Der Beginn des Angriffskrieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 stellt eine Zäsur dar. Sehr lange ist kein bewaffneter Konflikt auf europäischem Boden so sehr in das kollektive Bewusstsein geraten wie dieser Krieg. Viele von uns haben selbst die unkonkrete, aber schwelende Gefahr durch den drohenden Einsatz von Atomwaffen noch nicht erlebt. Eine Situation, wie sie nun entstanden ist, war noch vor Kurzem nahezu undenkbar.

Die resultierende humanitäre Katastrophe macht fassungslos. Dass dieser Krieg vor allem die Zivilbevölkerung trifft, ist schon kurz nach Beginn offensichtlich. Bereits nach wenigen Wochen gibt es Städte und Regionen, die von der Versorgung mit Lebensmitteln und auch Medikamenten abgeschnitten sind. Die Zahl der angegriffenen Flucht-routen, Krankenhäuser sowie getöteter Menschen steigt täglich.

Es entwickelt sich eine große Welle an Solidarität. Auch die deutsche Ärzteschaft beteiligt sich von Beginn an. So werden Geld- und medizinische Sachspenden gesammelt, Transporte in die Ukraine organisiert und ärztliche Hilfe vor Ort geleistet. Dieser Einsatz, den vor allem einzelne Ärztinnen und Ärzte, aber auch ärztliche Organisationen und Institutionen erbringen, ist beeindruckend. Absehbar werden jedoch alle deutschen Kolleginnen und Kollegen gefragt sein, wenn es nämlich um die Versorgung von Geflüchteten geht. Unter jenen befindet sich eine hohe Zahl an Menschen, deren zeitnahe ärztliche Behandlung unabdingbar ist, wie Schwangere, Kinder, chronisch Kranke und schwer Traumatisierte.

„Die Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete ist schnell und unbürokratisch nötig“

Die medizinische Versorgung dieser Menschen wird nur möglich sein, wenn es gelingt, sie in bestehende Strukturen zu integrieren. Eine Schlüsselposition kommt dabei der Gesundheitskarte zu: Obwohl bereits vor Jahren die Möglichkeit geschaffen wurde, dass Bundesländer Asylsuchende durch Krankenkassenverträge mit einer Gesundheitskarte ausstatten, wurde in Hessen bisher darauf verzichtet. Stattdessen wird weiterhin mit sogenannten Behandlungsscheinen gearbeitet, die vor einem Arztbesuch durch die zuständigen Ämter der Kommunen ausgestellt werden müssen. Dieser in hohem Maße bürokratische Prozess führt zu Verunsicherung der Geflüchteten, Verzögerung des Behandlungsbeginns, deutlich erhöhtem Verwaltungsaufwand in den Praxen und Kliniken mit den damit verbundenen Kosten sowie Fehlsteuerung auch leicht erkrankter Patienten in die Notaufnahmen.

Die Landesärztekammer sowie KV Hessen und zahlreiche Verbände haben die Landespolitik bereits auf die Dringlichkeit der Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete hingewiesen. Bleibt zu hoffen, dass diese bis zum Erscheinen dieses Artikels reagiert hat.

Selbstverständlich ist der Zugang zum Gesundheitssystem nicht die einzige Frage im Rahmen der medizinischen Versorgung ukrainischer Geflüchteter, die einer schnellen und unbürokratischen Lösung bedarf. So ist absehbar, dass gerade in den ersten Monaten ein hoher Bedarf an grundversorgenden Ärztinnen und Ärzten herrschen wird. Frühere Zuzugswellen haben gezeigt, dass eine hohe Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten im Ruhestand und in der Elternzeit bestand, Engpässe durch einen zeitlich begrenzten Einsatz zu überbrücken. Dies erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und persönlichem Engagement. Leider wurden viele von ihnen im Nachhinein durch hohe Abgaben belastet, wie beispielsweise Beiträge zur Deutschen Rentenversicherung, aus der sie aber in der Regel anschließend keine Rentenzahlungen erwarten dürfen. Einigen Kolleginnen und Kollegen gereichte ihr Engagement finanziell zum Nachteil. Das ist unzumutbar, ärztliche Nothilfe darf nicht zum Auffüllen leerer Staatskassen genutzt werden. Die politisch Verantwortlichen müssen sich diesmal im Vorfeld klar positionieren, wie sie dies zu verhindern gedenken.

Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie die nun auf Sie zukommende Arbeit mit der gleichen Professionalität und Freude am ärztlichen Beruf bewältigen, wie Sie sie in den zurückliegenden Ausnahmesituationen bewiesen haben.

Svenja Krück, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen