Hinter uns liegt ein Deutscher Ärztetag, der erstmals und bei aller Bewunderung für die technisch gelungene Durchführung hoffentlich letztmals online erfolgte. Ohne an dieser Stelle auf die mit großem Respekt und tiefer Ernsthaftigkeit geführte Debatte zum ärztlich assistierten Suizid vertieft eingehen zu wollen, denn die entsprechenden Berichte haben Sie alle längst gelesen, möchte ich dennoch meinen Dank für die Bekräftigung der ärztlichen Position ausdrücken: Die Mitwirkung an einem Suizid ist trotz der Aufhebung des strikten Verbots der Suizidhilfe in der Musterberufsordnung keine ärztliche Aufgabe! In der Diskussion wurden die großen Unterschiede zwischen dem Sterbewunsch eines Palliativpatienten oder dem eines Gesunden deutlich. Ärzte verordnen Medikamente und keine Gifte zur Selbsttötung. Hier muss der Gesetzgeber einen anderen Zugangsweg finden.

Natürlich war auch die Coronapandemie ein Thema, das nicht nur die Abgeordneten des Deutschen Ärztetags bewegte, sondern auch Bundesgesundheitsminister Spahn, der den Ärztinnen und Ärzten – wie auch zuvor Bundeskanzlerin Merkel – für den Einsatz der vergangenen Monate dankte. Den Dank haben wir gerne gehört, keine Frage, und doch bleiben weiter viele Wünsche und Fragen offen. Einer dieser Wünsche ist es, dass die Politik der Ärzteschaft zuhört, nicht nur in Bezug auf die Pandemie, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Natürlich sind Politikerinnen und Politiker keine Wunscherfüller einzelner Berufsgruppen, aber deren Rat kann doch hilfreich sein. Jüngstes Beispiel (das kann natürlich bei Drucklegung dieses Editorials schon wieder überholt sein) ist die von Minister Spahn angekündigte Möglichkeit, die Zweitimpfung mit der Vakzine von Astrazeneca bereits nach 4 Wochen und nicht, wie von der Ständigen Impfkommission empfohlen, nach 12 Wochen verabreichen zu können. Stecken dahinter medizinische Gründe? Nein, vielmehr ist es wohl eher der durchsichtige Versuch, potenziellen Wählerinnen und Wählern die von allen heiß ersehnte Wiedererlangung wenigstens eines Teils der Grundrechte einige Wochen früher zu ermöglichen. Welcher der, ob der Einschränkungen ermüdeten Wahlbürger, nimmt den Hinweis wahr, dass die so erkaufte Freiheit mit einem gemäß den vorliegenden Studien deutlich eingeschränkten Impfschutz im Vergleich zu dem empfohlenen 12-Wochen-Abstand einhergeht? Wer muss das den Impflingen dann in mühsamen Gesprächen erklären? Richtig, es ist nicht der Minister, nein, es sind vor allem die impfenden Ärztinnen und Ärzte in den Praxen. Diese Zeit sollte nicht vorgezogenen Zweitimpfungen, sondern vielmehr möglichst vielen Erstimpfungen gewidmet werden. Wenn der Wahlkampf begonnen hat, ist es wohl einfacher, den Impfabstand zu verkürzen, als die Menschen weiter um Geduld zu bitten und vor allem nachvollziehbare Erklärungen zu geben.

Wenn die Priorisierung tatsächlich im Juni aufgehoben wird, können hoffentlich so schnell wie möglich Väter und Mütter von Minderjährigen geimpft werden. Diese Gruppe schultert seit vielen Monaten eine große Last. Das gilt vielfach leider auch noch immer für die Bewohner von Pflegeheimen. Obwohl keine andere Bevölkerungsgruppe so früh und vollständig geimpft wurde, herrschen zum Teil noch immer ausgesprochen rigide Maßnahmen. So wurden noch im April in einem Pflegeheim alle Bewohner eines Wohnbereichs in ihrem Zimmer isoliert, obwohl sie mehrfach negativ getestet worden und zudem vollständig geimpft waren. Hintergrund war der Nachweis einer Infektion bei einem Mitarbeiter und drei vollständig geimpften Bewohnern in dem betroffenen Wohnbereich. Diese Bewohner hatten zum Glück keine Symptome. Und warum wurden die negativ getesteten, vollständig geimpften Bewohner isoliert? Weil es nicht nur noch ungeimpfte Bewohner gibt, die z.B. gerade erst eingezogen sind, sondern auch eine erhebliche Zahl von Mitarbeitenden, die das Impfangebot nicht angenommen haben. Der letzte Punkt weckt in mir Unmut. Wer in einem sensiblen Bereich, sei es ein Krankenhaus, eine Dialyseeinrichtung, eine Arztpraxis oder eben ein Altenheim, arbeitet, sollte sich impfen lassen, um nicht nur sich selbst, sondern vor allem gefährdete Kranke und Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen und nicht zu gefährden. Für mich ist es eine verkehrte Welt, wenn Bewohnerinnen und Bewohner zwangsisoliert werden, um nicht geimpfte Mitarbeitende zu schützen. Ich bin gespannt, ob diese Problematik nach der Bundestagswahl sachlich und zielgerichtet diskutiert werden wird. Die Masernimpfpflicht könnte als Diskussionsgrundlage dienen.

Eine aktuelle Studie der Charité mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund hat übrigens den öffentlichen Personennahverkehr als besondere Infektionsquelle für Corona entlastet. Dass auch Schulen kein Risikobereich sind, belegen Daten des Frankfurter Gesundheitsamtes (siehe S. 358-359).

Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident