Pionierin der Frauenheilkunde, Chirurgin, Forscherin und Couragierte

Wenn Männer Großes geleistet haben – was folgt dann? Dann wird nach ihrem Ableben meist eine Straße, eine Universität, eine Schule und mehr nach ihrem Namen benannt. Dagegen geraten Frauen, die Großes geleistet haben, häufig in Vergessenheit oder finden Erwähnung unter ferner liefen...

Nach der Frauenärztin Dr. med. Elisabeth Hermine Winterhalter müssten mindestens drei Straßen und eine Klinik samt Schule benannt werden. Denn wer so wie sie gewirkt hat, deren Lebensleistungen, gilt es, umfänglich in Erinnerung zu behalten. Die Städte Frankfurt am Main und Hofheim am Taunus haben Dr. med. Elisabeth Winterhalter und ihrer Lebensgefährtin, der Malerin Ottilie W. Roederstein, viel zu verdanken. Es ist an der Zeit, sie öffentlich zu würdigen und sich ihrer zu erinnern.

Wer war Elisabeth Winterhalter?

Elisabeth Winterhalter war eine der ersten Frauenärztinnen in Frankfurt; sie übernahm nach ihrem Medizinstudium in der Schweiz 1891 eine Praxis und sie führte in Frankfurt 1895 den ersten Kaiserschnitt (Laparatomie) durch. Neben ihrer gynäkologischen Praxis forschte Winterhalter im Senckenbergischen Pathologischen Institut über „Ein sympathisches Ganglion im menschlichen Ovarium“ (In: Archiv für Gynaekologie. Band 51, Nr. 1, Februar 1896) und sie war überaus engagiert in Bildungsfragen, insbesondere für junge Frauen. So war sie Mitinitiatorin und -gründerin der Schillerschule in Frankfurt-Sachsenhausen, in der 1908 zum ersten Mal junge Frauen ihr Abitur ablegten. Ab 1912 wohnte sie mit ihrer Lebensgefährtin – der Malerin Ottilie W. Roederstein – in Hofheim am Taunus. Nach Beendigung ihrer ärztlichen Tätigkeit engagierte sich Winterhalter ehrenamtlich in Hofheim. Dort gründete sie z. B. eine Volksbibliothek. Beiden Frauen wurde 1929 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Hofheim am Taunus verliehen.

Woher und Wohin

Elisabeth Winterhalter war das jüngste und 13. Kind von Elisabetha Winterhalter, geb. v. Garr und des Arztes Dr. Georg Winterhalter. In der Familie Winterhalter in München gab es eine über mehrere Generationen reichende Ärztetradition. Der Vater Georg Winterhalter hatte eine Praxis in München-Haidhausen, er war Gründer des heutigen Klinikums rechts der Isar. Der älteste Sohn Leopold wurde Arzt, erst in Havanna, später kehrte er nach München zurück. Und auch die jüngste Tochter Elisabeth wollte unbedingt Ärztin werden. Der Vater starb jedoch, als Elisabeth elf Jahre alt war. Auf Wunsch ihrer Mutter und ihres Vormundes besuchte sie zunächst ein Lehrerinnenseminar – eine der wenigen Berufsausbildungen, die damals für Frauen vorgesehen waren. Nach der Lehrerinnenausbildung unterrichtete Elisabeth Winterhalter 13- bis 15-jährige Mädchen – „ohne Neigung“ wie sie selbst rückblickend schreibt.

Winterhalters Weg

Immer wieder insistierte Elisabeth Winterhalter bei ihrer Mutter, um in Zürich Medizin studieren zu dürfen. Denn dort war das Studium ab etwa 1865 auch für Frauen möglich. Es gelang ihr, ihre Mutter davon zu überzeugen, ihrem dringenden Wunsch zuzustimmen. Sie holte in kürzester Zeit ihre Matura (Abitur) nach, legte 1886 ihr Physikum ab und absolvierte 1889 das schweizerische Staatsexamen der Medizin mit Promotion. Titel ihrer Dissertation war „Zur Entstehung der Scheidenharnfisteln mit besonderer Berücksichtigung der durch Geburtstrauma bedingten Fälle“. Ihre weiteren gynäkologischen Fachweiterbildungen absolvierte sie bei Prof. Pierre-Constant Budin an der Pariser Charité, bei Prof. Robert Ziegenspeck an der Universität München und bei Thure Brandt in Stockholm.

Bereits 1884 lernte Elisabeth Winterhalter in Zürich die Malerin Ottilie W. Roederstein in deren Elternhaus kennen und sie wurden ein Paar. 1891 konnte Elisabeth Winterhalter eine gynäkologische Praxis in Frankfurt übernehmen und so verlegten die beiden Frauen ihren Lebensmittelpunkt nach Frankfurt am Main. Hier waren sie alsbald mit der liberalen Stadtgesellschaft bestens vernetzt.

Zu ihrem Freundeskreis gehörten unter anderem die Familie Anna und Ludwig Edinger, Henriette Fürth, Berta Pappenheim, die Bankiersfamilie Minna Karoline und Maximilian Benedikt Freiherr von Goldschmidt-Rothschild. Mit Prof. Dr. Ludwig Edinger und Prof. Dr. Carl Weigert forschte Winterhalter 1895/96 im Pathologisch-Anatomischen Institut der Senckenbergischen Stiftung.

Winterhalter praktizierte auch in der Poliklinik des Vereins Schwesternhaus Bethanien mit dem Kollegen Dr. med. Carl Stahl und in der Privaten Klinik in der Eschen-heimer Anlage mit den gynäkologischen Kollegen Dr. med. Theodor Demmer und Dr. Wilhelm Kallmorgen.

Neben ihrer Forschung zu Ganglien in Ovarien und ihrer erfolgreichen Arbeit in ihrer Praxis engagierte sich Winterhalter zusätzlich besonders für bildungspolitische Fragen, sie war u. a. Vorsitzende des Vereins „Frauenbildung – Frauenstudium“. Dieses Engagement sorgte dafür, dass 1908 erstmals junge Frauen an der Frankfurter Schillerschule ihr Abitur machten. Nach ihrem beruflichen Rückzug als Ärztin initiierte sie in Hofheim am Taunus, wo das Paar mittlerweile seit 1912 im eigenen Haus lebte, eine Volksbibliothek und betätigte sich in weiteren karitativen Projekten.

Wer und Wie

Elisabeth Winterhalter war sehr willensstark. Man denke daran, dass sie ihr erstrebtes Medizinstudium bei ihrer Mutter erfolgreich durchsetzte und in Zürich in kürzester Zeit das für das Studium notwendige Abitur nachholte. Zudem war Winterhalter eine unerschrockene Frau und Ärztin, denn als erste eine Laparotomie (Bauchhöhlenschnitt) durchzuführen, erforderte Mut und Entschlossenheit – vor allem, da sie in den 1890er-Jahren in Deutschland noch den Status einer Kurpfuscherin hatte. Frauen erhielten zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch keine medizinische Approbation. Winterhalter holte 1903 ihr deutsches Physikum und 1904 mit 48 Jahren ihre Approbation an der Universität Heidelberg nach – als dieses dann auch für Frauen in Deutschland erlaubt wurde.

Elisabeth Winterhalter und Ottilie W. Roederstein lebten zu ihrer Zeit offen als Frauenpaar. Auf Fotos und auf den Bildern von Roederstein wirkt Winterhalter stets streng und tatkräftig. Beide Frauen waren privilegiert und führten einen großbürgerlichen Haushalt mit Personal. Elisabeth Winterhalter war eine emanzipierte Frau, die Haltung zeigte. Elisabeth Winterhalter und Ottilie W. Roederstein hatten Zeit ihres Lebens ein intensives soziales Empfinden. Anderen, Freundinnen, jungen Frauen Chancen zu eröffnen, sie zu unterstützen, sich einzusetzen, sich für die Gesellschaft zu engagieren war für sie selbstverständlich.

1929 wurde das kämpferisch-kreative Paar als erste Frauen mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Hofheim ausgezeichnet. Für ihre Verdienste „um die Förderung aller künstlerischen Fragen des zivilen und kirchlichen Lebens (…) und ihrer Betätigung auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege“.

Die Heussenstamm-Stiftung

Im Zuge historischer Recherchen zur Geschichte der Heussenstamm-Stiftung in Frankfurt am Main stießen die Kunsthistorikerin Karin Görner und die damalige Geschäftsführerin der Stiftung und Autorin dieses Beitrags Dagmar Priepke auf die „Roederstein-Winterhalter’sche Stiftung“, deren Restvermögen nach der Währungsreform 1952 in die Heussenstamm-Stiftung eingebracht worden war. Weil die beiden Stiftungsgründerinnen so beeindruckende Frauen waren, begannen Görner und Priepke schon 2017 mit Recherchen zu Elisabeth Winterhalter und Ottilie W. Roederstein.

2018 veröffentlichte die Heussenstamm-Stiftung eine Dokumentation über das Frauenpaar und ihre Frankfurter Jahre. Die Lebensgefährtin Winterhalters, die Malerin Ottilie W. Roederstein, wurde bereits 1999 ausführlich in der Dissertation der Kunsthistorikerin Dr. Barbara Rök dargestellt und ihr künstlerisches Gesamtwerk gewürdigt.

Das Städel-Museum in Frankfurt am Main wird im Sommer 2022 eine große Ausstellung des künstlerischen Lebenswerkes von Ottilie W. Roederstein präsentieren. Bis heute fehlt jedoch eine detaillierte Würdigung und Charakterisierung der bedeutenden Ärztin Dr. med. Elisabeth Winterhalter. Priepke: „So konnten wir mit ihrem Urgroßneffen, der sie als Kind noch erlebt hat, mehrere Gespräche führen und aus seinen Beschreibungen und Erzählungen viele Erkenntnisse über Elisabeth Winterhalter gewinnen. Wir recherchieren vor allem in verschiedenen Archiven, Universitäten und Bibliotheken, um ihre Biografie, ihre berufliche Karriere und ihr frauenpolitisches Engagement nachzuvollziehen und zu sichern. Das Frauenreferat der Stadt Frankfurt fördert seit 2020 unsere Recherchen und Dokumentation zu Elisa-beth Winterhalter. Für eine Publikation der Ergebnisse hoffen wir auf weitere Unterstützung und Support – sehr gerne auch aus dem medizinischen Umfeld.“

Dagmar Priepke, E-Mail: dagmar.priepke@web.de

Das „Parlando“ der Ausgabe 01/2019, abrufbar über die Website der LÄKH, beschäftigt sich auch mit den beiden „starken“ Frauen Roederstein und Winterhalter.

Literatur:

  • Görner, Karin: Ottilie W. Roederstein und Elisabeth Winterhalter, Frankfurter Jahre 1891–1909. Hrsg. Dagmar Priepke, Heussenstamm-Stiftung, 2018
  • Winterhalter, Elisabeth Hermine: Zur Entstehung der Scheidenharnfisteln mit besonderer Berücksichtigung der durch Geburtstrauma bedingten Fälle. Inaugural-Dissertation, München (Druck), 1890