Landesregierung und Rhön/Asklepios: Regeln für die nächsten zehn Jahre

Es nennt sich „Zukunftspapier Plus“ und ist mit der Hoffnung verbunden, dass endlich Ruhe einkehrt in die Universitätsmedizin in Mittelhessen: Fast 850 Millionen Euro wollen das Land Hessen, die privatisierte Universitätsklinik Gießen-Marburg (UKGM) und die Rhön-Klinikum Aktiengesellschaft in den kommenden zehn Jahren in den privatisierten Betrieb investieren. Die Vereinbarung dazu haben Vertreter des Landes, von Rhön und ihrer Muttergesellschaft Asklepios Kliniken, des Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) sowie der Universitäten in Gießen und Marburg und ihre Fachbereiche Medizin Ende Februar unterzeichnet.

Vorausgegangen war ein zähes Ringen und wochenlanger Stillstand bei den Verhandlungen, nachdem der Konzern den im Dezember 2021 der Öffentlichkeit vorgestellten „Letter of Intent“ überraschend infrage gestellt hatte. Als Knackpunkt kristallisierte sich schlussendlich das Beharren des Landes heraus, im Fall eines Verkaufs oder Rückkaufs der Klinik den durch öffentliche Zuschüsse erworbenen Wertezuwachs zurück zu bekommen. Hier konnte sich das Land durchsetzen. Ein Modus Vivendi sei gefunden, hieß es bei der Vorstellung des Papiers Ende Februar in Marburg. Sie hätten „vertragliche Regelungen für die komplexen Vereinbarungen und Auszahlungsmechanismen entwickelt, um den Vertrag über eine so herausragende Investitionssumme für die kommende Dekade rechtssicher zu gestalten“, teilten die Beteiligten in einem gemeinsamen Statement mit.

Bei der bundesweit einmaligen Privatisierung einer Uniklinik im Jahr 2006 hatte Rhön auf jegliche staatliche Zuwendungen verzichtet. Gleichwohl stellt das Land nun jährliche Investitionsmittel für neuestes medizinisches Gerät und Bautätigkeiten zur Verfügung. In diesem Jahr beträgt die Summe 48,15 Millionen Euro, das UKGM steckt 23,5 Millionen Euro in die beiden Standorte. Verabredet ist eine Prioritätenliste, die wird jedes Jahr aktualisiert.

Change-of-Control-Klausel zurück

Betriebsbedingte Kündigungen bleiben ausgeschlossen. Ausgliederungen von Betriebsteilen sind nur in Ausnahmen möglich. Sie bedürfen der Zustimmung des Landes, im Gegenzug soll es dann zu Wiedereingliederung derzeit ausgelagerter Bereiche kommen. Die Übernahmegarantie für Auszubildende gilt weiter. Aufgrund der Kostenexplosion in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat das Land mit 50 Millionen Euro noch eine Schippe draufgelegt. Sollte sich die Inflation während der Laufzeit des Vertrages extrem entwickeln, sind Anpassungsklauseln für beide Seiten vereinbart. Die Ende 2019 ausgelaufene Change-of-Control-Klausel ist zurück. Sie sichert dem Land für den Fall eines Kontrollwechsels in der Eigentümerstruktur ein Rückkaufrecht. Sie ist auf Asklepios erweitert und nimmt erbrechtliche Bestimmungen aus – eine Konzession an die Familie von Gesellschafter Dr. jur. Bernard Broermann.

Hessens Wissenschaftsminister Angela Dorn betonte, dass sie die Privatisierung nach wie vor für einen Fehler hält. Die Grünen-Politikerin zeigte sich gleichwohl nach der Vertragsunterzeichnung erleichtert. „Sowohl das Land als auch die Rhön-Klinikum AG bekennen sich mit dem Zukunftspapier Plus klar und deutlich zum Gesundheits- und zum Forschungsstandort Mittelhessen. Damit ist vor allem der Weg frei für die notwendigen Investitionen.“ Wichtig für das Land sei zu regeln, was bei einem möglichen Rückkauf oder Verkauf des Klinikums geschieht. „Wir haben ein Berechnungsverfahren vereinbart, das sicherstellt, dass dann der jeweilige Restwert an das Land zurückfließt.“ Das Land übernehme zwei Drittel der Investitionskosten, das Unternehmen ein Drittel. Gewinne des UKGM würden dort bleiben – bis zur Inbetriebnahme aller mit erster Priorität vereinbarten Investitionen, auch über die Vertragslaufzeit hinaus. Rhön habe sich verpflichtet, wenn nötig Eigenmittel bereitzustellen. Dorn: „Damit ist klar, dass die Investitionen umgesetzt werden, auch wenn das UKGM die Mittel nicht vollständig selbst erwirtschaften kann, um die Belastung für das UKGM und dessen Beschäftigte zu begrenzen.“

Dem Ärztlichen Geschäftsführer des Standortes Gießen, Prof. Dr. Werner Seeger, war dieser Punkt besonders wichtig. Bislang hatte Rhön im besten Fall dem UKGM Kredite zu Verfügung gestellt, die es samt Zinsen zurückzuzahlen hatte. Die Klinikdirektoren, sagte er, forderten seit Jahren, die Arbeits- und Finanzierungsbedingungen an denen anderer deutscher Universitätskliniken anzugleichen.

Joint Venture von Klinikum und Universitäten

Der Konzern wolle nun das UKGM als bundesweit drittgrößte Uniklinikum weiter ausbauen und stärken, kündigte Rhön-Vorstandschef Prof. Dr. Tobias Kaltenbach an. „Seiner Rolle als Innovationsführer in der Rhön-Klinikum AG und darüber hinaus auch in der Asklepios Gruppe kann es so aus einer gestärkten Position gerecht werden.“ Dazu beitragen könnte auch das im Zukunftsvertrag verabredete Joint Ventures des Klinikums und der beiden Universitäten, die die bessere Übertragung von Forschungsergebnissen in die klinische Anwendung ermöglichen soll. Das dafür benötigte Finanzvolumen von über die Vertragslaufzeit knapp 60 Millionen Euro stellt das UKGM bereit.

Nach Ansicht der Gewerkschaften kann der Vertrag nur ein Anfang sein. „Jetzt dürfen wir nicht auf halber Strecke stehen bleiben“, sagte Dr. med. Christian Schwark, Landesvorsitzender des Marburger Bunds. Folgend müssten nun Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte am UKGM. In allen hessischen Unikliniken klagten Ärztinnen und Ärzte über tausende unbezahlte Überstunden, unbesetzte Stellen und Arbeitsüberlastung. Tariflich vereinbarte Regelungen zu einer lückenlosen und ehrlichen Arbeitszeiterfassung würden ignoriert, medizinische Forschung in vielen Fällen als „Privatvergnügen“ angesehen, so Schwark. Regelmäßiger Zeitdruck, Schlafstörungen, keine Pausen, Übernahme von Schichten krank gewordener Kolleginnen und Kollegen prägten den Arbeitsalltag. „All dies ist den Verantwortlichen seit Jahren bekannt, ohne dass relevante Verbesserungen herbeigeführt werden.“ Die erste Gelegenheit dazu bestehe bei den in Kürze beginnenden Gesprächen über Arbeitszeiterfassung und Arbeitsentlastung für die Ärztinnen und Ärzte.

Gewerkschaften fordern bessere Arbeitsbedingungen

Das Zukunftspapier sei „nicht ausreichend“ urteilte die Gewerkschaft Verdi, die die nicht-ärztliche Seite vertritt. Die rund 300 Beschäftigten der UKGM Servicegesellschaft blieben weiter ungeschützt vor Ausgliederung und Kündigung. „Die Politik hätte die Kolleg:innen vor den Erpressungen des Konzerns schützen können. Nun drohen die gleichen Skandale wie an anderen Standorten von Asklepios/Rhön“, befürchtete Fabian Dzewas-Rehm, Verdi-Gewerkschaftssekretär, mit Blick auf Ausgliederungen in Asklepios-Kliniken in Hamburg oder Lich. Ungelöst bleibe ebenso die sich verschlechternde Versorgungsqualität. Verdi fordert einen so genannten Entlastungstarifvertrag mit klaren Vorgaben für verbindliche Personalmindeststandards und hat dem Arbeitgeber dazu ein Ultimatum bis zum 24. März gesetzt. Positiv bewertet die Gewerkschaft, dass die Investitionsmittel den wirtschaftlichen Druck auf die Beschäftigten mindern. Sie mahnt zugleich Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des Uniklinikums an: „Das Land Hessen muss sicherstellen, dass die Investitionen zu einer Verbesserung der Aus- und Weiterbildung führen. Baufällige Wohnheime, zu wenig Wohnheimplätze, fehlende digitale Ausstattung in den Schulen, veraltete Unterrichtsräume und insgesamt zu wenig Räume sind aktuell der Standard. Fachkräfte werden am Uniklinikum nur bleiben, wenn hier kurzfristig investiert wird.“

Jutta Rippegather