(§ 10 Abs. 2 Hessisches Friedhofs- und Bestattungsgesetz – FBG)

In einem rechtskräftigen Urteil vom 26.01.20221 hat das Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht in Gießen klare Worte gefunden, um zu verdeutlichen, welche Pflichten ein Arzt bzw. eine Ärztin, der/die zur „Ersten Leichenschau“ gerufen wird, zu erfüllen hat.

Sachverhalt

Die beiden angeschuldigten Vorfälle betrafen denselben Arzt, der einmal überhaupt nicht und einmal verspätet (nach ca. neun Stunden) an den Orten der Sterbefälle eingetroffen war.

Nachdem die Seniorenresidenz, bzw. im zweiten Fall das Altenzentrum, sich beschwerdeführend an die Landesärztekammer Hessen gewandt hatten, ließ er sich mit unterschiedlichen Argumenten zu seiner Verteidigung ein, wie z. B., er habe keinen Zugang zu den Papieren (Personalausweis u. ä.) der Verstorbenen gehabt und einen Kollegen gebeten, die Aufträge zu übernehmen. Im Ermittlungsverfahren konnte die Richtigkeit seiner Behauptungen nicht festgestellt werden.

Rechtliche Würdigung

In seinem Urteil stellte das Gericht mit großer Deutlichkeit fest, dass es auf die vorgebrachten Rechtfertigungsgründe nicht entscheidend ankomme. Ärztinnen und Ärzte seien nach § 22 Heilberufsgesetz verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Zur gewissenhaften Berufsausübung in diesem Sinne gehöre auch, dass die in diesem Zusammenhang einschlägigen geltenden Rechtsvorschriften eingehalten würden. Der Beschuldigte habe die Durchführung der Leichenschauen übernommen, damit habe er die angeforderten Leichenschauen „unverzüglich vorzunehmen“ gehabt.

Nach den Darlegungen des Gerichts kommt es nicht auf die vorgebrachten Argumente, die angeblich der Erfüllung dieser Aufgabe entgegengestanden hätten, an. Der eine Leichenschau vornehmende Arzt habe keine Dokumente zu überprüfen. Zweck der Leichenschau sei nach § 10 Abs. 1 FBG lediglich, den Tod und seinen Zeitpunkt sowie die wahrscheinliche Todesart (natürlich, nicht natürlich oder ungeklärt) festzustellen. Dementsprechend sei sein Aufgabenbereich in § 10 Abs. 8 FBG genau festgelegt. „Die Überprüfung von Dokumenten zählt nicht dazu“, so das Gericht.

Ob der Beschuldigte einen anderen Kollegen von der Anforderung unterrichtet habe oder nicht, sei unerheblich: „Eine Wartezeit von mehr als neun Stunden entspricht nicht der gesetzlichen Vorgabe ‚unverzüglich‘.“

Im Übrigen verweist das Berufsgericht auf die S1-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin zur Durchführung der amtlichen Leichenschau bzgl. der Frage, wann die Leichenschau durchgeführt werden müsse. Der unbestimmte Rechtsbegriff „unverzüglich“ bedeutet demnach, dass nur noch dringende, nicht aufschiebbare Maßnahmen durchgeführt werden dürfen. Die erste und wichtigste Aufgabe eines Arztes bei der Leichenschau ist demzufolge die sichere Feststellung des eingetretenen Todes. Denn, so die Erläuterung in der Leitlinie, bis zur sicheren Feststellung des Todes muss der Arzt helfen, will er sich nicht der Gefahr des Vorwurfs unterlassener Hilfeleistung aussetzen. Daher muss nach der Leitlinie ein Arzt nach Erhalt der Anzeige über einen vermutlichen Todesfall sich auf schnellstem Wege zur Leichenschau begeben, denn nur er kann die Differenzialdiagnose „lebend“ oder „tot“ stellen und über eine gegebenenfalls erforderliche Reanimation entscheiden. Kann er dies aus zwingenden Gründen (Pflichtenkollision!) nicht, so muss er gemäß der Leitlinie einen in der Nähe befindlichen Arzt oder den Notarzt „alarmieren“. Er muss sich auch vergewissern, dass dieser die Aufgabe übernimmt.

Fazit

Mit dieser Entscheidung dürften nun die Pflichten einer oder eines zur „Ersten Leichenschau“ herbeigerufenen Ärztin/Arztes gerichtlicherseits abschließend geklärt sein. Zur gewissenhaften Berufsausübung im Sinne von § 22 Heilberufsgesetz zählt, wie eingangs dargelegt, die Beachtung des einschlägigen Rechts. Gemäß § 10 Abs. 5 FBG sind „auf Verlangen jede niedergelassene Ärztin und jeder niedergelassene Arzt sowie Ärztinnen und Ärzte eines Krankenhauses oder sonstigen Anstalt für Sterbefälle in diesem Krankenhaus oder in dieser Anstalt“ zur Leichenschau verpflichtet.

Christiane Loizides, Ermittlungsführerin der Berufsgerichtsabteilung der LÄKH, Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts a. D.

Aktenzeichen.: 21 K 1155/19.GI.B und 21 K 2505/20.GI.B