheitswesen gefehlt, so Reinhardt. Dies habe zu einem unnötigen Dokumentations- und Prüfaufwand geführt. Eine neue Vertrauenskultur könne somit einen entscheidenden Schritt dazu beitragen, das Gesundheitswesen zu entbürokratisieren. Lobend am neuen Koalitionsvertrag hob der Präsident der BÄK hervor, dass SPD und Union geplant hätten, im ersten halben Jahr der Regierung ein Entbürokratisierungsgesetz auf den Weg zu bringen. Bisher sei dies zwar häufig versprochen worden, geschehen sei allerdings wenig bis nichts. Stattdessen seien immer mehr Dokumentationspflichten hinzugekommen. „Lassen Sie den Worten im Koalitionsvertrag Taten folgen“, appellierte Reinhardt an die Ministerin. Er forderte eine Task-Force aus Selbstverwaltung und Politik, um jedes einzelne Formular und jede Berichtspflicht auf den Prüfstand zu stellen.
Das ewige Thema GOÄ
Nicht nur die Entbürokratisierung ziehe sich ergebnislos dahin, es gebe noch ein Thema, das „selbst in der bisherigen deutschen Reformverschleppung einen einsamen Negativrekord“ darstelle: die GOÄ. Die jetzige Gebührenordnung der Ärzte entstamme den 1980er- und 1990er-Jahren. Das passe vorne und hinten nicht mehr, so Reinhardt. Der Deutsche Ärztetag befasse sich in einem eigenen Tagesordnungspunkt mit einer Neufassung der GOÄ. Sollten die abgeordneten Ärztinnen und Ärzte dem erarbeiteten Kompromiss von Bundesärztekammer und dem Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) zustimmen, liege der Ball anschließend bei der Politik.
Ebenso noch nicht in der Umsetzung seien sowohl der Masterplan Medizinstudium 2020 als auch das Gesetz zur Regulierung investorengeführter Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ). In dem Masterplan zum Medizinstudium hätten Bund und Länder die Reform der Approbationsordnung angekündigt. Reinhardt appellierte an die Politik, diesen Plan umzusetzen und ein zukunftsfähiges Medizinstudium zu schaffen. Bezüglich der Medizinischen Versorgungszentren sagte Reinhardt, dass diese grundsätzlich sinnvoll seien, vor allem für Ärztinnen und Ärzte, die die Selbstständigkeit scheuten. Dennoch sei es eine gefährliche Entwicklung, wenn betriebswirtschaftliche Vorgaben vor medizinischen Entscheidungen stünden.
Reinhardt lobte, dass die Regierungsparteien das Primärarztsystem im Koalitionsvertrag aufgegriffen hätten, wofür sich der Deutsche Ärztetag im vergangenen Jahr mit großer Mehrheit ausgesprochen habe. Eine sogenannte gesetzliche Termingarantie, die im Koalitionsvertrag ebenso angekündigt worden sei, kritisierte Reinhardt. Diese sei nicht praktikabel, da eine Garantie durch die aktuelle Versorgungslage im Gesundheitswesen nicht möglich sei.
Reform des KHVVG
„So, wie das Gesetz aktuell ausgestaltet ist, kann es nicht bleiben“, sagte der BÄK-Präsident zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Zu wenig Beachtung finde die ärztliche Weiterbildung, sagte Reinhardt unter dem Applaus der Gäste. Auch die Ärzteschaft sei stark vom demografischen Wandel betroffen und stehe vor einer Ruhestandswelle. Um die Versorgung zu sichern, sei es wichtig, dass die ärztliche Weiterbildung durch den Ausbau der Verbundstruktur und weniger Hürden bei der Arbeitnehmerüberlassung gestärkt werde.
Um das Problem des Mangels an Ärztinnen und Ärzten zu lösen, schlug Reinhardt vor, die richtigen Anreize zu setzen, damit Ärzte, die kurz vor dem Ruhestand stünden, weiter tätig sein könnten. Denn eine Umfrage des Deutschen Ärzteblattes habe gezeigt, dass viele Ärzte bereit seien, zumindest in Teilzeit, weiter ärztlich tätig zu sein. Viele seien aber nicht mehr bereit, sich mit Personalführung oder übermäßiger Bürokratie zu belasten.
Prävention mit Steuern
Für lautstarken Applaus sorgte auch die Forderung, Alkohol, Tabak und Zucker höher zu besteuern und so zur Prävention beizutragen. Auch Großbritannien habe Erfolge mit einer Zuckersteuer. Solche Abgaben könnten nicht nur zur Stabilisierung der Finanzen der Gesetzlichen Krankenkassen beitragen, sondern auch die Gesundheit der Menschen im Land fördern. Ministerin Warken solle die Widerstände in der Regierung überwinden, sie könne sich dafür der Unterstützung aus dem Gesundheitswesen gewiss sein.
Viel Übereinstimmung
Nicht jeder Bundesgesundheitsminister hatte immer einen leichten Stand bei der Ärzteschaft. Bei der Eröffnungsfeier gab es auch schon den ein oder anderen Buhruf für unbeliebte Minister. Nina Warken hatte dagegen bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt bei der Ärzteschaft einen vergleichsweisen unbeschwerten Auftritt und suchte in ihrer Rede die Übereinstimmung und die ausgestreckte Hand mit den Anwesenden.
Warken sagte, sie wolle ernsthaft mit allen Akteuren im Gesundheitswesen in den Dialog treten. „Eine gute Kommunikation und eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den Leistungserbringern halte ich für entscheidend.“ Immer wieder von Applaus unterbrochen, kündigte Warken an, das Gesundheitswesen von überbordender Bürokratie befreien zu wollen. Es sei der Regierung ernst mit diesem Thema, aus diesem Grund habe es dafür einen eigenen Punkt im Koalitionsvertrag gegeben. Als konkrete Vorschläge zur Entlastung nannte Warken eine Bagatellgrenze für Regressprüfungen von niedergelassenen Ärzten bis hin zur Überprüfung und Vereinfachung des Verwaltungsaufwands in Krankenhäusern. Die Ärzte sollten weniger Zeit mit Dokumentation verbringen und wieder mehr Zeit für die Patienten haben. Im Hinblick auf den Fachkräftemangel gelte es, besonders achtsam mit der ärztlichen Arbeitszeit umzugehen.
Die Umsetzung des von der Ärzteschaft beschlossenen Primärarztsystem hielt Warken für eine der großen Aufgaben für die aktuelle Legislaturperiode. So könnten Doppeluntersuchungen vermieden und kürzere Wartezeiten für Facharzttermine entstehen. Das Vorhaben sei hochkomplex und es sei wichtig, dadurch nicht in der ambulanten Versorgung für neue Engpässe zu sorgen. Warken begrüßte den Vorstoß von Ärzteschaft und PKV-Verband, eine neue GOÄ vorzulegen, da die Vergütungsgrundlage veraltet sei.
Geplant sei, das KHVVG weiter umzusetzen, allerdings wolle man das Gesetz weiter verbessern, ohne es zu verwässern. In ihrem Ministerium arbeite man aktuell daran, dass nicht noch weitere Krankenhäuser schließen müssten. Im Hinblick auf die ePa (elektronische Patientenakte) bat die Gesundheitsministerin noch um etwas Geduld, bisher laufe noch nicht alles perfekt, doch das solle sich schnellstmöglich ändern und die ePa weiterentwickelt werden. Die ePa sei die Zukunft, so Warken. Sie appellierte an die Ärzteschaft, die notwendigen Veränderungen und Reformen gemeinsam anzugehen. Zu den Kritikpunkten von Reinhardt an der Termingarantie äußerte sich Warken nicht.
Weitere Eröffnungsreden wurden unter anderem von Sachsens Kammerpräsidenten und Gastgeber Erik Bodendieck und der Landesgesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) gehalten. Beide setzten sich darin für die Menschen in Ostdeutschland ein. Bodendieck und Köpping stammen aus Sachsen und mahnten, Verständnis für die Erfahrungen der Menschen im Osten der Republik aufzubringen, die von vielen biografischen Brüchen durch die Wende betroffen seien.
Künstliche Intelligenz
Auf dem diesjährigen Deutschen Ärztetag wurde ein Thema gespannt erwartet: Künstliche Intelligenz (KI) und ihr aktueller, aber insbesondere künftiger Einsatz in der Medizin. BÄK-Präsident Reinhardt gab die Einführung in den Tagesordnungspunkt im Congress Center Leipzig, in dem die Sitzungen des Ärztetages stattfanden. Reinhardt rief dazu auf, die Entwicklung von KI konstruktiv, aber kritisch zu begleiten. Er betonte, dass bei allem technologischen Fortschritt der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse – nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch Ärztinnen und Ärzte. Die ärztliche Perspektive sei bei der Integration von KI in den medizinischen Alltag unerlässlich.
Impulsvorträge von Prof. Dr. Aldo Faisal, Digital-Health-Forscher am Imperial College London und an der Universität Bayreuth sowie Mitglied im Deutschen Ethikrat, Univ.-Prof Dr. med. Ulrike I. Attenberger, Leiterin der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der Medizinischen Universität Wien/Universitätsklinikum AKH Wien, und den Vorsitzenden des Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ der Bundesärztekammer PD Dr. med. Peter Bobbert und Erik Bodendieck legten den Grundstein für die anschließende Aussprache.
Faisal startete seinen Vortrag mit einer zentralen Aussage: KI im Gesundheitswesen könne nicht von der Stange sein, KI-Anwendungen müssten von Grund auf für die Verwendung in der Medizin entwickelt und gedacht werden. Darüber hinaus, könne KI nur mit qualitativ hochwertigen, zugänglichen Daten ihr volles Potenzial entfalten. Gleichzeitig sei es notwendig, gesellschaftliche Bedenken zu adressieren. Die Zurückhaltung von Patientinnen und Patienten bei der Datenfreigabe sei zu erwarten.
Attenberger betonte in ihrem Bericht den Fachkräftemangel als eine wesentliche Motivation für den KI-Einsatz und sprach sich für klare ethische und rechtliche Rahmenbedingungen aus. Auch sie hob hervor, dass KI den zwischenmenschlichen Kontakt in der Medizin nie ersetzen dürfe. Sie verwies auf Studien, die zeigten, dass spezialisierte KI-Systeme unter bestimmten Bedingungen ärztliches Fachwissen ergänzen, in Einzelfällen sogar übertreffen könnten, wobei der kritische Blick erfahrener Ärztinnen und Ärzte unabdingbar bleibe.
Auf Basis von Befragungen habe der Digitalisierungsausschuss das Thesenpapier „Künstliche Intelligenz in der Gesundheitsversorgung“ entwickeln können, berichtete Bobbert. Ärztinnen und Ärzte forderten darin eine klare Werteorientierung bei der Entwicklung und Anwendung von KI im Gesundheitswesen. Nur so könne sichergestellt werden, dass deutsche und europäische Vorstellungen von Ethik, Datenschutz und ärztlicher Verantwortung auch in den eingesetzten Systemen verankert seien.
Dr. med. Julia Fritz berichtete vom Dialogforum mit jungen Ärztinnen und Ärzten, das traditionell am Tag vor Beginn des Deutschen Ärztetags veranstaltet wird – in diesem Jahr mit dem Titel „KI konkret im ärztlichen Alltag“ (siehe S. 396). Sie verwies dabei auf die Vorbehalte des ärztlichen Nachwuchses beim Einsatz von KI-basierten Anwendungen hinsichtlich bestehender Datenlücken – Stichwort Gender Data Gap – sowie den Einfluss weiterer Faktoren auf medizinische Datensätze. Entsprechende Biases der Daten könnten den Einsatz von KI erschweren und müssten deshalb bei der Entwicklung von KI-basierten Anwendungen mitgedacht werden. Die junge Generation sei jedoch bereit, diesen Wandel aktiv mitzugestalten, schloss Fritz.
In der Aussprache wurden zentrale Punkte vertieft: Dr. med. Susanne Johna forderte mehr Nachhaltigkeit und Interoperabilität, während Dr. med. Lars Bodammer vor der Gefahr von „Convenience-Entscheidungen“ auf Basis von KI warnte. Dr. med. Christoph Polkowski plädierte für eine differenzierte Betrachtung von KI und mehr Klarheit in Fragen der Datenhoheit.
Sachsens Kammerpräsident Erik Bodendieck, Co-Vorsitzender des Digitalisierungsausschusses, freute sich über die differenzierte und informierte Diskussion der Ärzteschaft.
In einem Grundsatzbeschluss stellte der Ärztetag klar, dass die Arzt-Patienten-Beziehung durch den Einsatz von KI nicht in den Hintergrund geraten dürfe. Um das Vertrauen der Patienten zu erhalten, forderten die Abgeordneten, KI nur dann einzusetzen, wenn sie evaluiert und validiert ist, Datenschutz berücksichtigt und die ärztliche Schweigepflicht schützt.
Insgesamt wurde deutlich: Der Weg zu einer verantwortungsvollen, menschengerechten Integration von KI in der Medizin ist noch weit – aber die Ärzteschaft ist bereit, ihn aktiv mitzugestalten.
Bericht zum ärztlichen Personalbemessungssystem
Prof. Dr. med. Henrik Herrmann und Johna berichteten aus der Arbeitsgruppe „ÄPS-BÄK“ der Bundesärztekammer. Das ärztliche Personalbemessungssystem der Bundesärztekammer (ÄPS-BÄK) ermögliche es, den ärztlichen Personalbedarf patienten- und aufgabengerecht für jede Abteilung individuell zu berechnen. Dass dieses Instrument nach der mit Berufsverbänden und Fachgesellschaften abgestimmten Entwicklungs- und Testphase nun in die vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragte Evaluation gehe, sei ein Erfolg der ärztlichen Selbstverwaltung. Der Deutsche Ärztetag hatte in der Vergangenheit die verbindliche Einführung im Rahmen des KHVVG bereits mehrfach gefordert.
Bericht zum eLogbuch
Dr. med. Albert Gehle und Prof. Dr. med. Henrik Herrmann, Co-Vorsitzende der Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer, stellten den Sachstandsbericht zum eLogbuch vor. Bisher gebe es knapp 155.000 Nutzer. Ebenso sei eine Nutzerbefragung erfolgt, welche ein Auftrag des vergangenen Ärztetages gewesen sei, so Herrmann. 1.042 Teilnehmer (655 Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung und 387 Weiterbildungsbefugte) hätten sich daran beteiligt. Bei den Weiterzubildenden habe die wöchentliche oder monatliche Nutzung laut Befragung bei lediglich 9,68 % gelegen (halbjährlich weitere 41,47 %, Rest: seltener oder nie) bei den Befugten bei 35,54 % (halbjährlich weitere 41,86 %, Rest seltener oder nie). Die Nutzungshäufigkeit sei insgesamt steigerungsfähig, so Gehle. Abgefragt worden seien darüber hinaus unter anderem der Aufwand, ein Logbuch anzulegen sowie die Nutzerfreundlichkeit. Die Schulnoten lägen im Durchschnitt zwischen drei und vier. Diese Bewertung sei wesentlich besser bei denjenigen Nutzern gewesen, die das eLogbuch häufiger nutzen würden, schlechter bei Nutzern von Ärztekammern mit Pflichtnutzung des eLogbuchs. Aus der Befragung ergebe sich die Aufgabe, mehr Anreize zu schaffen, das eLogbuch häufiger zu nutzen – bspw. durch Förderung und Bewerbung der Drittanbieter-Apps und ein „Facelift“ des eLogbuchs für mehr Übersichtlichkeit. Letzteres habe man bereits umgesetzt und beispielsweise die Inhalte besser strukturiert und die Filterfunktion verbessert. Geplant sei außerdem eine statistische, anonymisierte Auswertung über die Weiterbildung nach dem Vorbild der Landesärztekammer Hessen, um beispielsweise die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte in einzelnen Facharzt-Weiterbildungen zu erfahren, so Herrmann.
Zusatzweiterbildungen
Gehle und Herrmann stellten daraufhin auch die weiteren geplanten Umsetzungen zur ärztlichen Weiterbildung vor. Die Ständige Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der BÄK habe bei dem vergangenen Ärztetag in Mainz den Auftrag bekommen, einen neustrukturierten Abschnitt C vorzulegen, konkret 56 Zusatzweiterbildungen (ZWB) in drei Kategorien neu einzuordnen. Der neu strukturierte Abschnitt C der Musterweiterbildungsordnung unterteile diese in interdisziplinäre ZWB (vorher: C1), interdisziplinäre berufsbegleitende ZWB (vorher: C2) und interdisziplinäre kursbasierte ZWB (vorher: C3). Die einzelnen Kategorien unterschieden sich dabei beispielsweise, ob eine (Mindest-) Weiterbildungszeit vorgegeben oder eine Dokumentation im eLogbuch verpflichtend sei. Diese Einordnungen bedeuteten keine Wertung, so Herrmann. Es solle lediglich ersichtlicher sein, was sich hinter einer ZWB verberge. Auch der Begriff interdisziplinär sei nur ein Arbeitsbegriff, da der Erwerb der Zusatzweiterbildung generell von unterschiedlichen Facharztqualifikationen möglich sei.
Die Abgeordneten beschlossen die vorgeschlagenen Anpassungen der sogenannten Kopfteile von Zusatzweiterbildungen in Abschnitt C sowie die Änderungen des Paragrafenteils (Abschnitt A) der MWBO 2018. Für intensive Diskussionen sorgten drei ZWB. Zum einen ging es um die Einordnung der Sexualmedizin in die Kategorie interdisziplinäre berufsbegleitende ZWB (zuvor: C2) und nicht in die vorgesehene interdisziplinäre kursbasierte ZWB (zuvor: C3), zum anderen um die Beibehaltung der Medizinischen Informatik sowie die zusätzliche Schaffung einer ZWB „klinische Palliativmedizin“ zur bereits bestehenden ZWB Palliativmedizin als Kursweiterbildung. In den Diskussionen sagte Dr. med. Wolf Andreas Fach zur Palliativmedizin, dass es möglichst einfach gehalten werden solle. „Wir brauchen keine Palliativmedizin erster und zweiter Klasse“, betonte Fach und plädierte für eine Vertagung der Entscheidung. Nach weiterer Diskussion wurde letztendlich der Antrag zur Sexualmedizin abgelehnt. Bei dem Themenfeld „Medizinische Informatik“ entschieden sich die Abgeordneten allerdings für den Erhalt der Zusatzweiterbildung, obwohl Gehle und Herrmann in der Aussprache betonten, dass es nur 25 Facharztanerkennungen in diesem Bereich bundesweit seit 2022 gegeben habe. Bei der Palliativmedizin setzten sich am Ende die Befürworter der Zweiteilung durch. Darüber hinaus wurde ein Antrag von Dr. med. Eva See, Dr. med. Christian Piper et al. angenommen, der alle Landesärztekammern verpflichten soll, digitale Weiterbildungszeitenrechner anzubieten.
Schwangerschaftsabbrüche
In einer engagierten Debatte unter TOP V setzte sich der Ärztetag mit dem Thema ärztliche Perspektiven zum Schwangerschaftsabbruch auseinander und sprach sich mehrheitlich für eine Entkriminalisierung fristgerechter Schwangerschaftsabbrüche aus. Das Ärzteparlament forderte Augenmaß von der Politik in der Debatte um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Die rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs müsse außerhalb des Strafgesetzbuches erfolgen. Dies stärke die Versorgungssicherheit ungewollt Schwangerer und die Rechtssicherheit der behandelnden Ärztinnen und Ärzte.
In mehreren Redebeiträgen wurde unterstrichen, dass Ärztinnen und Ärzte nicht verpflichtet werden dürften, einen Abbruch durchzuführen, zugleich aber wirksam vor Anfeindungen geschützt werden müssten, wenn sie es täten. Delegierte wie Dr. med. Gerald Quitterer (Vorstand Bundesärztekammer), Johna (Vizepräsidentin Bundesärztekammer) und Dr. med. Lydia Berendes betonten das Spannungsfeld zwischen reproduktiver Selbstbestimmung der Frau und dem Schutz ungeborenen Lebens. „Ich als Frau wünsche mir keine Ächtung, sondern Achtung der Frauen, die diese schwierige Phase durchleben“, sprach sich Johna aus. Als Ärztin wünsche sie sich wiederum auch die Entscheidungsfreiheit darüber, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen oder nicht.
Stefanie Minkley betonte, dass es immer ungewollt Schwangere und entsprechend immer Schwangerschaftsabbrüche geben werde – ungeachtet der Kriminalisierung über die Regelung im Strafrecht. Diese sei nicht notwendig. In anderen Ländern sei beispielsweise die Regelung im Zivilrecht üblich. Sie berichtete darüber hinaus von weiteren Hürden für die ärztliche Arbeit in Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführten, beispielsweise beim Bezug von Medikamenten. Nur durch die Entkriminalisierung würden Ärztinnen und Ärzte geschützt, die Versorgung der Patientinnen verbessert und Bürokratie abgebaut, so Minkley.
Mit großer Mehrheit forderte der Ärztetag, dass künftig die Bedingungen für fristgerechte Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden. Die Verpflichtung zur Beratung solle jedoch bleiben. Die gültige Regelung steht aktuell in § 218a Absatz 1 Strafgesetzbuch. Demnach ist die Beendigung ungewollter Schwangerschaften rechtswidrig, aber dennoch straffrei, sofern rechtzeitig eine Schwangerschaftskonfliktberatung stattfand und der Abbruch bis zur 12. Woche nach der Empfängnis erfolgt.
GOÄ
Schon im Vorfeld des Ärztetages und vor den Eingängen zum Congress Center Leipzig war ein Thema besonders heiß umworben: der Vorschlag für eine neue GOÄ. Vor der Halle wurden (teils anonyme) Flyer verteilt, die die Abgeordneten aufforderten, gegen die neue GOÄ zu stimmen. Anders wollte es BÄK-Präsident Reinhardt, der mit einer emotionalen Rede sowie einer Präsentation die neue GOÄ verteidigte und erklärte. Es gehe um einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Beitragszahler und Leistungserbringer, betonte der BÄK-Präsident. Es habe seit mehr als 40 Jahren keine grundlegende Novellierung mehr gegeben. Seit September habe man zudem teils sehr kleinteilige Clearinggespräche mit denjenigen geführt, die Bedenken gegenüber der neuen GOÄ geäußert hätten. Reinhardt wehrte sich vehement gegen den Vorwurf der Intransparenz. Eine Ablehnung könne aktuelles politisches Momentum verspielen und auch die privaten Krankenversicherer könnten die Lust verlieren, wieder neue Verhandlung zu beginnen.
Zentrale Punkte der GOÄ seien: Bessere Honorierung für die Breite der Ärzteschaft durch ein gesteigertes PKV-Ausgabenvolumen von 13,2 % (1,9 Mrd. Euro) in den ersten drei Jahren. Die neue GOÄ beinhalte auch eine kontinuierliche Anpassung der Bewertung beispielsweise bei medizinischem Fortschritt und der Kostenentwicklung. Sie sei zudem rechtssicher und transparent und sehe gesonderte Zuschläge und Leistungen bei der Behandlung von Kindern vor. Die Transkodierung von der gültigen GOÄ zum Entwurf der neuen GOÄ sei über Jahre in enger Abstimmung mit den Berufsverbänden und Fachgesellschaften erarbeitet worden, so Reinhardt.
In der Diskussion betonte unter anderem Dr. med. Sabine Olischläger, wie wichtig eine Reform sei und das Fehlgewichtungen beseitigt werden müssten. Deshalb sei es auch normal, dass es für Einzelne in bestimmten Bereichen zu weniger guten Erlösen komme. Dirk Paulukat argumentierte, dass er mit dem vorliegenden Entwurf Probleme habe, da bei einem Streitfall in der Gemeinsamen Kommission (GeKo), die paritätisch besetzt sei, das Bundesministerium für Gesundheit entscheide. Ob dieses dann im Sinne der Ärzteschaft handele, bezweifle er. „Deshalb fordere ich Nachbesserungen, das Ding muss noch einmal in die Werkstatt“, sagte Paulukat. Dr. med. Elke Neuwohner sagte, die Ärzteschaft habe die Möglichkeit, einer GOÄ zuzustimmen, die das ärztliche Gespräch wieder honoriere. Sie forderte die Abgeordnete auf, geschlossen dafür zu stimmen.
Die Abstimmung war trotz einiger kritischen Stimmen überraschend eindeutig: 212 Ja-Stimmen, 19 Nein-Stimmen bei 8 Enthaltungen sorgten für brandenden Applaus und Standing Ovations bei vielen Abgeordneten sowie ausgelassener Stimmung bei den Mitglieder des Vorstandes, die sich gegenseitig beglückwünschten.
Verschiedenes
Über die Schwerpunktthemen hinaus waren auch weitere aktuelle Themen Teil der Diskussion des Ärztetages in Leipzig. So forderte die Ärzteschaft Bund, Länder und Kommunen dazu auf, die Krisenresilienz des Gesundheitswesens zu stärken. Notwendig sei ein verbindlicher Stufenplan mit klar definierten Verantwortlichkeiten, der von einer erweiterten Regelversorgung über die Versorgung im Katastrophenfall bis hin zur militärischen Lage reiche. Die Gesundheits- und Krisenkompetenz der Bevölkerung sei zu verbessern.
Zu diesem Thema hielt auch Generaloberstabsarzt Dr. med. Ralf Hoffmann eine Rede. LÄKH-Präsident Dr. med. Edgar Pinkowski betonte in einem Redebeitrag, dass man bei der Krisenresilienz endlich ins Machen kommen müsse.
Der Ärztetag forderte die Politik auch auf, die lange angekündigte Reform des Medizinstudiums jetzt anzugehen und in den kommenden Monaten umzusetzen. Die Reform des Medizinstudiums (Masterplan Medizinstudium) solle die medizinische Ausbildung praktischer und patientenorientierter ausrichten. Abgeordnete begrüßten in Anträgen die Pläne der neuen Bundesregierung, die Krankenhausreform fortzuführen und zugleich weiterzuentwickeln. Es sei richtig, dass dazu sowohl die Leistungsgruppensystematik als auch die Vorhaltevergütung nochmals überprüft und angepasst würden und Maßnahmen zur finanziellen Stabilisierung der Krankenhäuser ergriffen werden müssten.
Thema Kinderschutz: Durch gezielte Werbeverbote für zucker- und fetthaltiger Lebensmittel sollen Kinder und Jugendliche vor dem übermäßigen Konsum geschützt werden. Flankiert werden sollten diese Verbote durch regelmäßigen sowie verbindlichen Gesundheitsunterricht an Bildungseinrichtungen. Bund und Länder sollten zudem konkrete Maßnahmen erarbeiten, um die Nutzung von sozialen Medien, Messengerdiensten und Videoplattformen für Kinder und Jugendliche einzuschränken. Die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche seien: starker Anstieg von Adipositas und psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Essstörungen bis hin zu Belastungen durch verstörende Inhalte. Daran angeknüpft forderte der Ärztetag eine höhere Besteuerung von Alkohol und Tabak sowie eine herstellergetragene Zuckersteuer. Auch die Anpassung an den Klimawandel stand zur Diskussion: Die Abgeordneten forderten die Länder auf, verpflichtende Hitzeaktionspläne in allen Städten und Gemeinden umzusetzen. Auch solle der Bund Finanzmittel bereitstellen, um das Gesundheitswesen klimafreundlicher zu machen.
Am letzten Tag warf der Ärztetag auch einen Blick in die eigene Zukunft. Mit einem Kurzfilm steigerte die Landesärztekammer Hessen bei den Abgeordneten die Vorfreude auf 2027, denn dann findet der 131. Deutsche Ärztetag in der Landeshauptstadt Wiesbaden statt.
Lukas Reus, Marissa Leister