Vor 80 Jahren, im November 1945, starb Dr. med. Alfred Günzburg in der Siedlung Ramot Hashavim im damaligen Palästina [1]. Günzburg leitete von 1908 bis 1925 die Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt am Main. Als Jude musste er gemeinsam mit seiner Ehefrau 1935 Deutschland verlassen.

Ausbildung und Wirkungsstätte

Alfred Günzburg, 1861 in Offenbach geboren und in Frankfurt aufgewachsen, studierte an den Universitäten Heidelberg, Marburg und Leipzig Medizin. Das Studium schloss er 1885 mit dem Staatsexamen und der Promotion ab. Im gleichen Jahr erhielt er die ärztliche Approbation. Seit 1886 arbeitete Günzburg als Assistenzarzt in der Inneren Medizin bei dem Hospitalarzt Simon Kirchheim am Frankfurter Königswarter Hospital, dem Vorläufer des späteren Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt am Main.

1894 heiratete Günzburg die aus Frankfurt stammende Luise Daisy Strauss.

1895 wurde der Sohn Ludwig geboren, der später Medizin studieren und sich in Frankfurt als praktischer Arzt niederlassen wird. 1897 folgte der Sohn Paul, der nach dem Ersten Weltkrieg als Buchhändler in Frankfurt a. M. tätig war. 1899 wurde die Tochter Marie Therese geboren, die Mitte der 1920er-Jahre mit ihrem Ehemann Rudolf Thilmany in die Türkei auswanderte und in Istanbul lebte.

Nach der Pensionierung Kirchheims übernahm Alfred Günzburg die Leitung der Abteilung für Innere Medizin am Königswarter Hospital. Er war frühzeitig an den Planungen für den Neubau des Jüdischen Krankenhauses in Frankfurt-Bornheim in der Gagernstraße 36 aktiv beteiligt. Bei der Einweihungsfeier für das neue Krankenhaus 1914 wurde Günzburgs Arbeit ausdrücklich gewürdigt und mit der Verleihung eines preußischen Ordens ausgezeichnet [2]. 1925, nach 39-jähriger Tätigkeit am Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt, übergab Günzburg seine Funktion an den Stoffwechselforscher Prof. Dr. Simon Isaac.

Verdienste

Frühzeitig spezialisierte sich Günzburg für das damals neue Fachgebiet der Gastroenterologie und publizierte unter anderem zur Azidität und zum Sekretionsverhalten des Magens sowie über Duodenalgeschwüre [3, 4].

„Günzburgs Reagenz“, eine alkoholische Lösung von Phloroglucin und Vanillin, diente zum qualitativen Nachweis freier Salzsäure im Magen. 1912 gehörte er zu jenen Spezialärzten, die die Gründung der Fachgesellschaft für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten vorbereiteten und deren erster Fachkongress 1914 in Bad Homburg stattfand. Der eigenständige Facharzt für dieses Fachgebiet neben dem Facharzt für Innere Krankheiten wurde 1924 während des Bremer Ärztetages eingeführt.

Günzburg war Gründungsmitglied und bis 1908 Leitender Arzt des „Gumpertz’schen Siechenhauses“ in Frankfurt. Dabei handelte es sich um ein jüdischen Armenkrankenhaus, das Kranken-, Behinderten-, Alten- und Armenpflege vereinigte.

Besondere Verdienste erwarb sich Günzburg als Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Frankfurter jüdischen Schwesternvereins und Schwesternhauses. Er förderte die fundierte Ausbildung und die Professionalisierung im Pflegeberuf und gehörte zu den Ersten, die jüdische Krankenpflegerinnen unterrichteten [5].

1933–1945

Im April 1933 erlebte die Familie Günzburg den Boykott der jüdischen Arztpraxen und Geschäfte durch die Nationalsozialisten. Der Sohn Ludwig musste seine Frankfurter Arztpraxis aufgeben, war aufgrund seines politischen Engagements bedroht und floh 1933 nach Palästina. In der von deutschen Immigranten gegründeten genossenschaftlichen Siedlung Ramot HaShavim, in der Nähe Tel Avivs gelegen, konnte Ludwig Günzburg unter zunächst sehr begrenzten Möglichkeiten ärztlich tätig sein [6]. Zudem beteiligte er sich an der Weiterentwicklung der Siedlung [7]. Sein Bruder Paul Günzburg folgte kurze Zeit später ebenfalls nach Palästina.

Der 74-jährige Alfred Günzburg und seine Ehefrau verließen 1935 Deutschland und gelangten nach Palästina. Daisy Günzburg starb im Januar 1936 – wenige Monate nach ihrer Ankunft in Palästina. Alfred Günzburg lebte im Haus der Familie seines Sohnes Ludwig in Ramot HaShavim, beriet seinen Sohn in medizinischen Fragen und erledigte für diesen Arbeiten in einem kleinen Laboratorium. Alfred Günzburg starb am 6. November 1945 84-jährig in Ramot HaShavim.

Dr. med. Harro Jenss, Worpswede

Univ.-Prof. (i. R.) Dr. med. Michael Gregor, Tübingen

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