Mit seinem Plädoyer für ein Umdenken in Richtung moderner Arbeitsmodelle erntete Prof. Dr. med. Jan Gosepath (Klinikdirektor der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden (HSK) im Rahmen des Treffens des Ärztlichen Clubs Wiesbaden bei den jungen Kolleginnen und Kollegen viel Zustimmung. Das Hessische Ärzteblatt hakte nach.
Nun wird ja im ganzen Land der Abgesang auf die ärztliche Versorgung gesungen. Schuld daran, so behaupten einige hinter vorgehaltener Hand, sei schlicht die fehlende Arbeitsmoral junger Ärztinnen und Ärzte. Wie ist Ihr Eindruck von diesen jungen Leuten?
Prof. Dr. med. Jan Gosepath: Ich halte es für essenziell, dass wir uns an dem von Ihnen zitierten Abgesang auf die ärztliche Versorgung nicht beteiligen, sondern vielmehr sowohl nach außen als auch nach innen in die eigenen Teamstrukturen zurückspiegeln, dass sich an der Attraktivität und dem besonderen Charakter des Arztberufes in all den Jahrhunderten seiner Ausübung nichts verändert hat.
Aktuell sehe auch ich in Gesprächen mit jungen Kollegen und Absolventen des Studiums der Humanmedizin eine gewisse Tendenz zur Überschätzung der eigenen Freiheitsgrade, was nach meiner Interpretation aus dem aus Bewerbersicht sehr offenen Stellenmarkt resultieren kann. Diese Auswahlmöglichkeiten sind eine große Chance. Die in der Folge resultierende individuelle Motivation und wie Sie es nennen „Arbeitsmoral“ ist nach meiner Überzeugung am besten durch ein gelungenes Miteinander zwischen Lehrern und Lernenden gestaltbar.
Kurz: Die geforderte individuelle Gestaltungsfreiheit junger Kollegen steht nicht unbedingt im Widerspruch zu einer hohen inhaltlichen Motivation, die bei geeigneter Förderung zu sehr erfolgreichen und glücklichen Berufswegen ausgebaut werden kann.
Welchen Vorteil hat es denn dann, wenn man sich auf die Bedürfnisse der jungen Kolleginnen und Kollegen einlässt?
Gosepath: Sich auf die Bedürfnisse der jungen Kollegen einzulassen, ist für mich schon im alltäglichen menschlichen Miteinander eine Selbstverständlichkeit. Umgekehrt bin ich aber auch ein Anhänger der Maxime „Fördern und Fordern“. Gerade in Zeiten hoch spezialisierter und individualisierter Medizin können wir die inhaltliche Ausbildung nicht in ihrem Anspruch nach unten korrigieren. Somit glaube ich, dass in einer für die Berufsanfänger optimierten Umgebung auch die Bereitschaft unverändert vorherrscht, sich in Richtung Kompetenz und Exzellenz zu entwickeln. Hier muss man umdenken und durch die Anpassung von Stellenplänen und Dienststrukturen auch die geforderte Flexibilität an den Tag legen, um Unzufriedenheit oder Frustration als Entwicklungshemmung zu vermeiden.
Können Sie ein oder zwei konkrete Beispiele nennen, wie Sie mit „Sonderwünschen“ umgehen und was das mit dem Team macht?
Gosepath: Mit der Einschränkung, dass einzelne Beispiele weder repräsentativ sind noch auf andere Strukturen ohne Weiteres übertragbar sein müssen, kann ich aus meiner Erfahrung berichten, dass insbesondere dem im Vergleich zu früheren Jahren häufiger formulierten Wunsch nach Arbeitszeitreduktion zu entsprechen, die allgemeine Zufriedenheit und den Spirit eines Teams sehr positiv beeinflussen kann, ohne die Produktivität und Effizienz zu gefährden.
Ein weiteres Beispiel ist die Akzeptanz von intersektoralen Tätigkeiten. Ich habe sehr angenehme Erfahrungen mit jungen Kolleginnen und Kollegen, die neben der Tätigkeit im maximal versorgenden Krankenhaus sich auch im ambulanten Sektor ein Standbein geschaffen haben. Diese jeweilige Teilzeitaktivität einzelner Teammitglieder kann Synergien nutzbar machen und eventuell in unterschiedlichen Lebensphasen im Sinne einer kommunizierenden Röhre angepasst und genutzt werden.
Was glauben Sie, wohin der ärztliche Arbeitsmarkt sich entwickelt und wieso vielleicht viele etablierte Kollegen umdenken müssen?
Gosepath: Die Entwicklung des Arbeitsmarktes ist wie jeder Blick in die Zukunft sicherlich nicht abschließend zu beurteilen oder vorherzusehen. Es wird in den kommenden Jahren weiterhin erforderlich sein, sich dem aus demografischen Fakten resultierenden Ärztemangel zu stellen, und daher bleiben die Themen Individualisierung und Flexibilisierung der Angebote im Arbeitsmarkt von großer Bedeutung. Neben der notwendigen und politisch zuletzt geförderten Orientierung in Richtung der allgemeinmedizinischen und ganzheitlichen beruflichen Orientierung halte ich es für eine große Herausforderung, dass Interesse junger Kolleginnen und Kollegen an hochkomplexer und hoch spezialisierter Medizin wachzuhalten. Diese Bereiche sind die Träger unseres Fortschritts, gerade in der Behandlung chronscher, lebensbedrohlicher und maligner Erkrankungen. Vielerorts wird hier ein Umdenken erforderlich sein, um das Engagement in diese speziellen Richtungen auf höchstem Niveau zu halten.
Interview: Dr. med. Cornelius Weiß