In Hessen haben wir mit Stand vom 16. August 55,6 % der Bevölkerung vollständig geimpft. Das ist auf jeden Fall eine gute Nachricht, auch wenn uns allen klar ist, dass hier noch nachgelegt werden muss. Deshalb bitte ich Sie eindringlich: Lassen Sie in Ihren Bemühungen nicht nach und überzeugen Sie Ihre Patientinnen und Patienten von der Impfung gegen Corona.
Die Impfung ist das wirksamste Mittel, um die Menschen zu schützen, und zwar nicht nur sich selbst, sondern auch Kinder und Erwachsene, die nicht geimpft werden können oder deren Immunreaktion keinen ausreichenden Schutz aufbaut. Für Angehörige sozialer Berufe, seien es Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte oder Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Erzieherinnen und Erzieher, sehe ich die Impfung als eine moralische Pflicht an. Dies scheint auch die überwältigende Mehrheit unserer Mitglieder so zu sehen, denn aus den Krankenhäusern und den Praxen wird über eine sehr hohe Akzeptanz der Impfung berichtet. Verlässliche Zahlen liegen meines Wissens jedoch nicht vor, denn bei der akribischen Bürokratie im Umfeld der Impforganisation wurde die (selbstverständlich gerne anonymisierte) Erfassung dieser Daten, aber auch vieler weiterer Angaben nicht bedacht. Hier wurden große Chancen, mehr Erkenntnisse zu gewinnen, vertan. Leider!
Stattdessen wurde zur Durchführung der Impfungen ein gewaltiger Papier- und Genehmigungsaufwand entwickelt. Sie erinnern sich, dass Betriebs- sowie Privatärztinnen und -ärzte seit 7. Juni 2021 auch gegen Corona impfen dürfen. Als Landesärztekammer haben wir uns bemüht, für die privatärztlichen Mitglieder ein möglichst einfaches Verfahren zu entwickeln. Daher haben wir diesen Mitgliedern mehrere Wochen vor dem Starttermin unaufgefordert ein offizielles Schreiben geschickt, in dem die Mitgliedschaft in der Landesärztekammer Hessen und die Tätigkeit in der Privatniederlassung bestätigt wurden. Dieses pragmatische Verfahren war dem Bundesgesundheitsministerium aber wohl doch zu einfach. Und so wurde ein anderer Weg gewählt. Die Betroffenen mussten sich auf unserer Website ein vorgegebenes Formular zur sogenannten Selbstauskunft herunterladen, dieses befüllen, unterschreiben und wieder an die Landesärztekammer Hessen schicken. Dort bestätigte die Verwaltung den fleißigen Formularbefüllern sodann, als privatärztliches Pflichtmitglied bei der Landesärztekammer Hessen gemeldet zu sein, und sandte das Formular zurück. Das zur Impftätigkeit willige privatärztliche Mitglied registrierte sich mit dieser Bescheinigung nun beim PVS-Impfportal, um alsbald von dort eine Registrierungsbescheinigung zu erhalten, die zusammen mit der Authentifizierungsbescheinigung der Landesärztekammer dann die Bestellung des benötigten Impfstoffes bei der jeweiligen Bezugsapotheke erlaubt.
„Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars zur Bestätigung des Durchschlagsformulars“, so sang es Reinhard Mey 1977. Hat die Pandemie wirklich einen IT-Innovationsschub ausgelöst? Oder werden papierbasierte Vorgänge einfach 1:1 in die EDV übertragen und sind dann unter Umständen noch umständlicher, wenn wie im oben geschilderten Beispiel mehrfache Medienbrüche innerhalb eines Vorgangs von Papier zu EDV und umgekehrt erfolgen? Aber vielleicht braucht es einfach noch ganz besondere Umstände, um echte Neuerungen zu ermöglichen.
Viel Freude löst auch das wiederholte Ausfüllen von Impfaufklärungen und Einverständniserklärungen für die Impfung von Alten- und Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern aus, die erst jetzt im Sommer geimpft werden, weil sie zu Beginn des Jahres Teil der Erkrankungswelle waren. Für das Gros der Bewohnerinnen und Bewohner übernehmen Vorsorgebevollmächtigte oder Betreuer diese Aufgabe und haben diese Formulare inzwischen mehrfach ausgefüllt, denn aus juristischen Gründen führen die mobilen Impfteams die Impfung nur durch, wenn die jeweils gültige Fassung vorliegt. Da bleibt nur die Hoffnung, dass nicht während des Urlaubs von Vorsorgebevollmächtigten ein neues Formular erscheint, denn dann besteht wohl die Gefahr, dass die Impfung nicht durchgeführt wird.
Es wird auch allerhöchste Zeit, endlich Klarheit zu erhalten und zwar von der STIKO und nicht von Hobbyärzten aus der Politik, ob und wann Hochrisikogruppen eine Auffrischimpfung erhalten.
Und ja, wer sich trotz Aufklärung und inzwischen problemlosem Zugang zu einer Impfung nicht impfen lässt, muss mit gewissen Einschränkungen leben. Denn das Leben in Freiheit bedeutet nicht grenzenlose Freiheit ohne Rücksichtnahme auf andere. In einer Gesellschaft hat jedes Individuum nicht nur für sich, sondern auch für die Mitmenschen Verantwortung. Der Zugang zum Restaurant oder zum Konzert ist dann eben nur mit negativem Testergebnis (selbst bezahlt und nicht auf Kosten der Allgemeinheit) oder womöglich auch gar nicht möglich. Forderungen, auch vollständig Geimpfte zu testen, halte ich allerdings für überzogen. Das kleine Restrisiko, das von Geimpften ausgeht, werden wir eingehen müssen. Eine Welt ohne jedwedes Risiko gibt es nicht. Wie so oft im Leben gilt es, das gesunde Maß zu finden.
Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident