Dr. med. Filippo Martino stellt die Deutsche Gesellschaft für Digitale Medizin vor

Die Deutsche Gesellschaft für Digitale Medizin e. V. (DGDM) ist eine medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft, die sich der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Digitalen Medizin und ihrer Entwicklung als zukunftsorientierte Ergänzung der medizinischen Tätigkeiten verschrieben hat. Gegründet im November 2020 als gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, will die DGDM die wissenschaftlich fundierte Aus-, Fort- und Weiterbildung in Studium, Klinik und Praxis auf dem Gebiet der Digitalen Medizin fördern. Mit dem Gründer und erstem Vorsitzenden Dr. med. Filippo Martino sprach im Auftrag der HÄBL-Redaktion Dr. med. Cornelius Weiß.

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Lieber Herr Martino, Sie sind Gründer und erster Vorsitzender einer neuen Fachgesellschaft in Deutschland. Jetzt ist Ihr Ansatz ja zwar traditionell, aber dennoch sehr anders: Wie kamen Sie darauf, die Deutsche Fachgesellschaft für Digitale Medizin (DGDM) zu gründen und wieso, denken Sie, brauchen wir eine weitere Fachgesellschaft? Reichen die bisherigen nicht?

Dr. med. Filippo Martino: Also aus meiner Sicht ist die Digitale Medizin ein Querschnittsfach, das zunehmend Einzug in das Bewusstsein und die tägliche Arbeit der verschiedenen medizinischen Fachgruppen gefunden hat. Viele Fachgesellschaften haben daher Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit dem Thema in ihrer fachrichtungsspezifischen Perspektive auseinandersetzen. Zusätzlich kommen jedoch auch fach- und professionsübergreifende Aspekte zum Tragen, die bislang etwas weniger Beachtung finden. Ein Beispiel ist die Evidenzgenerierung in der Digitalen Medizin, die die Wissenschaft vor Herausforderungen stellt, aber auch großes Potenzial birgt. Hier entstand der Gedanke, die DGDM zu gründen, die als Forum und Klammer für diese Themen fungiert. Was mir hier sehr wichtig ist: Wir wollen niemanden ersetzen, sondern gemeinsam mit den anderen Institutionen und Gesellschaften an diesen übergreifenden wissenschaftlichen Fragestellungen arbeiten.

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Warum ist es Ihnen wichtig, dass nicht nur Ärzte Mitglieder werden können? Was sagen Sie Kritikern, die hier Interessenkonflikte sehen?

Martino: Prinzipiell sehen wir das Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen und damit auch Digitale Medizin als ein interdisziplinäres, aber auch interprofessionelles Thema. Die Stärken liegen genau hier, denn es geht unter anderem darum, Menschen und Professionen miteinander zu vernetzen.

Da wir als Fachgesellschaft eine wissenschaftliche Perspektive auf digitale Medizin haben und damit die evidenzbasierte Versorgung fokussieren, sehe ich grundsätzlich eine große Schnittmenge, die das Handeln aller Fachgruppen gleichermaßen leitet. Ich sage es mal so: Schlussendlich sind etwaige Interessenkonflikte ja auch immer ein Indikator für Bedarf, miteinander zu sprechen. Warum sollte das dann nicht als wissenschaftlicher Diskurs geschehen?

Hatten Sie keine Bedenken, dass Sie auf Gegenwind stoßen, wenn Sie mit so jungen Jahren etwas womöglich so Großes anstoßen? Was macht Sie zuversichtlich? Martino: (lacht) Natürlich habe ich mir im Vorhinein Gedanken gemacht, wie die Gründung der DGDM aufgenommen werden würde. Bedenken, auf Gegenwind zu stoßen, hatte ich aber eigentlich nicht, denn Gegenwind ist per se ja gar nichts Schlechtes! Er fördert immer den Diskurs und rückt hier das Thema Digitale Medizin und was wir von ihr erwarten und uns erhoffen in den Fokus. Letztlich, muss ich sagen, sind wir recht schnell auf überwiegend sehr positive Resonanz gestoßen, konnten in 2021 weiterwachsen und erste Projekte realisieren. Das stimmt mich doch ganz zuversichtlich, auf dem richtigen Pfad zu sein.

Die DGDM ist zwar noch jung, aber Sie haben bereits viele handfeste Projekte angegangen. Was sind zurzeit die drei wichtigsten?

Martino: Zu den drei wichtigsten Projekten gehören sicherlich die Umsetzung des wissenschaftlichen Förderprogramms, der weitere Auf- und Ausbau des Ausbildungsprogramms in Form der DGDM Academy, sowie die Bahnung und das Aufsetzen der Kooperationen mit wissenschaftlichen Institutionen und anderen Fachgesellschaften, um sich weiter verstärkt wissenschaftlichen Themen, wie die Evidenzgenerierung für digitale Versorgungskonzepte und Anwendungen, zu widmen.

Was genau meinen Sie mit Förderprogrammen? Wie behalten Sie Ihre Unabhängigkeit dabei bzw. gibt es hier wirtschaftliche Kooperationen?

Martino:Die Wissenschaftsförderung stellt eine Grundsäule unserer Tätigkeiten als medizinische Fachgesellschaft dar. Hierzu haben wir in 2021 ein Förderprogramm aufgesetzt, das einerseits abgeschlossene Publikationen und Arbeiten im Bereich der Digitalen Medizin in Form von Wissenschaftspreisen auszeichnet, andererseits auch Studierenden der Medizin ermöglicht, über ein Vollzeitstipendium an ihrer Dissertation in diesem Feld zu arbeiten.

Die Wissenschaftspreise, die noch im ersten Quartal dieses Jahres vergeben werden, sind aus Eigenmitteln der DGDM finanziert. Für die Vollzeitstipendien kooperieren wir mit der Deutschen Ärztefinanz, ohne die eine Förderung in dieser Höhe nicht möglich gewesen wäre.

Die Unabhängigkeit zu wahren, ist für eine wissenschaftliche Fachgesellschaft sehr wichtig. In diesem konkreten Fall ist es beispielsweise so, dass die Organisation sowie das Auswahlverfahren inklusive der Auswahlkommission für die Stipendienvergabe in der Hand der DGDM liegen und unabhängig von der Deutschen Ärztefinanz erfolgen.

Wird die DGDM Academy entsprechend ihrer Grundausrichtung neben Ärzten auch andere Gesundheitsfachberufe adressieren? Wie hat man sich das vorzustellen? Die Bedürfnisse sind mitunter sehr unterschiedlich. Wo sollten aus Ihrer Sicht Schwerpunkte liegen?

Martino:Es ist definitiv geplant, ein Angebot zu schaffen, das möglichst fachgruppenübergreifend sinnvoll gestaltet ist, aber auch spezifische Aspekte aufgreift. Unsere CME-zertifizierte Veranstaltung im Sommer vergangenen Jahres zum Thema elektronische Patientenakte und ihr Potenzial für die Wissenschaft war beispielsweise sehr interdisziplinär besetzt sowie besucht. Im Grunde geht es darum, den verschiedenen Fachgruppen und -professionen die Kompetenz zu vermitteln, qualifizierte Entscheidungen in ihrem immer digitaler werdenden Umfeld treffen zu können. Das sollte bestenfalls dann auf Wissen, Information und Evidenz basieren.

Da sprechen Sie einen wichtigen Aspekt an, der gerade viel diskutiert wird im Rahmen der Einführung der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Wie schätzen Sie denn die Evidenz von DiGA ein? Prognostizieren Sie eine florierende Zukunft oder ein Schattendasein?

Martino: Naja, das so pauschal zu beantworten ist schwierig, da die Studienlage der DiGA sehr unterschiedlich ist. Allein die Gruppen der vorläufig sowie endgültig aufgenommenen Anwendungen unterscheiden sich im Evidenzniveau, wobei auch vorläufig gelistete DiGA eine systematische Literaturrecherche sowie systematisch ausgewertete eigene Daten zur Anwendung vorlegen müssen. Zusätzlich ist hier dann die Vorlage eines Evaluationskonzepts nötig, um die noch fehlende Evidenz zur endgültigen Listung spätestens innerhalb von zwei Jahren nachzuliefern. Die endgültig gelisteten DiGA haben zumeist randomisierte kontrollierte Studien vorgelegt und erreichen damit ein höheres Evidenzniveau. Ich kann da nur einen Blick in das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfehlen, denn dort sind die Studienlage und auch der Zulassungsstatus erfasst.

Unter dem Strich würde ich sagen, dass sich DiGA definitiv durchsetzen werden, da sie ein großes Potenzial bergen, um Patientenversorgung zu verbessern. Der Schlüssel hierzu ist eine gute Evidenz und eine fundierte Auseinandersetzung der beteiligten Fachgruppen und Patient:innen mit dem Thema.

Vielen Dank für das Interview, ich bin gespannt auf die Zukunft!

Martino: Auch Ihnen vielen Dank! Wir als junge Fachgesellschaft freuen uns immer über die Möglichkeit, unseren Kolleginnen und Kollegen einen Einblick zu geben und vielleicht auch den einen oder anderen für unsere gemeinsame Arbeit zu gewinnen.

Interview: Dr. med. Cornelius Weiß

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Dr. med. Filippo Martino (33) verantwortet die Entwicklung digitaler Versorgungskonzepte bei Caspar Health und ist erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Digitale Medizin (DGDM). Er studierte Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover und an der Tongji-Universität in Shanghai. Nach dem Studium begann er seine medizinische Laufbahn im Bereich der Neurologie am Universitätsklinikum Carl-Gustav Carus Dresden, wo er neben der klinischen Tätigkeit auch als Fachdozent für Neurologie an der Carus Akademie Dresden tätig war. Zudem engagierte er sich für die medizinische Perspektive der Digitalisierung in der Medizin und sammelte weitere Erfahrungen mit einem eigenen Start-up-Projekt. Anschließend betreute Dr. med. Filippo Martino bei der fbeta GmbH unter anderem das vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderte Forschungsprojekt I.DiGA und leitete den Geschäftsbereich Digital Health. Bei den Median-Kliniken stieg er dann thematisch in die Rehabilitation ein und leitete die Abteilung Digitale Gesundheit des Klinikverbundes.